Unter Experten bestehen große Zweifel, ob Giuseppe Conte noch handlungsfähig ist.
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Zum Schluss der Debatte erlebte der Senat eine Premiere: den parlamentarischen Videobeweis. Nachdem Senatspräsidentin Maria Elisabetta Alberti Casellati die Vertrauensabstimmung am späten Dienstagabend bereits für beendet erklärt hatte, protestierten zwei Senatoren, die bereits unterwegs zum Mikrofon gewesen sein wollten, um ihre Stimme abzugeben. Casellati ließ die Videoaufnahmen überprüfen: Die Senatoren hatten die Wahrheit gesagt. Zwei Stimmen mehr für Giuseppe Conte.

Das Resultat der Vertrauensabstimmung lautete schließlich 156 zu 140 Stimmen zugunsten Contes. Nach dem Austritt der Kleinpartei Italia Viva von Ex-Premier Matteo Renzi aus seiner Koalition sind dem Regierungschef am Dienstag eine Handvoll Überläufer aus anderen Parteien zur Seite gesprungen.

Die nunmehr nur einfache Mehrheit sichert Conte und seiner Regierung zwar das politische Überleben, aber das Regieren ist sehr viel komplizierter geworden. In den meisten Ausschüssen des Senats befindet sich die Regierung nun in der Minderheit, insbesondere im wichtigen Finanzausschuss. Die Opposition kann nun fast nach Belieben Bedingungen stellen.

Unter Experten bestehen große Zweifel, ob Conte noch die Handlungsfähigkeit besitzt, um etwa einen Plan zur Verwendung der 209 Milliarden Euro aus dem EU-Recovery-Fund umzusetzen. Er hatte es vor dem Koalitionsbruch Renzis nicht geschafft – warum also jetzt? Conte ist jedoch zuversichtlich, dass er seine Wackel-Koalition demnächst mit weiteren Neuzuzüglern wird verstärken können.

Plant Conte eine Partei?

Im Visier hat er die 18 Senatorinnen und Senatoren von Renzis Italia Viva, die mit dem Vorgehen ihres Chefs nicht wirklich einverstanden sind. Hoffnungen setzt der Premier außerdem in einige Christdemokraten, die aus der Opposition ins Regierungslager wechseln könnten. Die neuen Verbündeten könnten eine neue, christlich-soziale und europafreundliche Fraktion bilden, die zugleich zur Wiege einer neuen Mittepartei werden könnte, die Conte offenbar zu gründen gedenkt.

Es könnte aber auch das Gegenteil passieren, denn auch die gegnerische Seite hat mit Abwerbeversuchen im Regierungslager begonnen: Die rechte Lega von Matteo Salvini hat ihre Fühler in Richtung Fünf-Sterne-Bewegung, ausgestreckt: Unter den "Grillini" gibt es nach wie vor etliche Parlamentarier, die der 2019 geplatzten Regierungskoalition mit Salvini nachtrauern.

Dass Conte am Dienstagabend nicht gestürzt wurde, hat er vor allem der Angst vor Neuwahlen zu verdanken. So oder so läuft aber Contes politische Lebensversicherung bald ab: Anfang 2022 endet die Amtszeit von Staatspräsident Sergio Mattarella, der hinter Conte steht. (Dominik Straub aus Rom, 20.1.2021)