Bloß keine Nadeln! Manche Betroffene fallen schon beim Anblick eines Fotos in Ohnmacht.

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Die Corona-Impfung erfüllt viele mit Hoffnung auf eine Rückkehr zur Normalität. In der medialen Berichterstattung kommt man daher derzeit nicht an Bildern von Spritzen vorbei, die in nackte Oberarme gestochen oder stolz in die Kamera gehalten werden. Bei Menschen, die unter einer sogenannten Blut-, Verletzungs- und Injektionsphobie leiden, lösen solche Bilder blanke Panik aus.

Es sind gar nicht so wenige, die darunter leiden. Bis zu 20 Prozent der Bevölkerung sind von einer Furcht vor Blut oder Nadeln betroffen. Bei etwa drei bis vier Prozent nimmt die Angst starke Ausmaße an. Sie gehen nicht mehr zum Arzt und wollen nicht, dass ihnen Blut abgenommen wird. Folglich verpassen sie Untersuchungen und gefährden langfristig damit ihre Gesundheit. Häufig meiden Betroffene sogar den Zahnarzt, weil ja auch dort Spritzen zur Schmerzlinderung verabreicht werden, berichtet der Psychologe Johannes Lanzinger von der Praxis Phobius, die auf Angststörungen spezialisiert ist.

Mit der medialen Berichterstattung über die Impfung geht es vielen derzeit nicht gut: "Es gibt Betroffene, die werden alleine schon beim Anschauen einer Spritze ohnmächtig", sagt der Psychologe. Er merkt derzeit auch vermehrt Anfragen dazu in seiner Praxis.

In der Situation selbst kann sich die Angst Betroffener ins Extreme steigern. Das autonome Nervensystem wird aktiviert. Stress, Anspannung und Blutdruck gehen in die Höhe. "Und in dem Moment, in dem die Nadel in die Vene sticht, passiert plötzlich das genaue Gegenteil", berichtet Lanzinger. Der Blutdruck fällt schlagartig ab. Bei mehr als 60 Prozent der Betroffenen kann das zu einer Ohnmacht führen.

Zunahme von Stress

Was steckt hinter der Angst? "Jeder Mensch hat eine angeborene Angst vor einer Verletzung", sagt Lanzinger. Bei fast jedem Menschen gebe es daher kurz vor einer Impfung oder einer Blutabnahme eine physiologische Reaktion, also eine leichte Zunahme von Stress. "Bei einem Phobiker ist diese Reaktion aber viel, viel stärker."

Betroffene würden immer wieder berichten, dass sie für eine Blutabnahme oder eine Impfung von mehreren Menschen niedergerungen werden müssen. "Das ist natürlich auch nicht gut für den Verlauf einer Phobie", sagt Lanzinger. Traumatische Erlebnisse steigern sie, wenn bereits eine Grundangst vorhanden ist. Sie ist zu 70 Prozent sogar genetisch bedingt. Der Rest sind Umwelterfahrungen. "Man kann also sehr wohl eine unangenehme Situation erlebt haben und daraus keine Phobie entwickeln", betont der Psychologe.

Die gute Nachricht für Menschen, die unter dieser Phobie leiden: Eine Therapie ist relativ unkompliziert – und durchaus erfolgversprechend. In Lanzingers Praxis lernen Betroffenen Techniken, wie sie die Angst meistern und eine Ohnmacht verhindern können. Das Konzept nennt sich angewandte Anspannung. Dabei werden alle Muskeln angespannt, um einen Blutdruckabfall, der zur Ohnmacht führt, zu verhindern. Auch Entspannungsmethoden können helfen.

Virtuelle Realität

In einem nächsten Schritt werden Betroffenen erst Bilder und Zeichnungen von Spritzen, später auch Videos gezeigt. Dabei sollen sie das Entspannen üben. Als Höhepunkt wird der Patient mittels Virtual Reality in eine Situation versetzt, in der eine Spritze verabreicht wird. Der Therapeut berührt dann die Stelle am Oberarm, an dem die Spritze in der virtuellen Realität verabreicht wird, mit einer Gabel. "Das wirkt sehr echt", sagt Lanzinger.

Oft sei es im Anschluss für Betroffene möglich, alleine zur Blutabnahme oder zu einer Impfung zu gehen. "In manchen Fällen geht der Therapeut aber auch mit", so Lanzinger. Bei manchen trete schon innerhalb kurzer Zeit eine deutliche Besserung ein, bei anderen geht die Angst nie ganz weg. "Aber oft ist es schon ein Erfolg, wenn jemand nach 20 Jahren wieder einmal zur Blutabnahme gehen kann – auch wenn das immer noch unangenehm ist", so Lanzinger.

Spezielles Impfangebot

Zur Corona-Impfung werden Menschen mit einer Spritzenphobie eher nicht gehen, ist Lanzinger überzeugt: "Auch wenn die Person zu hundert Prozent einsieht, dass das sinnvoll wäre."

Menschen, die zwar Angst haben, mit der Situation aber umgehen können, könne man aber erreichen. Vor allem auch über Gesundheitspersonal, das auf Ängste der Patientinnen und Patienten eingeht und verständnisvoll reagiert. Aussagen wie "Stellen Sie sich nicht so an" oder eine genervte Reaktion würden die Situation für Betroffene noch schlimmer machen: "Aber wenn es ein Impfangebot mit eigener Begleitung für Angstpatienten geben würde, könnte das funktionieren."

Hilfreich wäre es aber auch schon, so der Experte, wenn bei Impfkampagnen und in Medienberichten keine Bilder von Spritzen verwendet werden würden. (Franziska Zoidl, 9.2.2021)