Seit Montag sind Geschäfte in der Schweiz geschlossen, es gilt Homeoffice-Pflicht, wo dies möglich ist, und die Schließung von Restaurants und Kulturbetrieben wird bis Ende Februar verlängert. Schulen und Skigebiete bleiben freilich offen.

Foto: mago images/Geisser

Für den Skiort Wengen im Berner Oberland war es das Worst-Case-Szenario: Anfang des Jahres, wenige Tage vor der weltberühmten Abfahrt am Lauberhorn, wurde das Dorf zum Corona-Hotspot. Ein britischer Tourist infizierte in seinem Hotel 30 Gäste und Angestellte mit dem neuen, hochansteckenden Virus. Am 11. Jänner verbot die Regierung des Kantons Bern die Rennen. Für das Dorf und die Weltcup-Veranstalter nicht nur ein Imageschaden, sondern auch ein finanzieller Verlust von zwei Millionen Franken.

"Ich kann nicht verstehen, dass der Bundesrat zuließ, dass über Weihnachten so viele Touristen ohne negativen Corona-Test bei uns Ferien machen durften", klagte der Begründer des Lauberhornrennens, Fredy Fuchs, der über 40 Jahre lang als Rennleiter amtiert hatte, in der Boulevardzeitung "Blick". "Kein Wunder, dass wir jetzt so viele Corona-Fälle bei uns haben."

Notbremse gezogen

Zwei Tage später reagierte die Schweiz dann doch – aufgeschreckt durch das neue Virus aus Großbritannien. Obwohl die Fälle seit November sinken, beschloss Bern letzte Woche schärfere Maßnahmen und verlängerte die geltende Schließung von Restaurants, Freizeit- und Kultureinrichtungen bis Ende Februar. Wo es möglich ist, müssen die Angestellten von zu Hause aus arbeiten; privat dürfen sich höchstens fünf Personen aus zwei Haushalten treffen. Läden, die nicht Güter des täglichen Bedarfs anbieten, werden geschlossen.

"Die Schweiz funktioniert weiter. Wir können weiterarbeiten, den öffentlichen Verkehr benützen und die Kinder zur Schule schicken", betonte Innenminister Alain Berset im Schweizer Fernsehen. "Es gibt keinen Lockdown. Aber wir müssen die Kontakte reduzieren, um die Übertragungen zu verringern", so der sozialdemokratische Politiker. In der Tat: Im Unterschied zu anderen Ländern bleiben die Skigebiete und die Schulen offen. Für viele Schweizer fühlten sich die seit Montag geltenden Einschränkungen dennoch einschneidend an, war man doch an lockere Vorschriften gewöhnt. Ausgangssperren standen nie zur Debatte; Großveranstaltungen, Fußball- und Eishockeyspiele mit Publikum waren bis im Oktober möglich, Lokalbesuche bis Mitte Dezember.

Milliardenhilfen

Auch Hilfsgelder fließen nun in die Wirtschaft: Das Parlament beschloss, dass Unternehmen, die schließen müssen, für ihre Kosten entschädigt werden; 2,5 Milliarden Franken (2,3 Milliarden Euro) stehen dafür zur Verfügung. Auch Kurzarbeitsgelder fließen reichlich, weil Hunderttausende ihr Arbeitspensum reduzieren mussten; es dürften Zusatzkosten von 20 Milliarden Franken anfallen (18,6 Milliarden Euro). Zum Vergleich: Österreich hat bislang über 30 Milliarden Euro an Corona-Hilfen bereitgestellt.

Die Schweiz kann sich diese Ausgaben leisten, angesichts ihrer tiefen Schuldenquote von rund 25 Prozent – in Österreich soll sie 2020 über 80 Prozentsteigen. Dank der Kurzarbeit blieb die Arbeitslosigkeit mit 3,1 Prozent relativ tief. In Österreich lag sie zuletzt mit 5,2 Prozent im europäischen Mittelfeld. Und doch gilt auch in der Schweiz: "Die berufliche und finanzielle Situation ist kritisch für viele Schweizerinnen und Schweizer", stellt Michael Hermann fest, der für den Schweizer Rundfunk SRG regelmäßige Corona-Umfragen durchführt. Es zeige sich, "dass Geringverdienende besonders von Einkommensrückgängen betroffen sind, gleichzeitig aber Ausgaben nicht stärker als die Besserverdienenden reduzieren können". Denn die Fixkosten wie Miete, Essen und Krankenversicherung laufen weiter, auch wenn das Einkommen krisenbedingt zurückgeht.

Vorbild oder Abschreckung

Der Vergleich mit Österreich offenbart, welch Gratwanderung die Krisenpolitik darstellt. Wie streng die Einschränkungen sind, beschreibt der Oxford-Stringency-Index. Bei einem Wert von 100 würden Regierungen in jedem Bereich maximal zudrehen. Die Schweiz kam im Vorjahr nie über einen Wert von 73 im April hinaus. Österreich erreichte während des ersten Lockdowns einen Wert von 81. Durch Lockerungen in beiden Ländern befand man sich Anfang Oktober mit einem Wert von 40 auf dem gleichen, niedrigeren Niveau.

Dann verschärfte Wien die Maßnahmen, auf den zweiten Lockdown folgte mit einer Weihnachtspause der dritte. Im letzten Quartal 2020 blieben die Einschränkungen in Österreich fast durchgehend auf einem hohen Niveau (über 80). Die Schweiz zieht erst jetzt richtig nach.

Die unterschiedlichen Ansätze spiegeln sich in den Infektionszahlen und Sterbefällen wider. Bei der Übersterblichkeit verzeichnen beide Staaten einen deutlichen Anstieg im Winter 2020. Nur die Schweiz wies auch während der ersten Welle mehr Sterbefälle als üblich auf. Pro Kopf registrierten die Schweizer ein Fünftel mehr Infektionen und Sterbefälle als die Österreicher. In absoluten Zahlen bedeutet das, im Vorjahr starben rund 1.500 Covid-Patienten mehr im de facto gleich großen Nachbarland.

Dass Österreich trotz harter Lockdowns sehr unterschiedlich durch die beiden Wellen der Pandemie kam, verdeutlicht, wie schwierig es ist, Beschränkungen effizient zu gestalten. In der Schweiz ließ man lange Zeit locker und zog nun die Notbremse. Fest steht, wirtschaftlich kamen die Eidgenossen bisher äußerst glimpflich durch die Krise. (Klaus Bonanomi aus Bern, Leopold Stefan, 20.1.2021)