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Johannes Benecke und Naemi Latzer an der imaginierten Reling in "Das weiße Dorf" im Theater Drachengasse.

picturedesk/Andreas Friess

Sage noch einer, die Zeit der Dialogstücke am Theater wäre vorbei. Figuren zerbröseln zwar in vielen zeitgenössischen Dramen vor unseren Augen und mit ihnen das soeben Gesprochene. Doch während die Realitäten auf den Bühnen gern unzuverlässig werden, erblühen an anderer Stelle die brillantesten Gespräche zwischen Menschen aus Fleisch und Blut. In Teresa Doplers Zweipersonenstück Das weiße Dorf beispielsweise.

Die 1990 in Oberösterreich geborene Autorin, Absolventin des UniT-Lehrgangs "Forum Text", lässt es im Dialog eines ehemaligen Liebespaars, das sich nun zufällig wiederbegegnet, nur so knistern. Es knistert hier aber keine Romantik, sondern es knistern die Maskierungen der Perfektion.

Ivan und Ruth sind so sehr auf Souveränität getrimmt, dass einfach nichts schiefgehen kann – und darf. Vor einigen Jahren führten sie eine Beziehung, doch dann ging Ivan zwecks Aufstiegs nach Amerika, verließ Ruth, und sie suchte sich dann einen neuen Freund. Nun befinden sich beide mit ihren aktuellen Lebensgefährten an Bord eines Kreuzfahrtschiffes, das nobel über den Amazonas gleitet.

Zelebrierte Mimik

Teresa Dopler zeigt zwei Menschen, die mit dem Wappnen ihres Lebens so beschäftigt sind, dass nichts mehr an sie herankommt, auch nicht die brasilianische Urwaldschönheit. Sie polieren ihre Oberflächen – entlang eines fabelhaft einfachen Dialogs, der sich vor lauter Freundlichkeit am Ende beklemmend im Nichts auflöst.

Valerie Voigts Uraufführungsinszenierung im Theater Drachengasse bringt dieses Uneigentliche der Protagonisten hervorragend zur Geltung. Ruth (Naemi Latzer) und Ivan (Johannes Benecke) stehen an der imaginierten Reling und zeigen die schönsten Manierismen von Menschen unter Dauerselbstkontrolle: eine zelebriert offenherzige Mimik, gut eintrainierte Gelassenheit, selbstoptimierte Posen und eine erstklassige Aussprache voller unaufdringlicher Selbstsicherheit.

Liebes-Smalltalk

Es ist wie ein ewiger Smalltalk der Liebe, in dem höflich abgewogen wird, bis alles im ewigen Lot ist. Man pflichtet einander bei, und am Ende jeder Einigung wird gelacht. Und obwohl die beiden voneinander immer noch angezogen sind, wird es am Ende gut gewesen sein, sich damals getrennt zu haben. Einfach deshalb, weil falsche Entscheidungen nicht ins Lebenskonzept passen. Die Schauspieler meistern das glänzend, ihre Bewegungen und Gesichter sind spannendes Falschspielerterrain. Als Antipoden zur Seite gestellt ist ihnen ein im knöcheltiefen Amazonas-Wasser (Bühne: Thomas Garvie) tänzelndes Paar (Hugo Le Brigand, Julia Müllner) als alternativer Entwurf zu ihnen.

Junge Erwachsene im Ich-Komplex gefangen: Das galt schon für Doplers Debüt Was wir wollen, uraufgeführt am Landestheater Innsbruck. Für Das weiße Dorf erhielt sie 2019 den Autor*innenpreis des Heidelberger Stückemarkts. Im März folgt in St. Pölten Monte Rosa. Es gilt ein Talent zu entdecken: Dopler erfasst die Dilemmata europäischer Privilegierter in unangestrengten Dialogen und in aller Schärfe. (Margarete Affenzeller, 20.1.2021)