Schaut "ein bisschen neidisch" auf Food-Marken wie den "Falstaff" aus Österreich: Jessica Peppel-Schulz, CEO des "Vogue"-Verlags Condé Nast für Deutschland.

Foto: Condé Nast / Gert Krautbauer

"Vogue", "Glamour", "AD", "GQ": Diese noch immer klingenden globalen Luxusmedienmarken will das US-Medienhaus Condé Nast künftig global zusammenführen, überregional jedenfalls. Dafür hat der traditionsreiche Konzern seit 2020 erstmals einen weltweiten CEO und nun auch erstmals eine Europachefin, die Spanierin Natalia Gamero del Castillo. Für die Deutschland-Chefin Jessica Peppel-Schulz könnte das bedeuten, dass ihr Job das Jahr 2021 nicht übersteht, spekulieren deutsche Branchendienste.

Im STANDARD-Interview spricht Peppel-Schulz über die digitale Konkurrenz und die vielleicht zu lange Konzentration auf gedruckte Magazine, über die hauseigene Agentur und das Verhältnis von Journalismus und Werbung, über rote Zahlen bei ihrem Engagement 2019 und über ihr kolportiertes Ablaufdatum als Deutschland-CEO von Condé Nast – das allerdings recht unkonkret.

"Thema Digital total vernachlässigt"

STANDARD: Der Verlag des Luxusmagazins "Vogue" im großen Markt Deutschland in tiefroten Zahlen: Das wäre vor einigen Jahren noch ziemlich schwer vorzustellen gewesen. Wie kommt es dazu?

Peppel-Schulz: Das war natürlich vor meiner Zeit. Ich bin im Frühjahr 2019 gekommen, um genau das zu ändern. Die hohen Verluste haben sich über einige Jahre angesammelt. Die vorherige Führung hat in Deutschland das Thema Digital total vernachlässigt – auch um aus diesen starken Marken heraus neue digitale Geschäftsmodelle zu schaffen. Die Leidenschaft für große Printmagazine hat auch für Stillstand gesorgt. Man hat versucht, die Printumsätze zu retten. Aber auch das nicht konsequent genug.

STANDARD: Damit haben wir noch nicht erklärt, warum man mit so starken Printmarken in die Verlustzone kommt. Schon klar, das Internet – aber vielleicht können Sie die Marktlage und neue Konkurrenz erläutern.

Peppel-Schulz: Das Verhalten unserer Konsumenten hat sich grundlegend verändert. Sie sind vor allem in den Social Channels, Instagram und Tiktok unterwegs, kommunizieren so untereinander, kommunizieren anders. Zudem sind andere und neue Content-Anbieter hinzugekommen, die sich auch schneller digitalisiert und viel individueller ausgerichtet haben. Influencer mit entsprechender Reichweite werden nicht nur von den Konsumenten, sondern auch von der werbetreibenden Industrie verstärkt nachgefragt. Wir haben es in den letzten Jahren nicht schnell genug geschafft, unsere Relevanz auszuspielen. Condé Nast hat dennoch sehr lange gute Zahlen geschrieben. "Vogue", "AD", "Glamour" und "GQ" sind stabiler als der Markt, die Abozahlen von "Vogue", "AD" sind zweistellig gestiegen.

STANDARD: Die Werbeerlöse werden Sie vermutlich auch mit digitalen Angeboten nicht zurückholen – die sind vor allem bei Google, Facebook und Co.

Peppel-Schulz: Wir haben unsere digitalen Reichweiten 2020 sehr deutlich um über 40 Prozent über alle Marken hinweg gesteigert. Aber ja, wir werden nur mit Digital nicht aufholen können, was wir an Printumsätzen einbüßen. Aber Digital plus weitere Geschäftsmodelle – das ergibt auf Sicht ein profitables Geschäft.

"Unser eigenes Design, ein hochprofitables Geschäft"

STANDARD: Welche Geschäftsmodelle sind das?

