Die Geschichte ist unfassbar!! Auch die Ermittler waren schockiert, als sie vergangenen Mittwoch die Tore zu der 900 mal 700 Meter großen Fabrik im abgelegenen Örtchen Sudenčiov in der autonomen Republik Tamekistan nur unter massivem Einsatz von Waffengewalt öffnen konnten. Vor ihnen machte sich ein Bild des Schreckens breit, das bis dahin nur aus den dystopischsten Filmen bekannt war. Scharfsinnige Beobachter hatten aber schon länger vermutet, dass etwas im wahrsten Sinne des Wortes im Busch ist!

In der Halle wurden ersten Mitteilungen zufolge 127 Roboter entdeckt, die allesamt von einer hyperintelligenten künstlichen Intelligenz gesteuert werden, die sich im zentralen Serverraum in 500 Metern Tiefe befindet.

Laut zahlreichen Experten wurde das deshalb so gebaut, weil die Sendedaten des dafür verwendeten Xy-20-CC-Servers so weder von US-amerikanischen noch von russischen Geheim- und Nachrichtendiensten abgefangen werden können. Experten haben bereits erste Theorien über die genaue technische Zusammensetzung des Superservers mit stichhaltigen Ergebnissen auf Youtube und Parler zusammentragen. Überraschenderweise weigerten sich bislang alle anderen Medien, darüber zu berichten!

Was steckt hinter der mysteriösen KI-Roboter-Armada? Der Mann, der mit der Leitung der Ermittlungen betraut wurde, sagte in einem exklusiven Telefonat, auch er könne vorerst nur spekulieren. Da auf den konfiszierten Servern aber Bezahl-Abos sämtlicher Online-Nachrichtenseiten und Magazine gefunden wurden, gehe er davon aus, dass die Armada weltweit Fake-News streue. Der Mann schätzt, dass die Anlage seit drei Jahren in Betrieb sei und Billionen Fake-Artikel in Umlauf gebracht worden seien. Menschen habe man bei dem Großeinsatz nicht angetroffen. Man kontrolliere aber noch, wohin ein Tunnel führe, der dem Gebäude angeschlossen sei!

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Sind Sie auch schon stutzig geworden? Ich, Fabian Sommavilla, der eigentliche Verfasser dieses Artikels, kann Sie beruhigen. Bei der obigen Geschichte über Fake-News handelt es sich ebenfalls um: Fake-News. Dass diese von jeher, vor allem aber seit der rasanten Ausbreitung des Internets in aller Welt florieren, ist keine große Neuheit. Der Begriff "Fake-News" ist spätestens seit der Präsidentschaft von Donald J. Trump zum weltweit bekannten Buzzword geworden.

Mit der Corona-Pandemie wurde ein weiteres Mal auf erschreckende Art und Weise verdeutlicht, wie viele Menschen für Fake-News-Berichte empfänglich sind – vor allem wenn es um Themen geht, bei denen das eigene Wohl gefährdet zu sein scheint.

Fake-News als solche zu entlarven ist manchmal sehr einfach, teilweise aber auch knifflig – da braucht es dann mehr als ein paar Klicks, um die Falschmeldung zu überprüfen. Unser Beispiel liegt wohl irgendwo dazwischen, sollte einem geschulten Auge aber sofort als solches auffallen – nicht zuletzt weil alle Elemente eines gängigen Fake-News-Artikels enthalten sind. Gehen wir sie chronologisch durch:

1. Die Überschrift

ist reißerisch

Der Artikeltitel klingt erstmal reißerisch, ein Fake-News-GAU ist besonders gefährlich. Das ist in einer Welt, in der auch Medien ums Überleben kämpfen und die Aufmerksamkeitsspannen von Menschen immer kürzer werden, nicht sofort ein Indiz für Fake-News. Vor allem der Boulevard, aber auch viele Qualitätsmedien nutzen (leider) spektakuläre Schlagzeilen, um das Interesse der Menschen zu wecken. Besonders sensationsheischende Überschriften sollten aber die Alarmglocken ertönen lassen. Aufgepasst, auch wenn die Überschrift schon sehr witzig klingt! Viele Menschen können satirische nicht von seriösen Texten unterscheiden, warnen die Fake-News-Experten von FirstDraftNews.

2. Der Autor

ist fiktiv

Viele Autoren von Fake-News benützen ihre Klarnamen. Die Internationale Vereinigung bibliothekarischer Verbände rät deshalb zum Google-Check. Ist etwas faul, werden Ihnen relativ bald Warnhinweise begegnen! Viele nutzen aber auch Synonyme aus der Popkultur. So auch ich: Thomas A. Anderson ist vielen besser als "Neo", als die Hauptfigur aus der Science-Fiction-Reihe Matrix, bekannt und sicher kein Journalist in einem etablierten Medium. Finden auch Sie ein paar Journalisten, denen Sie vertrauen. Folgen Sie Ihnen auf Twitter und fragen Sie sie um deren Einschätzung, wenn Sie ganz unsicher sind.

