Normalität gibt es nur durch die Impfung, da sind sich die Gesundheitsexperten einig.

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Expertenrunde (von links): Christiane Körner, Präsidentin des Vereins zur Förderung der Impfaufklärung, Ursula Kunze, Public-Health-Expertin vom Institut für Sozialmedizin sowie Herwig Kollaritsch, Infektiologe und Tropenmediziner von der Med-Uni Wien.

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Seit Tagen halten sich konstant Gerüchte, dass der mehrstufige Impfplan wackeln könnte. Muss die Impfreihenfolge geändert werden? Wer sollte sich, wer sollte sich besser nicht impfen lassen? Um einer breiten Verunsicherung entgegenzuwirken und aufzuklären, traf sich am Dienstag eine Expertenrunde. Ihr Ziel: den Falschmeldungen mit evidenzbasierten Fakten entgegenzuhalten.

Impfen als Erfolgsgeschichte

Infektiologe Herwig Kollaritsch von der Med-Uni Wien, Susanne Spitzauer, medizinisch-chemische Labordiagnostikerin, sowie Ursula Kunze vom Institut für Sozialmedizin betonten wiederholt die einzigartige Forschungsleistung auf der ganzen Welt ebenso wie die intensive Unterstützung seitens von Behörden und Regierungen, die in Rekordzeit diese neuen Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 möglich gemacht hätten. "Wir sollten nicht vergessen, dass es sich hier um die größte Impfaktion der Menschheitsgeschichte handelt", betont Kollaritsch. Alle Impfstoffe hätten eine hohe Wirksamkeit und damit alle Erwartungen übertroffen.

"Sie alle kennen die Erfolgsgeschichte rund ums Impfen", erklärt er. "Ob es die Ausrottung der Pocken, die weitgehende Elimination der Kinderlähmung oder das Zurückdrängen diverser Kinderkrankheiten wie Diphtherie oder Keuchhusten in die Bedeutungslosigkeit ist – Impfungen haben ihren Nutzen für die Gesundheit der Menschheit längst bewiesen." Paradoxerweise seien Impfungen aber zum Teil Opfer ihres Erfolges geworden: "Wir sehen heute die meisten Infektionskrankheiten nicht mehr, gegen die wir impfen. Es fehlt uns der Bezug zu dem Leid, welches sie früher verursacht haben."

Natürlicher Vorgang

Auch der Angst mancher Impfgegner, wonach mRNA-Impfungen die Gene verändern könnten, treten die Mediziner entgegen. "Impfungen sind in der Schulmedizin eigentlich das Einzige, das 'bio' ist", meint Kollaritsch. Die neuen mRNA-Technologien und alle bisher verfügbaren Methoden arbeiten auf die gleiche Weise: Sie regen das menschliche Immunsystem an, Antikörper gegen Krankheitserreger zu produzieren. "Im Gegensatz zu einer Infektion läuft das Ganze aber unter kontrollierten Bedingungen ab", so der Mediziner. Sie regen die erwünschte Immunreaktion an, ohne die unerwünschte Krankheit auszulösen. "Bei den mRNA-Seren injiziert man nur einen kleinen Teil der Erbinformation des Virus, und unser Organismus bastelt sich quasi den Impfstoff selbst und macht gleich eine Immunantwort darauf", sagte er. Weil diese Impfstoffe so sehr auf natürliche Art wirken, sind sie auch so effektiv.

Bei der Covid-19-Impfung sei die Schutzwirkung beachtlich. Statistisch gesehen kann man bereits mit fünf Impfungen gegen Covid-19 einen Krankheitsfall und mit 450 geimpften Personen einen Corona-Todesfall vermeiden. Zum Vergleich: Bei der Influenza müsste man 2.000 Personen impfen, um eine Hospitalisierung einer einzigen Person zu verhindern.

Zweifel am Impfplan

Den ambitionierten Impfplan der Regierung, bis Ende März 1,7 Millionen Menschen über 65 Jahren geimpft zu haben, zweifelt der Infektiologe jedoch an. Auch wenn er davon überzeugt ist, dass "auf Hochtouren mit geballter Manpower und Logistik" gearbeitet werde. "Man sollte die Kirche aber im Dorf lassen. Bis Ende März sind es nur mehr zwei Monate. Auch Israel hat dieses Ziel noch nicht erreicht, obwohl dort schon deutlich länger geimpft wird", meint er. Eine Woche früher oder später sei aber nicht entscheidend.

Sehr wohl ausschlaggebend für den Erfolg der Impfaktion sei die Impfwilligkeit. Er gibt zu bedenken, dass die Impfung für die nächste Zeit alternativlos bleibe. Neue Technologien, die die Todeszahlen senken, seien zwar vorstellbar, "die Freiheit zurückgewinnen" werde man aber nur, "wenn man die Maßnahmen beibehält".

Dass der Lockdown mittlerweile allen "an die Substanz geht", unterstreicht auch Public-Health-Expertin Ursula Kunze. Umso wichtiger sei es deshalb, Überzeugungsarbeit zu leisten. "Ein gewisses Grundvertrauen ist in allen Lebensbereichen notwendig. Wir müssen uns auch darauf verlassen, dass Wissenschafter, Experten und Hersteller wissen, was sie tun." Auch Kunze erklärt, sich so bald wie möglich impfen lassen zu wollen. Rund 42 Millionen Impfungen seien bereits verabreicht worden. Sie ist überzeugt: "Wenn wir es zurück zur Normalität schaffen wollen, dann geht das nur mit der Impfung."

Schutz vor Mutationen

Hinsichtlich der Wirkung bei neuen Virusmutationen äußert sie ebenso wie Kollaritsch keine Bedenken. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Impfstoff unwirksam werden könnte", lautet seine Einschätzung. Für 16 verschiedene Mutationen hätte man das bereits geprüft. Bei weiteren Mutationsvarianten könne man eine verminderte Wirksamkeit aber nicht gänzlich ausschließen. Darauf könnten Pharmahersteller aber rasch reagieren.

"Es kann auch nicht passieren, dass der Impfstoff das menschliche Erbgut verändert, wie immer wieder gemutmaßt wird", erklärte Kunze: Das injizierte Virus-Erbgut-Stück kann nicht in den Zellkern zum menschlichen Erbgut gelangen. "Die mRNA erreicht im Körper gerade einmal ihre Wirkung, dass ein Eiweißstoff gebildet wird, der die menschliche Immunantwort auslöst, dann wird sie blitzartig abgebaut", so Kollaritsch.

Spätfolgen möglich?

Auch die von vielen befürchteten, erst sehr spät auftretenden Nebenwirkungen gebe es bei Impfungen eigentlich nicht. Denn mögliche Probleme treten in der Regel sehr rasch auf und haben höchstens lange wirkende Nebenwirkungen. So gab es bei der ersten verfügbaren Pockenimpfung beispielsweise Epilepsie als Folge einer Impf-Enzephalitis (Gehirnentzündung). "Solch ein Serum würde aber heute nie und nimmer zugelassen", betont der Gesundheitsexperte.

Im Gegensatz zur Impfung hätte die Covid-19-Erkrankung aber sehr wohl ernstzunehmende Langzeitnebenwirkungen. Kunze: "Viele Patientinnen oder Patienten haben nach der Infektion Organschäden, Kopfschmerzen und Atembeschwerden, selbst wenn sie einen milden Verlauf hatten", sagte sie. "Keiner von ihnen verlässt das Krankenhaus und kann dann am Schneeberg eine ausgelassene Wanderung machen." (Julia Palmai, 21.1.2021)