ORF-Redakteurin Mariella Gittler wirft in "Dok 1" einen kritischen Blick auf Goji-Beeren, Chia-Samen, Avocados & Co und zeigt heimische Alternativen auf.

Foto: ORF/Langbein & Partner

Sie heißen Quinoa, Chia-Samen, Avocado oder Goji-Beere, kommen von weit her und gelten als "Superfood": Exotische Lebensmittel liegen auch bei uns im Trend. Allerdings ist der Preis, den die Umwelt dafür bezahlen muss, oft sehr hoch. Denn Avocados beispielsweise kommen meist aus Südamerika und legen 13.000 Kilometer oder mehr zurück, bis sie in Österreich auf den Tellern oder in den Säften der boomenden Superfood-Lokale landen.

Durch die langen Transportwege ist die CO2-Bilanz negativ. Für den Anbau eines Kilogramms Avocado benötigt man durchschnittlich zwischen 1.000 und 1.500 Liter Wasser, was aufgrund der großen Plantagen etwa in Bolivien zunehmend zum Trinkwasserproblem für die einheimische Bevölkerung wird, sagt Stefan Grasgruber-Kerl von der Südwind-Agentur. Der Absatz von Avocados hat sich in Europa in den letzten zehn Jahren verfünffacht.

Alternativen in Österreich

Unter diesen Gesichtspunkten begibt sich ORF-Redakteurin Mariella Gittler in "Dok 1: Heidelbeere gegen Avocado – Unser Superfood" am Mittwoch um 20.15 Uhr in ORF 1 auf die Suche nach den Gründen, warum solche Lebensmittel boomen, und einer Antwort auf die Frage, ob nicht genügend heimische Alternativen existieren, die genauso wertvolle Omega-3-Fettsäuren, viele Vitamine oder einen hohen Gehalt an Antioxidantien haben. Gleich vorweg: Es gibt sie. Sie sind als Leinsamen, Sanddorn oder Heidelbeere bekannt und wachsen im Mühlviertel, in der Steiermark oder im Burgenland.

Clemens Rieder von der Juice Factory erzählt in der ORF-Reportage, dass in seinem Laden das mit Abstand am besten verkaufte Getränk "Green Machine" heiße. Die Zutaten sind Apfel, Avocado, Jungspinat und Zitrone. Er sieht das nüchtern: "Wir haben als Kinder unsere Oma noch verteufelt, wenn sie uns den Spinat zerkleinert hat, heute verlangen wir 4,90 Euro für ein Getränk mit Spinat. Vor 20 Jahren hätte das keiner gezahlt." Mit Superfood könnten sich Kunden "etwas Gutes" tun, man dürfte es aber auch nicht glorifizieren, sagt Rieder. Die Säfte sind auch ein Lifestyleprodukt und das Resultat gefinkelter Marketingmaschinerien.

Ernährungswissenschafter: PR-Gag

Von einer Glorifizierung von Avocado, Goji-Beeren & Co ist der Ernährungswissenschafter Jürgen König von der Universität Wien weit entfernt. Er hält vieles für einen "PR-Gag". Der Begriff "Superfood" sei ja nicht geschützt und könne dementsprechend inflationär zum Einsatz kommen. "Ich kann nicht erkennen, welcher Bestandteil der Avocado so einen besonderen Effekt auf die Gesundheit hat", so König. Und: "Die Heidelbeere kann genauso viel wie die Acai-Beere, die aus dem Amazonas kommt, aber nicht diesen weiten Weg geht."

Mariella Gittler über die Sendung

Sendungsmacherin Mariella Gittler sagt, sie sei bei Trends immer sehr skeptisch: "Nur weil mir jemand sagt, was gut und gesund für mich ist, werde ich es nicht gleich konsumieren, sondern mich zuerst darüber informieren." Dem STANDARD beantwortete sie schriftlich ein paar Fragen zu ihrer Sendung: wie sie auf das Thema Superfood gekommen ist, wie sie es selbst mit dem Konsum hält und ob die Recherchen ihren Zugang verändert haben.

STANDARD: Superfoods sind schwer im Trend. Ist das der Grund, dass Sie sich mit dem Thema befassen wollten?