3. Die Übertreibung

Obacht bei Superlativen

Der Artikel beginnt mit reißerischen Adjektiven, die immer wieder gestreut werden. Unfassbar, schockierend, massiv, hyperintelligent. Dann der Superlativ: Man kenne dies "nur aus den dystopischsten Filmen". Solche Adjektive kommen mitunter auch in seriösen Artikeln vor. Wenn sie aber so häufig eingesetzt werden, ist Vorsicht geboten. Neben falschen Nachrichten könnte eine übertriebene Sprache auch auf einen ausschließlich von Meinung geprägten, aktivistischen Artikel hinweisen – oder auf Propaganda. Aufgepasst auch bei Zahlen. 127 Roboter scheinen noch vertretbar, aber in einer so riesigen Fabrik? Und dass Billionen von Fake-News produziert werden? Achten Sie auf realistische Maßstäbe.

4. Der Ort

ist frei erfunden

Ich habe für die Fake-News-Geschichte den fiktiven Ort Sudenčiov in der Autonomen Republik Tamekistan angenommen. Über Sudenčiov liest man leicht drüber, niemand kennt schließlich alle Orte auf der Welt. Spätestens bei der Autonomen Republik Tamekistan sollte man aber stutzig werden. Zwar gibt es zahlreiche Möchtegern-Kleinststaaten – und dieser klingt auch ähnlich wie jene vielen bekannten, von denen Sie zumindest schon einmal gehört haben. Ein seriöses Medium würde zudem immer ergänzen, in welchem anerkannten Staat sich der Vorfall wirklich ereignet hat. Ansonsten auch: Google anwerfen oder Atlas aufschlagen.

5. Die Grammatik

ist nicht fehlerfrei

Der ausufernde Gebrauch von Ausrufezeichen wurde in sozialen Medien sogar als "!!!11elf!1!" zur Parodie. Wer tobt, vergisst auf die Großstelltaste, und dann fallen Einsen und Elfen. Wer zu viele Satzzeichen braucht, um seinen Aussagen vermeintliches Gewicht zu verleihen, führt oft etwas im Schilde.

Auch Rechtschreib- und Syntaxfehler kommen häufig vor. Diesen Kampf verlor ich jedoch gegen unser strenges Lektorat. Achten Sie dennoch auf falsch eingesetzte Redewendungen oder wenn etwas "im wahrsten Sinne des Wortes im Busch" sein soll, wenn tatsächlich nichts im Busch ist.

6. Experten

bleiben anonym

Verfasser von Fake-News berufen sich wie Verschwörungstheoretiker gerne auf angebliche Experten, deren Namen aber nur selten genannt werden. Beliebt sind auch Doktoren, die ihre Titel oft aber in komplett fachfremden Gebieten erhalten haben. Auch in diesem Text kamen "Experten", Youtube-Experten und ein nicht genannter Insider vor – kein einziger mit Namen. Es gab auch keine redaktionelle Erwähnung, dass die Namen der Experten dem Journalisten bekannt sind, aber aus Quellenschutz nicht genannt werden können.

7. Zweifel

durch verzerrten Kontext

Sätze wie "Überraschenderweise weigerten sich bislang alle anderen Medien, darüber zu berichten?!" sind mit höchster Skepsis zu genießen. Über alle wirklich bedeutenden News berichtet meist eine große Auswahl regionaler, überregionaler und gar internationaler Medien – seien Sie sich dessen gewiss. Wenn Sie von einer scheinbar großen Story hören, von der auch Tage nach den Vorkommnissen nicht berichtet wird, ist höchstwahrscheinlich etwas faul. Dass man als scheinbar Einziger über etwas berichtet, wird auch gerne zur Diskreditierung der "Medien" als vermeintlich homogene Masse herangezogen. Oft werden auch Fakten berichtet – diese dann aber in verzerrtem Kontext dargestellt.

8. Die Verschwörungen

Der Kreis schließt sich nicht

Fake-News nehmen immer wieder Bezug auf andere unhaltbare Theorien. Prüfen Sie die gesetzten Links online und vergewissern Sie sich deren Zuverlässigkeit. Aber aufgepasst: Oftmals ist es ein reiner Kreis aus auf sich selbst beziehenden Artikeln. Es gibt einige wiederkehrende, teilweise zigfach widerlegte Argumente. Viele beziehen sich auch auf Geheimdienste großer Nationen, eine angebliche verborgene Elite, die die Medien steuert, und immer wieder kommen geheime Tunnelsysteme ins Spiel. Andeutungen bezüglich jener Verschwörungserzählungen kamen auch in diesem Artikel vor. Wie bei anderen Verschwörungserzählungen auch werden sie aber nie konkret und bleiben vage.

Am wichtigsten:

Kritisch bleiben!

Bitte bleiben Sie aufmerksam – uns wie allen anderen Newsportalen gegenüber. Überfliegen Sie nicht nur die Überschriften, sondern lesen Sie Artikel, bevor Sie diese in sozialen Medien teilen oder per Chat ihren Familienmitgliedern und Freunden weiterleiten. Schlagen Sie auf unabhängigen Fact-Checking-Seiten nach, wenn Ihnen etwas "komisch" vorkommt, und fragen Sie nach bei Menschen, die Ihnen ein "Gschichtl drucken wollen". Holen Sie bei Storys, die unglaublich klingen, ein Mal tief Luft und fragen Sie sich, ob es tatsächlich glaubhaft ist. Reden Sie mit einer Person, der Sie vertrauen und die Ihnen auch die Wahrheit ins Gesicht sagen würde, darüber. Bleiben Sie kritisch. (Fabian Sommavilla, 22.1.2021)