Natürlich geht es auch ohne. Überhaupt in der Stadt. Denn bei Laufschuhen ist es nicht anders als beim Skifahren: Immer die richtige Ausrüstung zur Hand – oder eben "zu Fuß" – zu haben ist nett. Es macht das Leben komfortabel. Und eventuell auch ein bisserl einfacher. Aber: "Brauchen"?

Lassen Sie es mich mit einem meiner Berglehrer sagen. Der hörte einst dem Fachsimpeln seiner Gruppe, allesamt keine Anfänger, über optimale Skibreiten, Rocker-Längen und ähnliche essenzielle Features einen ganzen Aufstieg und eine Gipfelrast lang kommentarlos zu. Doch als wir wieder anschnallten, schaute er kurz in die Runde, sagte "A Guada dafoat's da mit an jedn" – und fuhr uns im Bruchharsch um die Ohren. Mit einem gut 15 Jahre alten, schmalen Uralt-Tourenski. Weil er es konnte.

Foto: thomas rottenberg

Was das mit dem Laufen zu tun hat? Eine Menge. Diese kleine Geschichte krame ich hervor, wenn jemand per Mail anfragt, welcher Schuh heute, also bei diesem Wetter, "der richtige" sei. Das passiert tatsächlich und regelmäßig.

Und es ehrt und freut mich, wenn mir Menschen, die ich persönlich gar nicht kenne, derlei Kompetenz zuschreiben. Nur: Ich bin zum einen kein Seher – weiß also nicht, wie und wo Sie wie lange und wie schnell laufen und wie Ihre Füße und Ihre Lauftechnik aussehen. Ich habe auch keine Ahnung, wie warm, weich, trocken oder sonst wie bequem Sie es brauchen. Aber vor allem: "A Guada dalauft's mit an jedn."

Foto: thomas rottenberg

Als mich die Wiener Personaltrainerin Beatrice Drach unlängst in ihren Podcast einlud, um dort über den "richtigen" Winterlaufschuh zu plaudern, erzählte ich die Bergführergeschichte natürlich auch, betonte aber: Winter, Schnee, Kälte oder Nässe sind kein Grund, nicht zu laufen. Nur sollten weniger Geübte gerade jetzt lieber auf Nummer sicher gehen. Also nicht nach Hörensagen, Onlineumfragen im Bekannten- oder So-Me-Kreis entscheiden, sondern sich tatsächlich beraten lassen.

Das geht auch in Lockdown-Zeiten: Gute Fachhändler antworten auf Mails ausführlich, manche analysieren auch Fotos abgelatschter Schuhe, beraten per Zoom & Co – und schicken dann zwei oder drei Paar zur Auswahl. Mitunter, wo und soweit es wirtschaftlich argumentierbar ist, liefern Ladenbetreiber auch selbst – und schauen dem Kunden dann (im Freien) kurz auf die Füße.

Foto: thomas rottenberg

Aber zurück zum Laufen auf Schnee & Eis: Manchmal ist es weder Kompromiss noch Sparsamkeit noch ein Fehlgriff, sondern eine ganz bewusste Entscheidung, wenn ein "Guada", (Sie verzeihen mir hoffentlich im Kontext diese Anmaßung), weil erfahrener Läufer bei winterlich-eisigen Bedingungen einen Schuh nimmt, von dem er Anfängerinnen oder Anfängern an diesem Tag bei diesen Bedingungen abraten würde.

Darum auch auf diesem Weg: Danke nochmal für die "Warnung" der drei mir unbekannten Läuferinnen und Läufer, die mich – unabhängig voneinander – letzte Woche in Schönbrunn darauf hinwiesen, dass ich "mit diesem Schuh heute hier unmöglich laufen" könne: doch, das ging. Sogar sehr gut. Weil ich weiß, was ich kann und wie trittsicher ich bin. Und weil ich weiß, worauf ich mich einlasse, wenn ich mit meinem Lieblingsstraßenschuh, dem leider nicht mehr produzierten Saucony Freedom ISO, auf eisig-winterlichen Wegen Tempointervalle laufe.

Auch wenn ich selbst – ungefragt – nie auf die Idee käme, das Verhalten Fremder zu rezensieren: Ich weiß, es war nett gemeint. Deshalb: Danke.

Foto: thomas rottenberg

Was da im Schlosspark angesichts der von fast allen anderen Läuferinnen und Läufern getragenen schweren, folierten hochalpinen Trailschlapfen auf den ersten Blick tatsächlich wie ein Fehler wirkte, war aber keiner: Schnee auf hartem, noch dazu flachem Untergrund ist meist griffig. Eine "berechenbare" Unterlage. Außerdem werden die Spazierwege in Schönbrunn gut gestreut. Sogar dann, wenn der Schnee durch mehrmaliges Drübertrampeln hart und eisig ist, hat man hier Grip. Man muss halt schauen, wo man hintritt.