Gittler: Um exotisches Superfood wie Chia, Goji und Co kommt man heute kaum noch herum. Egal ob im Supermarkt, im Kaffeehaus oder in Restaurants: Überall wird dir gesagt, wie gut diese Lebensmittel für uns sind. Ich wollte dem Ganzen auf den Zahn fühlen und herausfinden, ob Superfood wirklich so super für uns ist. Abgesehen davon bin ich selbst ein gebranntes Kind: Ich vertrage sehr viele Lebensmittel nicht und kämpfe seit meiner Jugend mit Lebensmittelallergien. Auch deshalb liegt mir das Thema – gesunde – Ernährung sehr am Herzen.

STANDARD: Bei der "Dok 1"-Schiene fließt ja immer der persönliche Zugang ein. Wie ist Ihrer zu Superfood?

Gittler: Ich bin bei Trends, egal in welchem Bereich, immer sehr vorsichtig und von vornherein eher skeptisch. Nur weil mir jemand sagt, was gut und gesund für mich ist, werde ich es nicht gleich konsumieren, sondern mich zuerst darüber informieren. Beim Superfood war das nicht anders. Ich persönlich greife nicht oft zu exotischem Superfood, weil ich immer im Hinterkopf habe, wie groß der CO2-Rucksack bei den meisten exotischen Lebensmitteln ist. Ich versuche die heimischen Alternativen zu konsumieren – die sind mindestens genauso gesund, es ist besser für die Umwelt und für unsere Landwirtschaft.

STANDARD: Nach der Beschäftigung mit dem Thema: Hat sich Ihre Einstellung geändert? Im Sinne von: Finger weg von Avocados & Co?

Gittler: Ich halte nicht viel davon, sich Dinge zu verbieten. Wenn ich einmal Lust auf eine Avocado habe, dann werde ich auch eine kaufen. Allerdings mache ich das dann sehr bewusst, und vielleicht verzichte ich dann dafür auf etwas anderes. Wichtig ist, alles mit Maß und Ziel zu machen und sich zu informieren. Seit der "Dok 1" beschäftige ich mich definitiv noch mehr mit unseren heimischen Superfoods, von denen ich viele davor noch nicht wirklich auf meinem Speiseplan hatte.

STANDARD: Welches Produkt ist für Sie am problematischsten?

Gittler: Das kann ich gar nicht so pauschal sagen. Sehr schockiert hat mich zum Beispiel die Ernte der Cashew-Nuss. Das Schalenöl ist giftig, und die Arbeiterinnen und Arbeiter haben dadurch oft so verätzte Fingerkuppen, dass sie keine Fingerabdrücke mehr haben. Ganz abgesehen davon, dass sie für die mühsame Ernte einen Hungerlohn bekommen.

STANDARD: Heimische Alternativen gibt es ja auch zur Genüge, oder?

Gittler: Absolut: Heidelbeeren, Sanddorn, Gemeiner Bocksdorn oder zum Beispiel Leinsamen – die Vielfalt ist groß. Abgesehen davon, dass unser heimisches Superfood mindestens genauso gesund ist wie das exotische, schmeckt es auch noch richtig gut. Ich bin seit der "Dok 1" ein großer Sanddorn-Fan. Unglaublich, was man aus einer Pflanze alles machen kann.

STANDARD: Tenor der Reportage ist ja, dass es in Zeiten des Klimawandels und aufgrund der CO2-Bilanz nur mehr schwer vertretbar ist, solche Produkte zu konsumieren. Was raten Sie?

Gittler: Wie gesagt, ich glaube, dass es wenig Sinn macht, sich selbst etwas zu verbieten. Konsum mit Maß und Ziel, das gilt nicht nur für Superfood, sondern zum Beispiel auch für Fleisch und Fisch. Prinzipiell ist es ja nur gut, wenn wir uns gesünder ernähren wollen. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, dass wir unsere Lebensmittel wieder mehr wertschätzen, sie bewusster konsumieren und uns darüber informieren.

Bei Superfood beispielsweise gibt es wirklich viele heimische Alternativen, die mindestens genauso viel können, nicht unter fragwürdigen Bedingungen angebaut werden und keine kilometerlange Reise hinter sich haben. Außerdem sollten wir wieder lernen, dass wir nicht alles immer zu jeder Jahreszeit auf dem Teller haben müssen. Ich fände es zum Beispiel auch wirklich sinnvoll, wenn wir ein verpflichtendes Schulfach hätten, das sich mit dem Thema Ernährung, Lebensmittelkunde und Kochen auseinandersetzt. Wir würden unserer Umwelt, unserem Gesundheitssystem und uns selbst sicher einiges ersparen. (Oliver Mark, 20.1.2021)