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Dass eine gestörte Darmflora alles andere als angenehm ist, ist hinlänglich bekannt. Dass sich dadurch auch die Wahrscheinlichkeit für Depressionen und Angststörungen erhöht, ist eine Folge der starken Wechselwirkungen, die zwischen dem Mikrobiom im Darm und dem Gehirn bestehen. Noch am Anfang steht jedoch die Frage, inwieweit die Vielzahl der Mikroorganismen im Darm die kognitiven Fähigkeiten, etwa das Gedächtnis, beeinflusst.

Isabella Wagner, Neurowissenschafterin an der SCAN (Social, Cognitive and Affective Neuroscience)-Unit an der Universität Wien, beschäftigt sich schon länger damit, wie Gedächtnis im Gehirn verankert ist. Nun will sie den Verbindungen von Gehirn und Darm experimentell auf den Grund gehen.

Wirkung von Stress und Antibiotika

"Bisher wurde die meiste Forschung auf dem Gebiet anhand von Tieren betrieben", sagt Wagner. "Um die Zusammenhänge auch am Menschen zu erforschen, versuche ich, neue Ansätze zu finden." Grundsätzlich kommunizieren Verdauungstrakt und Gehirn mit biochemischen Signalen über eine direkte neuronale Verbindung, den Vagus-Nerv.

Aber auch das Immunsystem spielt eine große Rolle. Entzündungsmarker, die im Blut zirkulieren, können die neuronale Funktion im Gehirn beeinflussen, erklärt Wagner. Aber auch Botenstoffe wie Serotonin, die unter anderem durch das Mikrobiom gesteuert werden, haben Einfluss auf die Gedächtnisleistung.

Um mehr darüber herauszufinden, will Wagner zunächst testen, wie sich Stress auf das Gedächtnis von Versuchspersonen auswirkt. In einem weiteren Schritt sollen Personen, deren Darmflora durch Antibiotika beeinträchtigt ist, mit gesunden Personen hinsichtlich ihrer Gedächtnisleistung verglichen werden. "Letztlich geht es auch darum, zu zeigen, ob Probiotika und Veränderungen in der Ernährung positiv auf das Gedächtnis wirken", sagt Wagner.

Frühgeborenen-Studie

Einen anderen Zugang zur Erforschung der Darm-Hirn-Achse hat das Projekt "PreMiBrain" gewählt, eine Kooperation zwischen Uni Wien und Med-Uni Wien. Forschende rund um David Berry vom Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung der Uni Wien untersuchen, wie das Mikrobiom im Darm die Gehirnentwicklung von Frühgeborenen beeinflusst. Bei ihnen sind sowohl das Mikrobiom als auch das Immunsystem noch nicht voll entwickelt, was sie anfälliger für Infektionen macht und wiederum Schädigungen im Gehirn verursachen könnte.

Berry und sein Team haben daher 60 frühgeborene Babys, die bei der Geburt weniger als 28 Wochen alt waren und weniger als ein Kilo wogen, eingehend untersucht – per MRT, EEG und Blut- sowie Stuhlproben. Nach zweieinhalb Jahren Forschung gibt es erste Ergebnisse:

"Es gibt ein kritisches Zeitfenster im Entwicklungsprozess eines Babys, in dem das Immunsystem aufgebaut wird", sagt Berry. "Wenn man in diesem Fenster nicht die richtige Prägung bekommt, kann das System für das ganze Leben in einem ungesunden Zustand eingestellt sein." Die Forscher hoffen, durch Langzeitstudien mehr darüber herausfinden zu können. (Karin Krichmayr, 29.1.2021)