Die Kläranlage der Stadt Wien spielt nun auch eine entscheidende Rolle in der Pandemiebekämpfung.

Foto: Matthias Cremer

Wie weit ist B.1.1.7 – die flapsig als britische Mutation bezeichnete Virusvariante – in der Hauptstadt verbreitet? Obwohl bereits seit vergangener Woche Meldungen publiziert werden, dass die Coronavirus-Mutation mutmaßlich schon im Wiener Abwasser nachweisbar ist, lässt sich die Frage bis jetzt nicht abschließend klären. Oder anders gesagt: Bisher gibt es den Nachweis nicht – obwohl bereits eine Probe ausgewertet wurde.

Anfang vergangener Woche wurde in einem speziellen PCR-Vortest ein Verdacht auf B.1.1.7 festgestellt. Daraus wurde geschlossen, dass die Virusvariante wohl auch in Wien längst angekommen ist. Am Sonntag argumentierte die Bundesregierung die Verlängerung des Lockdowns auch mit der Ausbreitung der hoch ansteckenden Mutation. In Salzburg wurde sie bereits detektiert – sogar in großem Ausmaß. Aber was ist mit Wien?

Unbefriedigende Ergebnisse – neue Probe

Das Ergebnis der aktuell in Österreich knapp eine Woche dauernden Genomsequenzierung der Wiener Abwasserprobe liegt vor – ist aber für die Beteiligten unbefriedigend. Die Auswertung dürfte technisch nicht richtig geklappt haben. "Es war zu wenig Genom in der Probe, die Sequenzierung hat nicht funktioniert", sagt Norbert Kreuzinger vom Institut für Wassergüte und Ressourcenmanagement der Technischen Universität (TU) Wien dem STANDARD. Er führt das Abwasser-Screening gemeinsam mit der Hauptkläranlage und der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) durch.

Als Konsequenz wurde eine weitere Probe des Abwassers aus der Hauptkläranlage genommen und zur Genomsequenzierung geschickt – "mit deutlich mehr Material", wie Kreuzinger sagt. Proben aus dem Abwasser seien "sehr komplex". Bei einem Drittel bis zur Hälfte der Proben "haut das zunächst nicht hin", erklärt der Experte. Mit dem Ergebnis der Sequenzierung der neuen Abwasserprobe sei erst Anfang kommender Woche zu rechnen.

Der Experte sagt dennoch: Wien dürfte sich – was die Mutation betrifft – noch in einer "recht guten Situation" befinden. Auch wenn er eher davon ausgeht, dass sich der Verdacht auf die britische Virusmutation auch im Wiener Abwasser bestätigen wird. "Wenn nicht, würde mich das natürlich freuen – aber auch überraschen." Um die Mutation zu identifizieren, muss B.1.1.7 laut Kreuzinger in mindestens zwei bis fünf Prozent der detektierten Coronaviren nachweisbar sein.

Viele Nachweise der britischen Virusmutation

Grundsätzlich ist B.1.1.7 in Österreich angekommen: In 46 von 53 genomsequenzierten Proben von Verdachtsfällen hierzulande wurde die Mutation nachgewiesen. Das bestätigt Andreas Bergthaler vom Forschungsinstitut für Molekulare Medizin (CeMM) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Neben den Verdachtsfällen aus einem Pflegeheim in Wien sowie Skifahrern im Tiroler Ort Jochberg dürfte eben auch die Sequenzierung der Abwasserproben aus Salzburg einwandfrei geklappt haben.

Werte aus einer Salzburger Kläranlage waren ziemlich bemerkenswert: Hier wurde eine sehr hohe Konzentration von B.1.1.7 festgestellt. In einer am 3. Jänner gezogenen Probe tauchte die britische Variante in gleich 54 Prozent der Coronaviren auf, sagt Bergthaler. Beunruhigend ist, dass sich der Anteil von B.1.1.7 unter den dort gefundenen Sars-CoV-2-Viren in nur rund zehn Tagen auf diesen Wert steigerte. Bei Ende Dezember genommenen Proben wurden noch null sowie kurz darauf 16 Prozent festgestellt.

Dass die Sequenzierung in Salzburg auf Anhieb geklappt hat, führt Kreuzinger auch darauf zurück, dass die Mutation dort schon weiter verbreitet sein dürfte als etwa in Wien.

Fälle in den Medien, bevor Ergebnisse vorliegen

Im Wiener Rathaus wie auch bei der Caritas, die Heime betreibt, stellt sich aber noch eine weitere Frage: Warum erfahren Medien laufend vor den betroffenen Einrichtungen und der zuständigen Gesundheitsbehörde von B.1.1.7-Fällen? Aus dem Büro des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker (SPÖ) heißt es, dass man in den vergangenen sieben Tagen wegen drei verschiedener Verdachtsfälle von Journalisten kontaktiert wurde, die den Medien als bestätigt zugetragen wurden, bevor die Sequenzierungsergebnisse überhaupt vorlagen.

"Wir müssen dann jedes Mal stundenlang herumtelefonieren, woher diese Informationen kommen und ob sie überhaupt stimmen", sagt ein Sprecher Hackers. "Bisher war es immer so, dass die angeblich fixen Fälle bloß Verdachtsfälle waren und nicht einmal der Ages, der Auftraggeberin der Sequenzierung, die medial kolportierten Ergebnisse vorlagen." Hackers Büro vermutet, dass die Gerüchte aus Regierungskreisen gestreut werden. Klaus Schwertner, Geschäftsführer der Caritas Wien, schlägt auf Twitter in eine ähnliche Kerbe: "Zum wiederholten Male werden wir von Medien über aktuelle Entwicklungen von Testergebnissen in unseren Einrichtungen informiert. Krisenmanagement in Pandemiezeiten ist kein Wahlkampf." (David Krutzler, Katharina Mittelstaedt, 20.1.2021)