Informationen speichern, Wissen vertiefen: Im kindlichen Gehirn ist einiges los – auch während des Schlafs.

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Es ist gar nicht so einfach, in einen schlafenden Kinderkopf "hineinzuschauen". Anders als bei Erwachsenen klappt es bei den Kleinen nicht, dass sie in der fremden Umgebung eines Schlaflabors halbwegs entspannt übernachten. Das Labor inklusive des nötigen Messequipments muss da schon zu ihnen nach Hause kommen.

Die Elektroenzephalografie (EEG), die per Elektroden am Kopf die Gehirnströme messen kann, wird Kindern und Eltern in einem ausführlichen Vorbereitungstreffen genau erklärt. Es gibt eine Gewöhnungsnacht, in der sich die jungen Probanden mit der Labortechnik im Kinderzimmer anfreunden können. Und die Forschenden verweisen immer wieder darauf, dass die Elektroden auch jederzeit von den Eltern wieder abgenommen werden können, wenn sich die Kinder nicht wohlfühlen.

Kerstin Hödlmoser ist Wissenschafterin des am Zentrum für Kognitive Neurowissenschaften der Universität Salzburg angesiedelten Labors für Schlaf-, Kognitions- und Bewusstseinsforschung. Sie hat sich in ihrer Postdoc-Phase die Aufgabe gestellt, in dieser Weise Gehirnstromdaten von Kindern zu sammeln. Dank eines Hertha-Firnberg-Stipendiums des Wissenschaftsfonds FWF zeichnete sie mit ihren Kollegen Schlaf-EEGs von mehr als 60 Mädchen und Buben im Volksschulalter auf – ein Projekt, das bereits 2009 startete und an die drei Jahre dauerte.

Gedächtnisleistung

Das Projekt wurde zum Startpunkt einer Langzeitstudie. Denn acht Jahre später – aus den acht- bis zehnjährigen Volksschulkindern waren Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren geworden – wurden bei einem Teil der Probanden erneut die Gehirnströme vermessen, um daraus entwicklungsbedingte Veränderungen ableiten zu können.

Eine zentrale Frage dabei: Kann man von der Transformation der Gehirnaktivität in der Adoleszenz auch auf die Entwicklung der Gedächtnisleistung rückschließen?

Psychologin Kerstin Hödlmoser forscht zu Schlaf und Kognition bei Kindern.
Foto: Uni Salzburg

Im Zentrum der Aufmerksamkeit der Forschenden stehen unter anderem die sogenannten Schlafspindeln. Diese Gehirnstrommuster, deren vom EEG aufgezeichnete Form an Dornröschens Wollspindeln erinnert, bilden in bestimmten Schlafphasen ein gemeinsames Feuern von Neuronen in – für die Gedächtnisbildung wichtigen – Gehirnarealen ab und zeugen so von einer nächtlichen Informationsverarbeitung im Gehirn: "Es kommt dabei zu einer Reaktivierung – und damit einer Verfestigung – jener Muster, die auch während eines Lernvorgangs am Tag aktiv sind", sagt Hödlmoser, mittlerweile Assistenzprofessorin an ihrem Institut, über diese Konsolidierung von Gedächtnisinhalten. Gleichzeitig sind die Schlafspindeln ein Zeichen dafür, dass Reize von außen ausgesperrt bleiben.

Kinder "spindeln" anders

Kinder schlafen gewöhnlich mehr als Erwachsene. Dementsprechend bieten sich auch bessere Möglichkeiten, die Gehirnstrommuster zu untersuchen, erklärt Hödlmoser. Doch das ist natürlich nicht der einzige Unterschied zum Schlaf der Erwachsenen. Strukturell konnten die Salzburger Schlafforschenden in der Langzeitstudie zwei grundlegende Veränderungen feststellen.

Zum einen ändert sich die Geschwindigkeit der Schlafspindeln mit zunehmendem Alter. "Im Erwachsenenalter treten die Schlafspindeln meist mit einer Frequenz von 13 bis 15 Hertz – also Schwingungen pro Sekunde – auf. Auch die jugendlichen Probanden zeigten diese Frequenz. Im Kindesalter liegt sie jedoch in einem niedrigeren Bereich von etwa elf bis 13 Schwingungen pro Sekunde", sagt die habilitierte Psychologin.

