Das Rennen um den neuen Mobilfunkstandard ist voll im Gange.

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Wegen der Degradierung des umstrittenen chinesischen Konzerns Huawei als Ausrüster für Mobilfunknetze müssen sich die deutschen Telekomkonzerne schleunigst nach Alternativen beim 5G-Aufbau umschauen. Diese bieten die europäischen Ausrüster Nokia und Ericsson, aber auch die neue Open-Ran-Technologie, die von einigen bereits als Lösung aller Probleme propagiert wird. Sie steht für Open Radio Access Network (= Open Ran). Sie soll nicht nur die Abhängigkeit von Huawei verringern, sondern die Beziehungen zwischen Mobilfunkern und Ausrüstern komplett neu definieren. Während bisher Hard- und Software aus einer Hand kommen mussten soll Open-Ran im besten Fall ermöglichen, dass sich die Netzbetreiber die Komponenten – also Antennen, Software und Basisstationen – nach Belieben selbst zusammenstellen können.

"Disruption"

"Das ist eine Disruption. Hier wird ein bestehendes Geschäftsmodell angegriffen", sagt Gartner-Analyst Kosei Takiishi. Telekomkonzerne jedenfalls versprechen sich mehr Wettbewerb durch eine größere Zahl an Anbietern und bessere Preise, schnellere Updates und eine höhere Flexibilität bei der Wahl des Ausrüsters. Gerhard Fettweis, Professor für Nachrichtentechnik von der TU Dresden, sagt: "Open-Ran ist hoch interessant, hat aber auf dem Weg zum Erfolg noch offene Flanken." Dazu gehören zusätzliche Integrationsanstrengungen und -kosten, eine geringere Verbindungsqualität, ein höherer Stromverbrauch, aber auch fehlende Standards und technische Spezifikationen für die Schnittstellen, die es erst ermöglichen, dass verschiedene Einzelteile zusammengesetzt werden können.

Deutsche Regierung will fördern

Hier soll das verstärkte Engagement der vier europäischen Telekomriesen Deutsche Telekom, Orange , Vodafone und Telefonica Abhilfe leisten, die gemeinsam Open-Ran zur "Technologie der Wahl" für künftige Mobilfunknetze machen wollen und die Politik um Hilfe gebeten haben. In der deutschen Bundesregierung wurden sie bereits erhört. Zwei Milliarden Euro aus dem Konjunkturpaket sollen dezidiert der Open-Ran-Förderung zukommen, wie aus einem Reuters vorliegenden Strategiepapier des Bundesverkehrsministeriums hervorgeht.

Treiber hinter den Bemühungen ist die kritische Haltung vieler Sicherheitsexperten gegenüber Huawei. Dem chinesischen Anbieter wird eine zu große Nähe zur eigenen Regierung und mögliche Spionageabsichten vorgeworfen, was der Konzern stets zurückgewiesen hat. Das neue IT-Sicherheitsgesetz, das vom Bundestag noch beschlossen werden muss, wird den Einsatz von Huawei-Komponenten im 5G-Mobilfunknetz massiv erschweren. Gut 70 Prozent der Mobilfunknetze bestehen Schätzungen zufolge derzeit aus Huawei-Technologie. Die Produkte des Weltmarktführers, der bisher kein Open-Ran im Angebot hat, gilt als vergleichsweise günstig und technologisch fortgeschritten und wird von allen drei Mobilfunk-Anbietern in Deutschland verwendet.

"Tendenziell wird Open-Ran wichtiger werden. Die Hersteller können sich dem nicht komplett entziehen", sagt Branchen-Experte Torsten Gerpott, Wirtschaftsprofessor an der Universität Duisburg-Essen. Obwohl auch Nokia, Samsung und Ericsson inzwischen Open-Ran-Technologie im Angebot haben, sind es eher Startups wie Altiostar oder Mavenir, die die Entwicklung vorantreiben. Ob Huawei auch noch auf den Zug aufspringt, ist bisher unklar.

Geduld ist gefragt

Während in Japan das Netz der Mobilfunker Rakuten und NTT Docomo bereits auf Open-Ran basiert, wird hierzulande noch einige Zeit verstreichen, bis es so weit ist. Die United-Internet-Tochter Drillisch will sich Rakuten zum Vorbild nehmen, hat aber bisher den Netzaufbau noch gar nicht in Angriff genommen.

Die Telefonica-Tochter Telefonica Deutschland will in den zwölf bis 18 Monaten nach dem Start des Roll-Outs im Herbst 1000 Mobilfunkstandorte mit Open-Ran ausstatten und die Deutsche Telekom die Technologie in der zweiten Jahreshälfte im Live-Netz testen. "Open-Ran erfreut sich nicht nur wegen der politischen Diskussionen immer größerer Beliebtheit. Der Zeitpunkt ist gerade stimmig, weil weltweit in einigen Jahren die nächste Investitionswelle rund um die weitere Standardisierung im Mobilfunk ansteht, die klassische Infrastruktur immer stärker auf Software basiert und die Mobilfunkbetreiber mehr Unabhängigkeit durch mehr Auswahl anstreben", sagt ein Telekom-Experte.

Trotzdem wird sich der Wandel hinziehen. "Wir reden von einem Zeitfenster von drei bis fünf Jahren, bis sich Open-Ran komplett in der Branche durchsetzt", sagt der für die Mobilfunknetze verantwortliche Telefonica-Deutschland-Manager Matthias Sauder. Kevin Allison vom Beratungsunternehmen Eurasia Group geht jedenfalls davon aus, dass Open-Ran den Wettbewerb verschärft und die Zahl der Anbieter in die Höhe treibt. Dies wiederum dürfte die Marktanteile einzelner Akteure verringern. (Reuters, 20.1.2020)