Er ist ein Berliner – und sein Clan ist über die ganze Stadt verteilt.

Foto: Imago/Steffen Schellhorn

Igel bewohnen eine Vielzahl von Lebensräumen – und immer mehr der stacheligen Säuger zieht es in die Städte. Obwohl sie dort ganz andere Lebensbedingungen vorfinden als auf dem Land, halten sie an ihrer Lebensweise fest: Trotz höherer Temperaturen und eines ganzjährigen Nahrungsangebots genehmigen sich auch die urbanen Igel einen ausgiebigen Winterschlaf. Forscher haben nun in Berlin eine überraschende Entdeckung gemacht: Die Igel in der deutschen Bundeshauptstadt bilden eine gemeinsame genetische Population – offenbar gibt es keine voneinander isolierten Gruppen.

Angesichts der geringen Mobilität der Tiere und der erheblichen Barrieren, die sie in der Stadt vorfinden, kommt der Befund unerwartet, wie die Forscher um Anne Berger und Jörns Fickel vom Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung im Fachblatt "Animals" berichten. Möglich dürfte dies wohl nur durch menschliche Mithilfe sein. Für die Igel ist der innerstädtische Genfluss von Vorteil.

Berliner Mischung

Für ihre Studie analysierten Berger und Kollegen die Genome von insgesamt 143 Berliner Igeln. Eine Clusteranalyse der Erbgut-Informationen ergab drei genetische Gruppierungen, die auf direkte Verwandtschaftsverhältnisse zurückzuführen sind. Es gibt also trotz erheblicher Barrieren für Igel im Stadtbild, etwa durch Straßen, Zäune, Gewässer oder Bahntrassen, keine genetisch isolierten Bestände in der deutschen Bundeshauptstadt, so die Biologen.

"Diese 'Berliner Mischung‘ hat zwei mögliche Ursachen. Zum einen könnte der hohe Grünanteil in Berlin ausreichend gut verbundenen Lebensraum für Igel bieten, sodass der Austausch auch für die nur bedingt mobilen Igel möglich bleibt. Zum anderen kann die Arbeit der Igelauffangstationen in der Stadt eine wesentliche Rolle spielen, wenn Igel an anderer Stelle wieder ausgesetzt werden als sie aufgelesen wurden."

Igelschutz im Anthropozän

Um dies genauer zu eruieren schlagen die Forscher vor, dass Informationen der Igelauffangstationen über Fund- und Aussetzorte künftig systematisch erfasst werden. Die Daten könnten auch genutzt werden, um igelsichere Korridore in der Stadt auszubauen und die Population so weiterhin vor genetischer Verarmung zu schützen.

"Im Anthropozän ist die Welt wesentlich durch den Menschen und seine Aktivitäten geprägt und die Existenz so gut wie jeder Wildtierart hängt davon ab, inwieweit sich die Individuen dieser Art mit den menschgemachten Bedingungen arrangieren können und inwieweit der Mensch genug Willen und Wissen hat, um dieser Wildtierart einen Lebensraum zu gewähren", so Berger. Im Fall des Igels wisse man zwar viel über deren natürliche Lebensweise. Die Forschung müsse aber auch den menschlichen Einfluss verstärkt in den Blick nehmen. "Das ist essenziell für wirklich effektive und nachhaltige Schutzmaßnahmen für die immer stärker bedrohten Igel." (red, 24.1.2021)