Peppel-Schulz: Wir haben die Frequenz unserer "Glamour"-Shopping-Weeks verdoppelt, machen nun vier pro Jahr. Mit der "Vogue Collection" haben wir die Marke Vogue sinnvoll erweitert, verkaufen unser eigenes Design – ein hochprofitables Geschäft. Mit "AD" haben wir die AD Culture Consultancy gelauncht, entwickeln auf Basis unserer langjährigen Expertise Strategien, um neue ebenso wie bestehende Räume und Gebäude in ausdrucksstarke Orte des Lebens und Erlebens zu transformieren. So gestalten wir mit AD Lebens- und Arbeitskultur.

STANDARD: Eine britische Zeitungsjournalistin berichtete auf Twitter ihre Erfahrungen mit einem Kosmetikunternehmen. Sie wollte über dessen Produkte redaktionell berichten und wurde vom Unternehmen aufgefordert, eine "Influencer-Genehmigung" zu beantragen. Drehen sich da gerade die Verhältnisse um?

Peppel-Schulz: In dieser disruptiven Welt brauchen Unternehmen immer mehr ein Umfeld, das ihren Marken gerecht wird, sind entsprechend vorsichtig geworden. Vertrauen ist ein relevanter Schlüssel, ebenso Nähe zum Konsumenten. Das ist ein ganz entscheidender Vorteil von solch starken Medienmarken wie unseren. Wir werden schon auch gefragt: Seid ihr nicht auch Influencer? Grundsätzlich richtig, aber wir bieten unseren Industriepartnern vor allem auch ein sicheres Umfeld für die Platzierung ihrer Marke.

"Müssen darauf achten, Journalismus und Werbung weiter stark zu trennen"

STANDARD: Das Unternehmen sagt mit dem Influencer-Check aber doch aus: Du darfst nur über uns – redaktionell – berichten, wenn du nett bist.

Peppel-Schulz: Das darf nicht passieren. Wir müssen sehr darauf achten, Journalismus und Werbung weiter stark zu trennen. Journalismus muss frei, unabhängig und kritisch berichten dürfen. Und natürlich leben auch wir stark von Werbung. Aber Journalismus ist der Kern von Condé Nast. Wir sind mit Medienmarken wie "Vogue" oder "AD" seit über 100 Jahren eine Autorität. Unabhängigkeit und Freiheit haben höchste Relevanz für uns, Vertrauen ist unser wichtigstes Gut. Das wissen auch unsere Industriepartner sehr gut.

STANDARD: Wie verhält sich das mit Shoppingangeboten Ihrer Medien?

Peppel-Schulz: Mit der "Vogue Collection" verkaufen wir nur eigene, nachhaltige Produkte – keine anderen Marken. Die "Glamour Shopping Week" ist eine Plattform für unsere Retail-Partner. Wir haben hier eine klare Trennung. Bei Influencern gibt es einen fließenden Übergang.

STANDARD: Nun berichten mir Kollegen aus dem Lifestyle-Bereich vom Unmut einiger PR-Agenturen, die "Vogue" würde redaktionell jene Marken bevorzugen, die Werbung schalten.

Peppel-Schulz: Das höre ich zum ersten Mal.

"Deutsche Kunden suchen internationale Beratungen"

STANDARD: Wie funktioniert da Ihre unternehmenseigene Werbeagentur CNX?

Peppel-Schulz: Mit CNX haben wir eine Creative Consultancy gegründet, die sich aus dem Bedürfnis der Kunden entwickelt hat: Werbekunden haben uns schon immer weltweit gefragt, ob wir nicht für sie auch die Beratung, die Kreation übernehmen können. Im Premium- und Luxussegment hat Condé Nast eine unangefochtene Kernkompetenz. Mit CNX bedienen wir nun dieses Bedürfnis, um Markenstrategien und einzigartige Brand Experiences zu entwickeln.

