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Dürfte an seinem letzten Tag im Amt noch zahlreiche Begnadigungen verfügen: Donald Trump.
Foto: REUTERS/Tom Brenner

Es gehört zu den Privilegien eines US-Präsidenten, auch und vor allem am letzten Tag seiner Amtszeit, Begnadigungen auszusprechen, und Donald Trump macht da keine Ausnahme. Für seinen letzten vollen Arbeitstag im Weißen Haus rechnen die amerikanischen Medien mit rund 100 solcher "executive clemencies" – das wäre eine Verdoppelung der Gnadenerlässe, die der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika bisher verfügt hat.

Der Gedanke, Trump könnte sich selbst für allfällige Vergehen auf Bundesebene begnadigen, mag zwar naheliegend sein – doch dazu wird es wohl nicht kommen. Dem Vernehmen nach hat er sich nach vielen Beratungsrunden mit seinen Juristen dagegen entschieden. Die unmittelbarsten juristischen Probleme, die auf den bald vormaligen Präsidenten zukommen, sind wohl Klagen im Zusammenhang mit Steuervergehen im Heimatbundesstaat New York – hier hätte eine Vorab-Begnadigung keine Auswirkung, denn diese hat nur auf Verfahren nach Bundesrecht Einfluss. Zudem ist juristisch sehr umstritten, ob eine Selbstbegnadigung möglich ist und etwa vor dem Höchstgericht halten würde.

Auch enge Familienmitglieder sollen nicht in den Genuss eines präsidialen Gnadenerlasses kommen, berichteten am Dienstag Medien wie CNN und die "New York Times". Ebenso wenig konnten dem Vernehmen nach zuletzt Trumps persönlicher Anwalt Rudy Giuliani oder sein ehemaliger Chefstratege Steve Bannon auf eine "presidential clemency" hoffen, deren Namen in diesem Zusammenhang bis vor wenigen Tagen oft genannt worden waren.

Auch die Teilnehmer an den "Capitol Riots", den Unruhen im Zusammenhang mit dem Sturm auf das US-Kapitol Anfang Jänner in Washington, D.C. mit fünf Toten, sollen nicht vom Präsidenten vorab begnadigt werden. Gleiches gilt wohl auch für Julian Assange, den Gründer der Aufdeckerplattform Wikileaks, dessen Veröffentlichung gehackter Mails aus der Wahlkampagne seiner damaligen Konkurrentin Hillary Clinton Trump im Wahlkampf 2016 half.

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Rapper Lil Wayne reiste mit einer geladenen Waffe in Florida ein – Trump wird ihn aber wohl begnadigen.
Foto: REUTERS/Steve Marcus

Der Rapper mit der goldenen Pistole

Zu den Begnadigten dürfte wohl der Rapper Lil Wayne zählen – der hatte sich erst kürzlich schuldig bekannt, eine geladene Pistole – sie soll vergoldet gewesen sein – bei sich gehabt zu haben, als sein Jet im Dezember 2019 in Miami landete. Ein Urteil in der Causa ist noch ausständig, dieses soll erst am 28. Jänner gesprochen werden, zehn Jahre Haft seien ein mögliches Strafausmaß, schrieb etwa "ABC News". Trump dürfte dem Vernehmen nach Wayne dafür dankbar sein, dass dieser ihn im Wahlkampf unterstützt hatte.

Nicht namentlich genannte Quellen bestätigten indes einen Bericht der "New York Times", wonach Trumps Liste der Begnadigungen auch Sheldon Silver, den ehemaligen Sprecher des Unterhauses im Bundesstaat New York, umfassen dürfte. Dieser war 2015, nach elf Jahren im Amt, wegen Korruption verurteilt worden.

Milde für Vertraute aus dem Wahlkampf 2016

Einen Straferlass haben bereits Paul Manafort, Trumps ehemaliger Wahlkampfchef, und sein vormaliger Berater Roger Stone erhalten. Ebenso der nur kurzzeitig amtierende nationale Sicherheitsberater Michael Flynn. Sie alle waren in die Ermittlungen um Wahlmanipulationen 2016 durch und mit Russland verwickelt. Ebenfalls bereits begnadigt wurden Ex-Wahlkampfstratege George Papadopoulos und der Vater von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, Charles Kushner, der wegen Steuerhinterziehung, Zeugenmanipulation und rechtswidriger Wahlkampfspenden 2005 zwei Jahre Haft ausgefasst hatte.

