Im Institut für Forensik in Tripolis sind Gegenstände ausgestellt, die aus einem Massengrab in Tarhouna aus dem Jahr 2019 standen. Die Tötungen werden den Truppen von General Khalifa Haftar zugeschrieben.

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Zwischen Hoffnung und Skepsis sind Beobachter des derzeit laufenden Versuchs hingerissen, den politischen Prozess in Libyen neu zu starten: Fast zehn Jahre nach dem Sturz des Regimes von Muammar al-Gaddafi geht es in dem schwer gespaltenen nordafrikanischen Land um nicht weniger als um die Frage, ob es in seiner jetzigen territorialen Form eine Zukunft haben wird. In Genf einigten sich am Dienstag die Vertreter des neu aufgesetzten "Libyschen Politischen Dialogforums" (LPDF) auf die Formel für die Einsetzung einer von allen Regionen akzeptierten Übergangsregierung, die Libyen im Dezember 2021 in Wahlen führen soll.

Seit 2014 waren der Westen mit der Hauptstadt Tripolis und der Osten mit dem Zentrum Bengazi nicht nur politisch geteilt, sondern auch in einen Bürgerkrieg verstrickt. Im Juni 2020 scheiterte eine Offensive des starken Mannes des Ostens, General Khalifa Haftar, gegen Tripolis nach 14 Monaten endgültig. Die militärische Überlegenheit des vor allem von den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten und Russland unterstützten Haftar hatte sich angesichts des türkischen Eingreifens auf der Seite von Tripolis und Premier Fayez al-Serraj aufgelöst. Die Truppen von Serrajs – zumindest theoretisch – international anerkannten Regierung konnten zuvor von Haftar eroberte Gebiete teilweise zurückerobern.

Der in Genf im Oktober ausgehandelte Waffenstillstand fror die Frontlinie ein – nicht jedoch die Aktivitäten auf beiden Seiten, sich für eine weitere Auseinandersetzung zu rüsten. Bereits bei einer Libyen-Konferenz im Jänner 2019 in Berlin war eines der Hauptziele gewesen, die militärische Unterstützung der Kriegsparteien durch externe Akteure zu stoppen, mit wenig Erfolg.

Regionaler Kontext

Abgesehen von den internen Verwerfungen ist der Libyen-Konflikt auch im Kontext der regionalen Auseinandersetzung zwischen den selbsternannten antiislamistischen beziehungsweise Anti-Muslimbrüder-Kräften einerseits und der Türkei und ihren Verbündeten andererseits zu sehen. Da – auch angesichts der politischen Neuaufstellung in Washington – zuletzt verstärkt Entspannungsversuche im Gange waren, sind die Voraussetzungen zurzeit etwas besser als früher. Zu den Entwicklungen gehören etwa die Normalisierung zwischen dem "Quartett" (Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Bahrain, Ägypten) mit dem Türkei-Verbündeten Katar, die leichte Entspannung zwischen Saudi-Arabien und der Türkei sowie zwischen Israel und der Türkei, aber auch der Besuch des ägyptischen Vizegeheimdienstchefs in Dezember in Tripolis. Allerdings bleiben viele Fragen ungelöst.

Der gordische Knoten in Libyen ist besonders schwer zu durchschlagen. Haftar ist durch seine Niederlage geschwächt, seine Unterstützer haben sich distanziert. Der als politische Figur für den Osten eingesprungene Aguila Saleh wird aber von Serraj – der eigentlich zurücktreten wollte, wovon aber jetzt keine Rede mehr ist – nicht akzeptiert. Überhaupt schien Serraj zuletzt wieder parallel zur Uno-Vermittlung die Chancen auf die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit auszuloten, offenbar um seinen eigenen Innenminister Fathi Bashaga, der als Premier im Gespräch ist, aus dem Spiel zu drängen.

Auf Mechanismus geeinigt

Vergangenes Wochenende verkündete jedoch die interimistische Uno-Beauftragte für Libyen, Stephanie Williams, einen "Durchbruch": Ein 18-köpfiges Subkomitee (Advisory Committee) des Dialogforums LPDF einigte sich auf den Mechanismen zur Wahl einer Übergangsexekutive, die alle Teile des Landes einbinden soll. Am Dienstag wurde das Procedere von den 75 Dialogforum-Mitgliedern – nach einigem Widerstand und langen Diskussionen, aber doch – abgesegnet.

Wenn der Konsens hält, wäre die in Tunesien Mitte November beschlossene Libyen-"Roadmap" wieder auf Schiene. Allerdings bleibt der Prozess brüchig, und vor den Wahlen sind noch viele Brocken wegzuräumen, etwa eine Einigung auf die verfassungsrechtliche Grundlage. Und dann müssen noch genügend Wähler und Wählerinnen zu den Urnen gebracht werden: Eines der Probleme der Wahlen in Libyen nach dem Umsturz 2011 war stets die geringe Wahlbeteiligung, die zu einer geringen Akzeptanz der Ergebnisse führte.

Uno-Beauftragter Kubiš

Seit Montag hat die Unsmil (U.N. Support Mission in Libya) auch wieder einen neuen Chef: den slowakischen Ex-Außenminister Jan Kubiš, der zuletzt im Libanon und zuvor schon im Irak und in Afghanistan für die Uno im Einsatz war. Die Besetzung des Postens, den Ghassan Salamé im März 2020 frühzeitig verlassen hatte, war gar nicht so einfach. Der Bulgare Nikolai Mladenow, der dafür vorgesehen war, hatte sich kurzfristig zurückgezogen.

Die Uno zeichnete auch für den ersten Versuch verantwortlich, für das geteilte Land eine gemeinsame Regierung aufzustellen: Aber die aus der Konferenz von Skhirat in Marokko im Dezember 2015 hervorgegangene Regierung der nationalen Übereinkunft unter Serraj wurde von den politischen Vertretern des Osten des Landes, vor allem von Haftar, nie akzeptiert.

Misslingt die Stabilisierung auch diesmal, so ist die Zukunft Libyens düster: Das ölreiche Land ist von politischem Vakuum und Milizenunwesen gezeichnet; die humanitäre Situation von Migranten und Migrantinnen, die dort feststecken und oft Opfer organisierter Kriminalität werden, ist katastrophal. Die Covid-Krise ist ebenfalls längst angekommen, ihr wahres Ausmaß ist angesichts des Fehlens belastbarer Daten schwer einzuschätzen. (Gudrun Harrer, 20.1.2021)