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Einer der ersten Storybände von Frank Hebben, erschienen 2012, trug den Titel "Maschinenkinder". Den kann man als programmatisch für viele – wenn auch nicht alle – Geschichten Hebbens betrachten. Menschen, oder was von ihnen übriggeblieben ist, präsentieren sich uns darin als Teile einer monströsen Maschinerie. Das kann im übertragenen Sinne gemeint sein, als inhumanes System. Aber auch durchaus wörtlich: Die biomechanischen Visionen aus Hebbens frühen Jahren sind die dunklen Geschwister derer von Michael Marrak. Statt Gags das Grauen.

Ein Beispiel für den frühen Hebben in diesem Band ist "Zeit der Asche", in dem die Königin einer Kolonie posthumaner Wesen ihren gesamten Staat auf eine Wanderung zwingt. So hätten Expressionisten vor hundert Jahren den Krieg beschrieben, nachdem man ihnen einen Bildband über moderne Waffentechnologie in die Hand gedrückt hat. Thematisch damit verwandt, aber von einem postapokalyptischen Mitteleuropa in den Weltraum verlagert ist "Aranea". Darin nehmen die Nachfahren der Menschheit die Rolle der Aliens aus "Independence Day" ein und ziehen mitsamt ihrem Stern als plünderndes Kollektiv von System zu System.

Vom Was zum Wie

Die 13 Kurzgeschichten, die in "Elektroteufel" versammelt wurden und aus dem Zeitraum 2006 bis 2020 stammen, zeigen aber deutlich, dass sich Hebbens Prioritäten in den vergangenen paar Jahren verschoben haben: Wichtiger als das Was der Erzählung (geäußert in einem Feuerwerk an Ideen, Bildern und Wortschöpfungen) ist sukzessive das Wie geworden, also die Struktur. In den jüngeren Erzählungen wird die Handlung zunehmend in ein Mosaik aus Perspektiven, unterschiedlichen Versionen der Realität, Bewusstseinsströmen und atemlosen Abfolgen von Eindrücken aufgelöst; konventionelle Übergänge zwischen den einzelnen Szenen bleiben dabei oft bewusst ausgespart. Das erfordert mehr Aufmerksamkeit beim Lesen – Felix Woitkowski spricht daher im Vorwort von Slow-Literatur.

Einen Vorgeschmack darauf bieten die beiden miteinander verbundenen Geschichten, die den Band eröffnen, "Im Winter einer fremden Stadt" und "Auf dem Spielbrett der Schatten". Sie zeichnen eine grimmige Cyberpunk-Welt des 23. Jahrhunderts, die in die sterile Erhabenheit der Konzernsphären (Typ "Blade Runner 2049") und die heruntergekommenen Asphaltgärten getrennt ist, in denen die Normalbevölkerung leben muss. Hauptfigur ist die junge Céline, die wir einmal als Angehörige einer widerständigen Gruppe von Graffiti-Sprayern und einmal als jemanden, der sich verloren hat, kennenlernen. In der ersten Geschichte wirkt sie wie ein Gast in ihrem eigenen Leben, "Im Winter einer fremden Stadt" atmet den Geist von Philip K. Dick. Nur der Protagonist von "Lorem ipsum", der Opfer eines Mind-Hacks geworden ist, wirkt noch verlorener.

Auflösung der Handlung

"Am letzten Tag" ist vielleicht meine Lieblingsgeschichte hier, und nicht nur wegen des bemerkenswerten Satzes "Schrödinger ist das Arschgeweih unter den Gedanken-Experimenten." Darin hängen wir zusammen mit einer Clique von Teenagern in deren Unterschlupf ab. Musik und Gespräche über Gott und die Welt vermitteln eine träge Stimmung, doch wehen wie die Klänge eines fernen Open-Air-Konzerts immer wieder flüchtige Eindrücke der Apokalypse herbei. Oder besser gesagt einer Reihe ganz verschiedener Apokalypsen. Man könnte von parallelen Realitäten und Welten der Wahrscheinlichkeit sprechen – oder von einer Metapher für das Ende der jugendlichen Unbeschwertheit; tauchen am Horizont unserer Protagonisten doch Fragen zu Ausbildung und Beruf auf.

Noch weiter wird die Fragmentierung in "Kaleidoskop" getrieben, das in Form schneller subjektiver Eindrücke Schlaglichter auf die Arbeits-, Lebens- und Leidenswelten einer Cyberpunk-Zukunft wirft, die noch ein Stückchen ferner sein dürfte als die in den Geschichten um Céline. Und apropos: In "Erwache" prallen ganz unterschiedliche Entwürfe der Zukunft aufeinander, vor allem die heute nur noch als Karikatur wahrnehmbare klassische Utopie. Der Rahmen, in den der Diskurs über diese Utopie eingebaut ist, erschließt sich allerdings nicht sofort. Hebbens Geschichten sind hermetischer geworden; das bringt natürlich das Risiko mit sich, dass die Konstruktion beim Lesen nicht so klar rüberkommt, wie sie zweifellos konzipiert worden ist.

Paint it black

Fast schon wie Anachronismen wirken in einer solchen Nachbarschaft die wenigen Geschichten-mit-Pointe, die es hier auch gibt. So organisiert in "Rockt die Welten" ein selbstherrlicher Musikmanager das größte (und letzte ...) Rock-Konzert der Geschichte, während sich in "Papierpüppchen" eine billige Einweg-Sexpuppe als überraschend hilfreich erweist. "Anachronismen" ist übrigens nicht negativ gemeint. Denn zwischendurch mal ein Lacher tut als Auflockerung ganz gut; mag der Humor auch schwarz und das Happy End ambivalent sein.

Und auch wenn mir nach über zehn Jahren des Hebbenkonsums die Synonyme für "beeindruckend" langsam ausgegangen sind: Düsternis dräut hier wahrlich genug. Nicht von ungefähr wird die Space Opera "Proteus" mit einem Zitat von H. P. Lovecraft eingeleitet. Die biologische Kontamination, die hier eine Raumschifsscrew befällt, scheint auch eine übernatürliche Komponente zu haben – auf jeden Fall aber eine, die die Wahrnehmung der Wirklichkeit verändert. In "Menschenzoo" schließlich findet sich der Ich-Erzähler in einem Glaskubus wieder, der auf einer Wiese steht – es könnte die finsterste "Twilight Zone"-Episode aller Zeiten sein.

2020 bin ich immer wieder über Rezensionen gestolpert, die auf ein entschuldigendes "Es ist so ein furchtbares Jahr, mir fehlt im Moment die Kraft für dystopische Erzählungen" hinausliefen. Das kann man jetzt als menschlich nachvollziehbar oder als lächerlich unprofessionell empfinden, da maße ich mir kein Urteil an. Eines aber ist sicher: Alle, die diese Argumentationslinie vorgebracht haben, hätten sich nach der Lektüre von "Elektroteufel" kryokonservieren lassen, um auf eine lichtere Zukunft zu warten.