Die Kitzbüheler Altstadt bietet heuer einen ungewohntes Bild. Wem sollen Promis nur zeigen, wie schick sie gekleidet sind?

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Das Starthaus ist neu.

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Kitzbühel – Maria Hauser will das Beste draus machen, sich die Rennen mit der Familie bei Weißwürsten im Fernsehen anschauen. Beim Stanglwirt allein zu Haus. Das sei ein Novum in der bald 300-jährigen Geschichte, in der die Familie tagtäglich für ihre Gäste da war, erzählt die Juniorchefin in Going. Just zum 30-Jahr-Jubiläum fällt die pompöse Weißwurstparty für die Schickeria heuer aus. "Wir schauen mit Mut und Demut nach vorne. Das Leben geht weiter. Nichts ist so beständig wie der Wandel. Man muss sich verändern, um weiter Bestand zu haben", sagt sie. "Die Familie", das sei ihr ein Herzensanliegen, "hält zusammen, egal wie der Sturm weht." Die Loyalität von Gästen und Mitarbeitern sei berührend und schaffe Vertrauen für die Zukunft. "Wir sitzen in einem Boot. Uns betrifft auch das, was in Afrika oder Asien passiert."

Rosi Schipflinger bedauert, dass heuer alle Veranstaltungen des ansonsten sehr illustren Programms nicht steigen können, auch nicht die Party mit Schnitzel vom Vollmilchkalb in Rosi's Sonnbergstuben. "Es ist traurig, aber da müssen wir durch", sagt die Inhaberin des Almgasthofs. "Gott sei Dank können die Rennen stattfinden", schickt "die singende Wirtin" sogleich nach, die normalerweise den Jetset empfängt. Die 77-Jährige ist dankbar, gesund zu sein. Aktuell singe sie sehr viel und sei positiv eingestellt. "Die Musik hat mir in meinem Leben sehr viel geholfen. Sie befreit die Seele." 2017 sorgte ihr Hoppala beim Partyauftakt für Schmunzeln: "Weiße Gipfel, blaue Berge – na, blauer Himmel, weiße Gipfel – i glaub', i hab' a bissl z'viel Weißwein trunken."

Musik im Kammerl

Mit dem Leben sei es wie mit Wellen, mal schlagen sie höher, mal tiefer. Wenn es Frau Schipflinger mal nicht so gut geht, dann studiert sie in ihrem "Kammerl ein neues Lied ein". Jeder habe so seine Rituale. Obwohl sie nicht streng gläubig sei, habe sie sich eine private Kapelle bauen lassen, wo sie täglich ihre verstorbenen Eltern besuche. "Der liebe Gott wird es schon richten. Vielleicht war es ein Fingerzeig, vielleicht müssen wir mal auf den Boden zurück, vielleicht musste es so kommen." Momentan genieße sie jedenfalls die Einsamkeit auf der Bichlalm und die Aussicht hinüber zum Hahnenkamm.

Drüben im Zielbereich der Streif berichten selbst Rennläufer von leichten Irritationen. Da wo für gewöhnlich zwischen dem zweistöckigen VIP-Zelt des Kitz Race Clubs für Reich und Schön und den Stahlrohrtribünen für die Prominenz der Kategorien von A bis D munteres Treiben herrscht, liegt diesmal einfach nur frischer Schnee. Nicht einmal Schlagerstar Hansi Hinterseer zieht mit wallender Mähne und weißem Overall ein paar lässige Schwünge. Dabei müsste er sich heuer nicht einmal aufdringlicher Autogrammjäger erwehren. "Es ist wohl wie in den 50er-Jahren", sagt ein Journalist hinter der Absperrung des Zielbereichs, der ein nicht dem Anlass gebührendes und ungewohntes Bild bietet.

Ungewohntes Bild auch im Zielbereich, wo ansonsten Tribünen für tausende Zuschauer stehen.
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Vermehrten sich über die Jahre noch Videowalls beinahe wie Pilze am Hausberg, so ist heuer Minimalismus Trumpf. Werbeträger sind lediglich dort angebracht, wo sie von den TV-Kameras wirksam erfasst werden können. Darüber hinaus wäre es freilich sinnlos. Das fällt auch in der Altstadt auf, wo die ansonsten dicht aneinandergereihten DJ-Bühnen, Werbesäulen, Punschstände und Verpflegungsstationen diesmal komplett fehlen. Stationen zum Auftanken braucht es nicht, da am Wochenende keine aus Zügen stolpernden Fans zu erwarten sind, die beim Versuch, das Gemisch in der Thermoskanne mit Hochprozentigem zu verfeinern, entsetzt feststellen, dass der "Frostschutz" schon bei der Ankunft aus ist.

Sorge um Sport

Warum die "Kronen Zeitung" ausgerechnet heuer statt einer urigen Blockhütte einen modernen Glaspalast mit gleich zwei Etagen neben dem Pub Londoner aufgebaut hat, ist ein Rätsel. Statt des alljährlichen, von medialem Getöse begleiteten Kurzauftritts von Marcel Hirscher ebendort sprang heuer dessen früherer Rivale und Spezi Felix Neureuther ein. Der Deutsche kam ins Kongresszentrum, um sein Buch "Für die Helden von morgen" zu präsentieren, und nicht wie er eingangs scherzte, ein Comeback in der Abfahrt zu wagen. Es gehe ihm darum, die Jugend wieder für Sport zu motivieren. "Wir müssen etwas verändern, sonst wird es für den Skisport beim Thema Nachhaltigkeit schwierig werden."

Felix Neureuther mit seinen Co-Autoren Stefan Illek (links) und Alex Hofstetter.
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Verantwortliche der Verbände will er zum Nachdenken anregen. Es gebe zu viele Disziplinen und zu viele Rennen. Der deutsche Sieger am Ganslern 2010 und 2014 wetterte gegen Kommerz, Korruption und eingerostete Strukturen. "Es kann nicht sein, dass der Verband möglichst viel Geld lukriert, der Sportler muss an erster Stelle stehen." Das Motto "Höher, stärker, mehr" sei kontraproduktiv. Die Professionalisierung sei ein Problem für den Breitensport. Auch wegen der vielen Verletzungen müsse man sich Gedanken machen.

In Kitzbühel musste man nicht nachdenken, wie man den Sport bei den ansonsten schrillen Nebengeräuschen wieder mehr in den Mittelpunkt rückt, das hat die Pandemie nebenbei erledigt. Den Rennläufern bleiben die obligaten PR-Termine erspart, sie können sich bei der 81. Ausgabe auf das Wesentliche konzentrieren.

Schnellster beim Abschlusstraining auf einer mittlerweile schlagiger gewordenen Streif war Vincent Kriechmayr. Die Meteorologen sind für die Wengen-Ersatzabfahrt am Freitag (11.30 Uhr, ORF 1) sehr zuversichtlich. Für die Hahnenkammabfahrt am Samstag, in die Matthias Mayer als Vorjahressieger geht, und den Super-G am Sonntag sehen die Prognosen deutlich bescheidener aus. (Thomas Hirner, 21.1.2021)