Und der Boden drunter, der gut gewalzte Schotter, ist so hart, dass mir persönlich die massiven, auf grobe, alpine Wege ausgelegten Trailschuhe, zu denen im Winter viele Leute greifen, zu steif, schwer und klobig sind.

Foto: thomas rottenberg

Aber natürlich verstehe ich diese Wahl. Obwohl ich sicher bin, dass viele Stadt- und ParkwinterläuferInnen da beim Schuh den gleichen Fehler machen, den unerfahrene Nichtläuferinnen und -läufer in der kalten Jahreszeit oft auch beim Gewand machen: Sie vergessen, dass Bewegung wärmt, ziehen viel zu viel an und ersticken dann in Daunengilet, Anorak und Winterfleece an ihrer eigenen Körperwärme. Dann bleiben sie zum Verschnaufen und Ausdampfen stehen, verkühlen sich genau deshalb – und sind ab diesem Moment sicher: Im Winter laufen macht krank.

Foto: thomas rottenberg

Auf Schuhe übersetzt heißt das: Solange man in Bewegung ist, hat man selten kalte Zehen, außer man neigt grundsätzlich zum Frieren. Schnee schmilzt von außen – wieder: solange man läuft – kaum wirklich durch den Schuh. Schon gar nicht, wenn man nicht durch knöcheltief verschneite Landschaften rennt. Und wenn es wirklich nass und gatschig ist, rinnt einem das Wasser ohnehin von oben in den Schuh: Da ist man mit wasserdichten Socken (die ich selbst nicht besitze, die sich Beatrice Drach aber nach unserem Gespräch besorgte und unter der Brause testete) oft besser bedient als mit einem gore- oder sonst wie wasserfest-folierten Schuh.

Wohlgemerkt: solange man in Bewegung ist. Und solange man weiß, dass man auch in Bewegung bleiben wird.

Foto: thomas rottenberg

Trotzdem stoßen Straßenschuhe im Winter natürlich an Grenzen. Im winterlichen Schönbrunner Schlosspark etwa auf den Serpentinen zur und von der Gloriette: Die waren – um sieben in der Früh – noch nicht gestreut. Und richtig eisglatt-rutschig: Rauf ist das mühsam und eine Übung in Balance und Trittsicherheit. Runter dann zwar lustig, aber ganz bestimmt nicht "safe" – das Einzige, was da funktioniert, ist, sobald man rutscht, Gas zu geben. Aber: Nein, das würde ich Leuten, die nicht wirklich sicher unterwegs sind oder Angst vor einem Sturz haben (und deshalb stocksteif fallen), auf keinen Fall empfehlen – auch nicht mit Schuhen mit Profil.

Bezeichnenderweise ließen an diesem Morgen viele Läuferinnen und Läufer mit "festen" Schuhen diese Passage aus, bis der Streuwagen kam. Richtig so: Better safe than sorry.

Foto: thomas rottenberg

Deshalb griff ich am Sonntag dann doch zu einem Trailschuh: Beim "Fahrtenspiel" (einem Training mit unterschiedlichen, teils heftigen Tempoelementen) in Schönbrunn war ich auf "sicherem" Terrain flott unterwegs gewesen. Heute sollte der Lauf zwar gemütlich, länger und "geländegängig" sein. Der Haken: Bis ich in der Landschaft ankomme, geht es durch die Stadt. Über Asphalt. Teils gestreut, teils salznass – aber eben auch festgepresst-eisig: No na ist guter Grip da hilfreich.

Foto: thomas rottenberg

Ich entschied mich für den On Cloudventure, einen "leichten Trailschuh". "Leicht" bedeutet in dem Fall, dass der Schuh zwar genügend Grip hat, aber auf viele jener "massiven" (und damit schweren) Fuß-Schutz-Features verzichtet, an denen man Trailschuhe gemeinhin erkennt, die im nichtalpinen Einsatz gar nicht benötigt werden.

Der Cloudventure steht schon länger bei mir. Ich bekam ihn im September, als mich die hippen Schweizer Schuhmacher nach Chamonix einluden – aber ich habe ihn bis jetzt "geschont" und nur als Alltagssneaker getragen.

Wieso? Auch wenn etliche Labels am Trail gerade auf Weiß setzen und das launig mit "every shoe tells a story" erklären, wollte ich den Schlapfen nicht unbedingt im tiefsten Gatsch "customizen". Obwohl das seine Bestimmung ist.