Zu umstritten für die präsidiale Prioritätenliste für eine Begnadigung dürfte Jacob Chansley sein. Der als "QAnon-Schamane" bekannte Mann, der mit Pelzmütze, Hörnern und Kriegsbemalung zum Mob im US-Kapitol gehörte, wurde dieser Tage wegen rechtswidrigen und gewalttätigen Eindringens ins Parlamentsgebäude sowie wegen aktiver Teilnahme an einem Aufstand angeklagt. Das Ersuchen von Chansleys Anwalt um Begnadigung wird wohl ungehört verhallen. Auch weil es gewissermaßen mit einem Schuldeingeständnis Trumps einhergehen würde. Chansleys Anwalt hatte ins Treffen geführt, sein Mandant habe schließlich auf Anweisung des Präsidenten an der Erstürmung teilgenommen.

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Jacob Chansley – auch bekannt als "QAnon-Schamane" oder Jake Angeli, eines der Gesichter des Sturms auf das US-Kapitol Anfang Jänner – darf nicht auf Milde hoffen.
Foto: REUTERS/Stephanie Keith

94 Personen bisher begnadigt

Zwischen August 2017 und Dezember 2020 hatte Donald Trump 94 Personen Straferlass gewährt – manchen schon, bevor noch ein Urteil gesprochen war oder gar ein Verfahren begonnen hatte. Fast 130 Jahre lang spielte das "Office of the Pardon Attorney" im Justizministerium eine Schlüsselrolle in Begnadigungsverfahren. Trump – disruptiv auch in dieser Hinsicht – überging die Institution bei mehreren Gelegenheiten. Entgegen den Gepflogenheiten bevorzugte er mehr als nur einmal gute Bekannte und auch solche Personen, die noch keinen Antrag auf Begnadigung gestellt hatten, etwa weil sie noch gar nicht angeklagt waren, berichtete schon vor rund einem Jahr die "Washington Post".

Des Öfteren versprach sich Trump – beziehungsweise sein Beraterstab – wohlwollende Berichterstattung in konservativen Medien, etwa als er Rod Blagojevich (demokratischer Ex-Gouverneur von Illinois, 14 Jahre Haft wegen Korruption, weil er 2008 den Senatssitz Barack Obamas gegen Geld nachbesetzen wollte) oder Joe Arpaio ("Amerikas härtesten Sheriff", dessen Haftmethoden auf Demütigung abzielten und mutmaßlich mehrere Menschen das Leben kosteten) begnadigte.

Joe Arpaio galt als "Amerikas härtester Sheriff" – was ihm juristisch zum Nachteil wurde. Er war 2017 der Erste, der von Trump begnadigt wurde.
Foto: imago images/ZUMA Press

Rehabilitierung nach über einem Jahrhundert

Kurioses am Rande: Die älteste Begnadigung – oder, besser in diesem Fall, Rehabilitierung – in der Ära Trump betraf die Frauenrechtsaktivistin Susan B. Anthony. Sie wurde 1872 verhaftet, weil sie in Rochester zur Wahl gegangen und eine Stimme abgegeben hatte, obwohl das Wahlrecht den Frauen damals noch nicht zugesprochen worden war (dazu kam es erst 1920). Weil sie sich weigerte, die Strafe von 100 Dollar zu zahlen, wurde sie 1873 verurteilt. Dieses Urteil wurde nun, am 18. August 2020, aufgehoben.

Für Aufsehen sorgte auch der Prozess gegen den berühmten Boxweltmeister Jack Johnson. Der schwarze Sportler wurde 1913 von einer rein weißen Jury verurteilt, weil er gesetzeswidrig mit seiner weißen Frau die Staatsgrenze von Illinois übertreten hatte. Das war damals als "unmoralische Handlung" verboten. Trump begnadigte Johnson postum am 24. Mai 2018 – rund ein Jahrhundert nach dessen Verurteilung zu einem Jahr und einem Tag Haft sowie zu einer Zahlung von 1.000 Dollar Strafe. Johnson war 1913 übrigens aus den USA geflüchtet und verdingte sich jahrelang im Ausland als Preisboxer, bevor er seine Strafe dann doch noch absaß. (Gianluca Wallisch, 19.1.2021)