Zum anderen verlagert sich auch der Ort des Auftretens der Spindeln. Hödlmoser: "Im Kindesalter sind sie vor allem im vorderen Gehirn, dem Frontallappen, zu verorten. Mit zunehmendem Alter wandern sie aber in ein hinteres Gehirnareal, den Parietallappen."

Die Wissenschafter versuchten nun, diese Veränderungen auch mit der Informationsspeicherfähigkeit des Gehirns in Zusammenhang zu bringen – und wurden auch hier fündig. "Je stärker die Veränderungen der Gehirnstrommuster vom Kindes- ins Jugendalter ausfielen, desto besser waren auch die Gedächtnisleistungen", sagt Hödlmoser.

Langsame Oszillationen

Darauf aufbauend wird der Datensatz nun mit einem neuen methodischen Ansatz unter die Lupe genommen: Neben den schnellen Schlafspindeln gibt es ein weiteres Gehirnstrommuster, das in geringerer Frequenz auftritt. Diese sogenannten langsamen Oszillationen, die nur bis zu zweimal pro Sekunde schwingen, sind ebenfalls relevant für die Einspeicherung von Informationen im Gedächtnis, erklärt Hödlmoser.

Besonders gut scheint die Konsolidierung von Erinnerungen aber zu funktionieren, wenn die langsamen Oszillationen in einer abgestimmten Kombination mit den Schlafspindeln auftreten. "Bisher hat man in der Forschung diese beiden Muster immer gesondert betrachtet. Jetzt versuchen wir, sie verstärkt in ihrem Zusammenspiel zu verstehen", sagt die Schlafforscherin.

Treten die beiden Oszillationen gekoppelt auf, sind die schnellen Spindeln also gut in das langsame Signal eingebettet, spricht das auch für eine bessere Verbindung zwischen verschiedenen Gehirnarealen wie Hippocampus, Thalamus und Großhirnrinde, was sich positiv auf die Gedächtnisleistung auswirkt. "Je besser das Timing, desto besser funktioniert die Kommunikation", erklärt Hödlmoser.

Zwei Tipps für Kinderbücher:
"Ilvy schläft gut" und "Clever im Schlaf lernen" wurden u.a. von Kerstin Hödlmoser verfasst und sind in der Edition Riedenburg erschienen.
Edition Riedenburg
Edition Riedenburg

Gemeinsam mit Randolph Helfrich von der University of California in Berkeley und ihrem Kollegen Michael Hahn, der im Salzburger Labor seine Doktorarbeit zu diesem Thema verfasst, untersuchte die Forscherin diesen Zusammenhang am Datensatz der Langzeitstudie. Sie fanden dabei heraus, dass diese Kopplung der langsamen Oszillationen und der Spindeln mit dem Erwachsenwerden offenbar stärker wird, was auch mit besseren Gedächtnisfähigkeiten einhergeht.

Frühe Gedächtnismuster

Mit den Erkenntnissen ergeben sich auch weitere Forschungsfragen. In einem neuen FWF-Projekt am Salzburger Schlaflabor, geleitet von Manuel Schabus und Monika Angerer, wird etwa die nächtliche Gehirnaktivität von Babys untersucht, um mehr über die frühe Entwicklung der Gedächtniskonsolidierung herauszufinden.

Natürlich wäre es auch interessant, die Gehirnstrommuster mit weiteren Fähigkeiten in Zusammenhang zu bringen – etwa mit einer allgemeinen Intelligenz. Eignet sich die Schlafarchitektur vielleicht sogar als biologischer Marker für die Leistung des Gehirns? Und welche Entwicklungsaspekte sind nun eigentlich genetisch vorgegeben, welche durch Erfahrungen formbar?

Übrigens: Hoffnungen auf die Verbesserung der Gedächtnisleistung durch Manipulation der Gehirnströme im Schlaf müssen bisher leider enttäuscht werden. Versucht man, die Schlafspindelaktivität künstlich zu erhöhen – etwa mittels beruhigend wirkender Benzodiazepine oder durch Stimulation mittels Neurofeedbacktrainings oder Gleichstroms –, nimmt die Gedächtnisleistung erwiesenermaßen nicht wesentlich zu. (Alois Pumhösel, 23.1.2021)