Wien – "Ich spiele seit einem Jahr Feuerlöscher. Alle verstecken sich hinter Corona." Verwaist ist der Graben, den Jamal Al-Wazzan von seinem Büro aus im Herzen der Wiener Innenstadt überblickt. Bei ihm selbst, hoch über der altehrwürdigen Einkaufsstraße, aber herrscht Hochbetrieb. Einzelhändler und Anwälte finden sich ein. Es geht um die Bewältigung der Krise. Das heiße Eisen sind vor allem Mieten.

Jamal Al-Wazzan: "Der Mensch erkennt, dass er keine Maschine ist."
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Al-Wazzan handelt mit Mietrechten. Rund 200 Geschäfte in der Wiener und Salzburger Innenstadt sind in seiner und seines Bruders Hand. Konzerne wie Zara, H&M, Swarovski, Nespresso und Lagerfeld verkaufen unter ihrem Dach, wie auch viele kleine Traditionsbetriebe in zentralen Lagen. Seine Verluste an Mieteinnahmen summierten sich bereits auf mehrere Millionen Euro, rechnet der Unternehmer vor. Ersetzen werde ihm diese der Staat nicht.

Harte Konflikte

Al-Wazzan erzählt von begüterten Hauseigentümern, die Händlern Mietrückstände von der Kaution abziehen. Und von großen internationalen Handelskonzernen, die damit drohten, auszuziehen, gewähre der Vermieter aus ihrer Sicht zu geringe Nachlässe. Andere Betriebe wiederum genössen einen niedrigen alten Mietzins, was Konflikte mit Hauseigentümern geradezu provoziere.

Verständnis dafür, dass massiver Druck auf Handel und Gastronomie ausgeübt wird, auch wenn Mieten zuvor 20 Jahre lang pünktlich bezahlt wurden, hat der Immobilienmogul keines. Auch vor Gericht sei damit für Eigentümer derzeit nichts zu gewinnen, ist er überzeugt. Denn allgemeingültige Regeln ließen sich hier nur schwer finden.

Ein gangbarer Weg wäre aus Al-Wazzans Sicht, dass sich der Staat während des Lockdowns Mieten der betroffenen Betriebe mit ihren Vermietern teilt. Für eine noch bessere Lösung hielte er es, wenn Banken, Stiftungen, Versicherungen, große Konzerne dazu angehalten würden, die Mieten auszusetzen. "Diese würden es am wenigsten spüren."

"Sich zusammenraufen"

Wie handhabt er es selbst? Dort, wo er Immobilien besitzt, habe er privaten Mietern, die vom Geschäft leben, im April die Miete erlassen, wie auch im November und Dezember, sofern sie im zweiten Lockdown keine staatliche Hilfe erhielten. Für Februar wird noch verhandelt. "Am Ende des Tages geht es um individuelle Vereinbarungen. Man muss sich halt zusammenraufen."

Der Handel jedenfalls leide erheblich unter der Krise, sagt Al-Wazzan. Er selbst sei alles andere als ein Corona-Leugner. Die Restriktionen der Regierungen weltweit hält er jedoch für "völlig überzogen", wie er im Gespräch mit dem STANDARD betont.

Wie viel Leben lässt Corona im Handel zu? Mehr, als Virologen lieb ist, weniger, als sich Unternehmer wünschen.
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Bis zu 5000 Milliarden Euro werde die Krise wohl allein Europa kosten. Im Nachhinein sei man immer klüger, dennoch frage er sich, warum Städte wie Wien an ihrer Peripherie nicht fünf Spitäler aus dem Boden stampften und mehr Arbeitskräfte umschulten. Auch hätte man mit konsequentem Maskentragen und Abstandhalten von Anfang an Schaden eindämmen können.

Seine These sei gewagt, sagt Al-Wazzan, dennoch sei er sich sicher, dass die Krise letztlich eine Gesundheitskur sei. "Für den Handel, die Gastronomie und unser Hirn." Der Mensch erkenne, dass er keine Maschine sei und wie sehr er das soziale Leben und Erleben brauche. Der Tourismus etwa werde, wenn man die Pandemie nach den Impfungen in den Griff bekomme, explodieren und sich zu eine der stärksten Branchen entwickeln. "Die Leute wollen raus, die breite Mittelschicht hat Geld." Der Handel liege nun zwar am Boden, bergab ging es jedoch bereits seit 2014, was dem natürlichen Lebenszyklus vieler Marken geschuldet sei, sagt Al-Wazzan. Nicht alle koste der Lockdown Geld. Dank der staatlichen Förderungen hätten einige daran verdient. "Jede Krise hat auch ihre Gewinner."

Entscheidend sei, dass sich Banken und Geldgeber beim Wiederaufbau den Unternehmen wohlwollend zeigten. Ihr Job sei es, sich bei Finanzierungsentscheidungen deren Bilanzen vor Corona anzusehen. Es gehe schließlich auch um Umsatzsteuer für den Staatshaushalt.

"Der Mensch ist bequem"

An eine Änderung der Konsumgewohnheiten hin zu mehr Mäßigung glaubt Al-Wazzan nicht. "Der Mensch lernt schwer um, und er ist bequem." Klar habe der Onlinehandel an Boden gewonnen. Für alles, wozu es Sinne brauche, werde es die Konsumenten aber weiterhin in die stationären Geschäfte ziehen. Denn der Wert einer Ware ermesse sich auch am Ort, wo sie gekauft wurde. Dafür brauche es Showrooms. Und sie werde gern hergezeigt. "Die Leute wollen mit ihrem Gucci-Sackerl im Fabios sitzen." (Verena Kainrath, 22.1.2021)