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Ein Bild aus alten Zeiten (2015 bei einem Besuch Bidens in Brüssel mit Charles Michel, damals Premier Belgiens), an die nun angeknüpft wird.

Foto: AP / Virginia Mayo

Es hatte sich nach der Präsidentenwahl in den USA Anfang November schon seit Wochen angekündigt. Aber nur wenige Stunden vor der Angelobung Joe Bidens als Nachfolger von Donald Trump fielen Erleichterung und demonstrative Freude bei den Spitzen der europäischen Politik über einen nun möglichen transatlantischen Neustart am Mittwoch so deutlich aus wie seit Jahrzehnten nicht nach einem Machtwechsel in Washington.

Er schlage einen "neuen Gründungspakt" für die Beziehungen zwischen der EU und den USA vor, sagte der Ständige Ratspräsident der Union, Charles Michel, bei einer Plenarsitzung des Europaparlaments in Brüssel. Als "Chef der Regierungschefs" der 27 Mitgliedsstaaten ist er protokollarisch das Gegenüber des US-Präsidenten.

Er sprach offen aus, wie sehr die Beziehungen in den vergangenen vier Jahren gelitten hätten. Michel will Biden im Idealfall noch im Frühjahr bei einem transatlantischen Gipfel in der EU-Hauptstadt sehen, die auch Sitz des Nato-Hauptquartiers ist. Die Liste der gemeinsamen Projekte ist lang, angefangen von den internationalen Abkommen zu Klimaschutz über das Atomabkommen mit dem Iran, aus denen Trump ausgestiegen ist, bis hin zu einem neuen Anlauf für ein Investitions- und Handelsabkommen, das – noch unter Barack Obama – nie zu einem Abschluss gekommen ist.

Zurück in den Kreis

Der Tonfall, mit dem das Ende der diplomatischen "Eiszeit" begrüßt wird, ist beinahe euphorisch. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, die Welt warte darauf, dass "die USA in den Kreis der gleichgesinnten Staaten zurückkehrt". Sie will ab sofort in der Bekämpfung der Corona-Pandemie, beim Green Deal mit dem Emissionshandel oder auch bei den gesetzlichen Vorgaben mit Biden eng kooperieren.

Die Präsidentin warnte bei der Aussprache im EU-Parlament aber auch davor zu vergessen, dass Trump zwar aus dem Amt sei, seine Anhänger, die das Kapitol gestürmt haben, aber noch da seien. Mehr als 70 Millionen US-Bürger hätten Trump gewählt. Auch Europa sei gegen solche Hassbotschaften in sozialen Medien, wie man sie in den USA gesehen habe, nicht gefeit.

Kapitel abgeschlossen

Erleichterung herrscht auch in Berlin. Kanzlerin Angela Merkel hatte schon bei Bidens Wahlsieg im November erklärt, die transatlantische Freundschaft sei "unersetzlich". Man hofft, dass der neue US-Präsident noch vor Merkels Rückzug als Kanzlerin Zeit für einen Besuch in Deutschland oder zumindest Europa findet. Trump hat Merkel in den vergangenen vier Jahren nie in Berlin aufgesucht.

Froh stimmt die Deutschen, dass Biden wieder dem Pariser Klimaabkommen beitreten will. Und natürlich, dass mit ihm wieder ein anderer Stil und ein gemäßigter Ton im Weißen Haus einkehren. Außenminister Heiko Maas hat den USA nach dem Sturm auf das Kapitol Anfang Jänner gar einen "Marshallplan" für mehr Demokratie angeboten – in Anspielung auf den Marshallplan zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Das allerdings wurde in Berlin auch als etwas deplatziert eingestuft.

In Berlin weiß man allerdings auch, dass jetzt nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen zu erwarten sind. Auch Biden wird – wie schon Trumps Vorgänger Barack Obama – auf eine Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben drängen. Zudem ist auch Biden gegenüber der Ostseepipeline Nord Stream 2, die russisches Gas nach Europa bringen soll, kritisch eingestellt.

Drängen auf globale Steuer

Die französische Ungeduld gegenüber dem Amtswechsel in Washington ist nicht nur damit zu erklären, dass die Franzosen von vier Jahren Trump die Nase voll haben. Die Regierung in Paris will ein Dossier finalisieren, das ihr seit Jahren am Herzen liegt und das die Trump-Regierung auf jede erdenkliche Weise hintertrieben hat: die Einrichtung einer globalen Mindeststeuer und – damit verbunden – der spezifischen Besteuerung grenzüberschreitender Internetinhalte.

Auf diese sogenannte "Digitalsteuer" hatten sich die G20-Staaten 2019 geeinigt. 2020 bremste die Trump-Regierung aber einmal mehr – bis den Franzosen der Kragen platzte: Die Regierung von Emmanuel Macron führte die Abgabe für die Gafa (Google, Appel, Facebook, Amazon und 25 weitere, vorwiegend US-amerikanische Konzerne) im Alleingang ein. Sie besteuert den online erzielten Werbeumsatz zu drei Prozent, was bei der ersten Erhebung 400 Millionen Euro einbringt. Washington drohte daraufhin mit Handelssanktionen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro gegen französische Produkte wie Champagner oder Käse. Doch Donald Trump hatte keine Zeit mehr, sie umzusetzen. Also landet das Dossier nun bei Biden. (Thomas Mayer, Birgit Baumann aus Berlin, Stefan Brändle aus Paris, 21.1.2021)