Foto: thomas rottenberg

Auch wenn der On ein "leichter" Trailer ist, spürte ich den Unterschied zum Schönbrunner Saucony-Temposchuh sofort: Er ist langsamer. Mein Weg in den Prater führt großteils über Asphalt. Hart und griffig. Da flogen mir Leute, die normalerweise in meiner Liga rennen, mit "regulären" Straßenschuhen regelrecht um die Ohren. Auf der Hauptallee war Vollbetrieb: Der erste (natürlich virtuelle) Lauf des LCC-Eisbärcups lockte Scharen von Läuferinnen und Läufern zum Gasgeben auf den Strip oder andere schnelle Asphaltstrecken – im Bild den Donaukanal.

Geschwindigkeit ist ansteckend: Kurz überlegte ich, ob ich nicht doch den falschen Schuh erwischt hatte.

Foto: thomas rottenberg

Aber eben nur kurz. Denn Winterlaufen ist mehr als Asphalt im Prater. Schon breitere Nebenwege werden – aus gutem Grund – kaum gestreut. Dort und auf den stark genutzten Wiesen war der Schnee zu einer unruhigen, immer wieder eisigen Nano-Buckelpiste zusammengetreten.

Teils mit genügend, teils ohne Grip: Mit einem Straßenschuh wäre das kein Spaß gewesen, mit einem schweren Trailschuh aber eher zäh und träge. Und wenn ich bei solchen Bedingungen tatsächlich einen wasserdichten Schuh brauche, brauche ich ihn im Frühling beim Lauf über eine taunasse Wiese auch.

Foto: thomas rottenberg

"Hinten", also im unteren Prater, wäre es dann ähnlich gewesen: Auf den intensiver genutzten Forst- und Waldwegen haben Geh- und Pferdespuren Rillen und Grate hinterlassen, die durch die vielen Spaziergänger hübsch eisig getreten sind. Der Boden ist teils bockhart, teils batzweich. Unter dem Schnee liegt oft rutschfreudiges Laub auf morschem Astwerk. Mit Grip halbwegs sicher, ganz ohne Profil aber eine wackelige Sache. Grundsätzlich geht das natürlich – aber eben nur, wenn man bei jedem Schritt doppelt genau schaut.

Und ich schaue recht gerne auch in die Landschaft.

Foto: thomas rottenberg

Freilich gibt irgendwann auch die beste Sohle w. o. Nämlich dann, wenn es nicht nur eisig, sondern richtig spiegelglatt wird. Das Fiese daran: Echtes Glatteis "erwischt" einen oft gar nicht im Gelände, sondern dort, wo man es am allerwenigsten erwartet. Oder unaufmerksam ist: auf meiner Sonntagsrunde etwa hinter dem MAK.

Dort gibt es ein paar Flecken, die so einfrieren, dass schon der kleinste Windhauch jedes Schneeflankerl verbläst – und so den Weg noch glatter poliert. Wenn man das weiß, kann man damit spielen wie in dieser kurzen Videosequenz.

Foto: thomas rottenberg

Natürlich kann man sich beim Laufen auch gegen solche Unbill schützen. Das "Werkzeug" dafür habe ich sogar: Laufschuhe mit Spikes. Im Gegensatz zu den langen "Nägeln" bei Bahnschuhen ragen die aber nur minimal aus der Sohle und beißen sich bei Bedarf auch an der Ferse in den Untergrund.

Es sind vor allem skandinavische Marken, die hier federführend sind – und es gibt (derzeit: gab) sogar wunderschöne Events, bei denen man über zugefrorene Seen und Fjorde läuft: 2019 lud mich die Marke Icebug zum Frozen Lake Marathon – einer der schönsten Laufreisen, die ich je machen durfte.

©Icebug/JAKOBEDHOLM

Klar könnte man auf einem zugefrorenen See, auf dem immer auch ein bisserl Schnee liegt, auch ohne Spikes durchkommen – wenn man permanent wie ein Haftelmacher aufpasst, nicht unkontrolliert aufzutreten. Aber wer hält das auf einer Halb- oder Vollmarathondistanz oder einem winterlichen Zehner wirklich durch? "Safe grip – free mind" – das Icebug-Motto – hat was.

Dass ich meine "Genagelten" trotzdem weder in Schönbrunn noch am Sonntag anzog, hat aber einen guten Grund: Auch wenn die "Bugs" sich auf Asphalt in die Sohle zurückdrücken, macht Laufen damit auf eisfreiem Straßenbelag wenig Vergnügen. Und in der Stadt ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich einen guten Teil meiner Strecken auf Beton unterwegs bin, halt doch relativ hoch.

Aber natürlich ginge auch das. Weil: "A Guada dafoat's da mit an jedn." (Thomas Rottenberg, 19.1.2021)

Foto: ©Icebug/JAKOBEDHOLM