Das Strafrecht bietet bislang verborgene Rohstoffe für Reformen, so der Universitätsprofessor für Strafrecht und Rechtsanwalt Richard Soyer und der Rechtsanwaltsanwärter Nihad Amara im Gastkommentar.

Bessere Arbeitsbedingungen, etwa für Näherinnen in Bangladesch, soll ein Lieferkettengesetz bringen, das Firmen zu sozialen und ökologischen Standards in ihren Geschäftsbeziehungen verpflichtet.
Foto: APA / AFP / Munir Uz Zaman

"Geschäfte mit Autokraten? Menschenrecht bleibt Menschenrecht" ist der Gastkommentar von Alexander Rustler zu Verstrickungen international agierender Unternehmen in Menschenrechtsverletzungen betitelt, und darin wird überzeugend die stärkere Berücksichtigung eben jener Menschenrechte in globalen Wirtschaftsabläufen eingefordert.

Am Freitag nimmt der UN-Menschenrechtsrat Österreichs Menschenrechtspolitik in einem offiziellen Hearing in Genf unter die Lupe. Die "Universelle periodische Überprüfung" ist eine Art Leistungsschau. In einem Kapitel des aktuellen Staatenberichts hat Österreich auffällig wenig vorzuweisen: Elf Zeilen finden sich zu "Business and Human Rights". Österreich wende die OECD-Leitsätze an und unterstütze Projekte. Punktum. Auch das aktuelle Regierungsprogramm verrät schon, dass ein großer Wurf hier nicht zu erwarten ist. PR-mäßig heißt es dort knapp: "Prüfung zusätzlicher Maßnahmen zur Stärkung der unternehmerischen Verantwortung für Menschenrechte im Sinne der OECD-Leitsätze für internationale Unternehmen".

Quasi ein Entwicklungsland

Was ist mit dem Begriffspaar Wirtschaft und Menschenrechte gemeint? Es geht um Grundfragen einer globalisierten Ökonomie und die Verantwortung von Unternehmen für eigene soziale, ökologische und menschenrechtliche Verfehlungen und jene von Tochterunternehmen und Zulieferbetrieben entlang der Wertschöpfungsketten. Es geht um bittere Realitäten: sklavenähnliche Zustände auf Kakaoplantagen für unsere Schokolade, um Bangladeschs ausgebeutete Näherinnen, um giftige Pestizide, die in Afrikas Böden einsickern, um die kollusive Verquickung von Konzernen mit autoritären Regimen und vieles mehr.

Österreich ist in solchen Fragen nach vielversprechenden Ansätzen in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts heute quasi ein Entwicklungsland. Der zentrale Referenzpunkt der Debatte, die UN-Leitprinzipien, die Staaten adressieren und Unternehmen freiwillige Sorgfaltspflichten auferlegen, kommt im eingangs erwähnten Bericht nicht vor. Der Empfehlung, die Prinzipien in nationale Aktionspläne umzusetzen, ist ja auch jahrelang zuvor keine Bundesregierung gefolgt. In der seit sechs Jahren laufenden Debatte um ein verbindliches UN-Rahmenwerk übt sich Österreich in Zurückhaltung. Und die seitens der Europäischen Union angestoßenen Berichtspflichten für Großunternehmen (Stichwort: "Nichtfinanzielle Berichterstattung"), Stakeholder auch über Auswirkungen des Geschäfts auf Umwelt, Gesellschaft und Menschenrechte informieren zu müssen, kommen anders als in Deutschland hierzulande ohne explizite Sanktionsdrohung aus.

Ruf nach Regulierung

Diese Laisser-faire-Haltung steht in einem grellen Kontrast zum Stellenwert der Debatte: EU-weit machen zivilgesellschaftliche Bündnisse – nunmehr auch in Österreich – für verbindliche Lieferkettengesetze mobil. In Frankreich, Großbritannien und anderswo gibt es erste Regularien. Noch heuer will die EU-Kommission einen Vorschlag für ein unternehmerisches Sorgfaltspflichtengesetz vorlegen und die nichtfinanziellen Berichtspflichten nachschärfen.

Durch die Corona-Pandemie und das Comeback des starken Staates spüren Verfechter einer Lieferkettenregelung den langersehnten Rückenwind: Ein Staat, der angeschlagene Unternehmen rettet, wird auch deren Lieferketten regulieren können und dürfen.

Das Strafrecht kann sich dieser Zukunftsdiskussion nicht entziehen. Unsere Rechtsordnung hat hierfür bereits einige Rohstoffe auf Vorrat, die für die Debatte nutzbar zu machen sind.

Die erwähnten Berichtspflichten großer Unternehmen adressieren nicht nur die Nachhaltigkeit unternehmerischen Tuns, sondern auch, wie sich dies auf die finanzielle Gebarung des Unternehmens auswirkt. Daher ist es indiziert, sie in den erweiterten Fokus der Bilanzdelikte des Strafgesetzbuchs zu rücken. Wer gefakte Berichte offenlegt, stellt die Unternehmensgebarung falsch dar und könnte strafrechtlich haften (Paragraf 163a Strafgesetzbuch).

"Zweiter Preis"

Abseits davon ist es überlegenswert, auch das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) zeitgemäß auszulegen: Der Schutz des Leistungswettbewerbs verträgt eine sozialethische Komponente. Es wächst jedenfalls das Bedürfnis, Produkte mit einem "zweiten Preis", der ökologische und soziale Informationen enthält, zu etikettieren. Werbung, Gütesiegel und "leere" Selbstverpflichtungen, die in die Irre führen, wären damit effektiver sanktionier- und steuerbar.

Außerdem bietet das geltende österreichische Unternehmensstrafrecht probate Anknüpfungspunkte für die Mitgestaltung einer global menschen(rechts)gerechten Zukunft. Schließlich könnte ein international harmonisiertes Unternehmensstrafrecht ein wirksames Instrument zur globalen Ächtung und Verfolgung von schweren Menschenrechtsverletzungen werden. Bislang werden Menschenrechte und ihr wirksamer weltweiter Schutz bei wirtschaftsbezogenen Verhaltensweisen (Erzeugung, Bearbeitung und Absatz von Produkten sowie Dienstleistungen) selten bis gar nicht adressiert. Die Verzahnung wirtschaftlicher Verhaltensweisen von Unternehmen mit schweren Menschenrechtsverletzungen wird im globalen Wettbewerb vielmehr noch als "neutrale" Beteiligung angesehen. Gerade auch in Österreich. Das sollte sich ändern. (Richard Soyer, Nihad Amara, 21.1.2021)