STANDARD: Und Sie kamen ja mit Agenturerfahrung von der deutschen Digitalagentur UDG United Digital Group zu Condé Nast.

Peppel-Schulz: Ich habe gesehen, dass das größer gedacht werden kann. Unsere potenziellen Kunden im Luxus- und Premiummarkt sind meist global, Condé Nast ist das ebenso. Deutsche Kunden suchen internationale Beratungen. Und es gibt keine Beratung in Deutschland mit diesem speziellen Expertenwissen. Wir haben mit unserem Netzwerk also daraus eine globale Strategie gemacht. In New York gab es CNX schon als große und angesehene Agentureinheit von Condé Nast.

STANDARD: Ihre Medien könnten beim Werbeverkauf bei CNX-Kunden ein einfacheres Entrée haben.

Peppel-Schulz: Wir sehen mit CNX eher abseits des klassischen Werbeverkaufs auch Interesse an unseren Beratungsangeboten.

"In fünf Jahren modern und profitabel"

STANDARD: Wie wird denn Condé Nast Deutschland in, sagen wir, fünf Jahren aussehen?

Peppel-Schulz: Wir werden ein modernes und profitables Medienunternehmen sein – das sind wir heute noch nicht. Denn noch hängen unsere Umsätze mehrheitlich von Print ab. Wir müssen uns weiter stärker diversifizieren. Künftig soll ein Drittel von Print kommen – und zwei Drittel aus neuen Geschäftsmodellen. Und wir sind eine der Topmarken als Arbeitgeber für digitale Talente.

STANDARD: Condé Nast hat seit 2019 mit Roger Lynch erstmals einen globalen CEO, verantwortlich für alle Länderaktivitäten. Was bedeutet das?

Peppel-Schulz: Er führt Condé Nast global enger zusammen und macht damit eine weltweit führende Medienmarke noch stärker. Aber auch Synergien – wie zum Beispiel Content-Syndizierung – für die bisher sehr heterogen geführten Medienmarken so besser nutzen.

STANDARD: Ein aufwendiges Fotoshooting muss nicht jede regionale "Vogue"-Ausgabe selbst machen. Wie hoch ist denn der internationale Anteil bisher?

Peppel-Schulz: Sehr gering. Und er muss größer werden. Andere Länder sind da weiter. In Deutschland wurde die internationale Zusammenarbeit in der Vergangenheit sehr vernachlässigt. Es ist weder wirtschaftlich noch ökologisch nachhaltig vertretbar, dass zum Beispiel bestimmte Modemarken von 26 Condé-Nast-Ländern einzeln besucht und geshootet werden. Es gibt gerade in Deutschland noch ein großes Optimierungspotenzial. Digital sind wir in der Zwischenzeit schon besser aufgestellt und haben in kurzer Zeit auch unsere Audience massiv ausgebaut mit unseren Initiativen.

STANDARD: Die langjährige Chefredakteurin der deutschen "Vogue", Christiane Arp, ist vor wenigen Wochen gegangen, wohl mit Blick auf diese Entwicklung. Wie erklären Sie den Abgang der 17 Jahre prägenden "Vogue Deutschland"-Chefin?

Peppel-Schulz: Ich fühle eine große Anerkennung und Respekt für die Entscheidung von Christiane, die fast zwei Jahrzehnte eine Ära bei und mit der "Vogue" und damit in der deutschen Fashionbranche geprägt hat. "Vogue" ist die Leitinstanz, und mit Christiane geht die herausragende Botschafterin der Marke. "Vogue" wird redaktionell übergangsweise von einem Interimsteam geführt. Die Leitung dieses Teams hat Stephanie Neureuter, langjährige Beauty Director bei Condé Nast Germany und eine der profiliertesten Beauty-Journalistinnen in Deutschland, übernommen und führt nun die Marke gemeinsam mit Andrea Latten, die als Executive Business Director den Businessbereich der Marke verantwortet.

STANDARD: Ist – digital, in Print gibt es ja Abo-Erlöse – Paid Content ein Thema bei Condé Nast Deutschland, oder setzen Sie digital lieber auf Reichweite?

Peppel-Schulz: Es geht uns nicht um maximale Reichweite. Es geht uns um qualifizierte Reichweite, um Zielgruppen im Luxus- und Premiumsegment für die werbetreibende Industrie eindeutiger und besser performant zu targeten. Maximale oder breitere Reichweite müssen sich die Werbungtreibenden woanders suchen. Wir setzen darauf, unsere qualifizierte Reichweite zu monetarisieren. Wir glauben auch nicht an Paywalls bei unseren vier Marken – "Vogue", "Glamour", "AD" und "GQ" – in Deutschland. Wir sehen Teile davon monetarisierbar, aber nicht den Gesamtcontent.

"Nehme jede Medienmarke ernst" – auch österreichische

STANDARD: Es gibt österreichische Verlage, die auch in Deutschland im – grob gesagt – Lifestyle-Bereich aktiv sind. Wie nehmen Sie zum Beispiel "Flair", "Domus" und "Home" der Ahead-Mediengruppe aus Wien im deutschen Markt wahr?

Peppel-Schulz: Erstmal nehme ich jede Medienmarke ernst, denn man kann immer voneinander lernen. Zudem ich sehe Medienmarken auch in Deutschland nie als direkten Wettbewerber. Das sind Marktbegleiter, die ich aufmerksam und mit Respekt beobachte. Unsere Positionierung und Zielgruppe ist so anders und so unique, dass wir uns in keinem direkten Wettbewerb in Deutschland sehen. Unsere "AD" etwa ist sehr stark bei den Professionals.

STANDARD: Und wie nehmen Sie den "Falstaff" in Deutschland wahr?

Peppel-Schulz: Ich schaue ein bisschen neidisch auf alle Food- und Travel-Marken in DACH – weil wir mit Condé Nast zumindest in Deutschland aktuell keine habe. Das ist schade. Denn das ist hochaktueller Content, den man sehr, sehr gut monetarisieren kann und der zum täglichen Konsum einlädt. Mit "Condé Nast Traveller", "Bon Appetit" oder mit "La Cucina Italiana" hat Condé Nast Weltmarken in diesem Bereich.

STANDARD: "Falstaff"-Mehrheitseigentümer Wolfgang Rosam hat nach unseren Informationen früher schon mit deutschen Verlagskonzernen über eine Beteiligung verhandelt, offenbar aber ohne Ergebnis. Derzeit expandiert er selbst recht munter mit einer englischsprachigen Ausgabe. Aber soll er sich melden, falls er doch noch Anteile verkaufen will?

Peppel-Schulz: (lacht) Wir haben eigene, sehr starke Marken, auf die wir dann zurückgreifen würden.

STANDARD: Condé Nast installierte nun mit der Spanierin Natalia Gamero del Castillo erstmals eine Europachefin – was bedeutet das für die Aktivitäten in Deutschland? Branchendienste interpretieren das als Ablaufdatum für Sie und Ihre Funktion als Deutschland-CEO, sie spekulieren über Ihren Abgang noch im ersten Halbjahr 2021. Wie geht es also weiter mit Condé Nast Deutschland und Ihrer Funktion?

Peppel-Schulz: Ich teile diese Vision eines integrierten und leistungsstarken Condé Nast in Europa voll und ganz, da ich selbst von Anfang an ein Treiber dieser Transformation bin. Es ist der richtige Weg. Die deutsche Transformation, mit der wir in kurzer Zeit schon sehr viel bewegt und erreicht haben, werde ich entsprechend weiter vorantreiben und das Team bei dieser Transition als CEO begleiten. (Harald Fidler, 22.1.2021)