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Mit Corona mussten viele Makler aufrüsten, die nun vermehrt auch virtuelle Besichtigungen anbieten.

Foto: Getty Images

Analog: Nachbarn abfangen und Schimmelflecken suchen

Wohnungsbesichtigungen interessieren mich berufsbedingt sehr. Darum sagte ich gleich zu, als mich Kollege Pollerhof während seiner Quarantäne bat, mir seine potenzielle Traumwohnung anzuschauen.

Vor wenigen Tagen zog ich los. Und ich war vorbereitet: Eine Besichtigung beginnt nicht mit dem Öffnen der Wohnung. Schon die Anreise ist wichtig. Die Straßenbahn zuckelte gemütlich durch den dichten Stadtverkehr, ich machte mir meine ersten Notizen. Will man sich eine solche Verkehrssituation jeden Tag antun? Gut, dass ich nicht im Stress war. Von der Straßenbahnhaltestelle führten dann noch viele, viele Stufen hinauf zum Haus. Für Sportliche kein Problem. "Aber den Fuß darfst du dir nicht brechen", informierte ich meinen Kollegen gleich per SMS. "Einen schon", antwortete der. Optimist.

Ich war überpünktlich, die Maklerin kämpfte sich vermutlich noch die Stiegen hinauf. Ich begegnete einer sehr netten Nachbarin, die ich gleich aus fragte. "Sehr ruhig", beschrieb sie die Wohnsituation, die Nachbarn seien nett. "Nur hier", sagte sie und deutete auf einen Balkon, "ist es manchmal etwas lauter." Der Spuk sei aber immer schon zu familientauglichen Schlafenszeiten wieder vorbei, beruhigte sie mich. Auch das notierte ich mir.

Schließlich kam die Maklerin, die Besichtigung konnte losgehen. Schnell war klar: Hier passt so weit alles. Das Stiegenhaus schien sauber. Auch in der Wohnung selbst konnte ich keine gut versteckten Leichen oder etwas harmlosere Wasser- oder Schimmelflecken entdecken, wie von mir befürchtet. Gut, die Raumhöhe im WC ist für große Menschen etwas niedrig. Und das Sofa, das auf Wunsch mitvermietet wird, hatte einen Fleck. Dafür war der riesige Einbauschrank aus den 1970er-Jahren einwandfrei. "Da passt sogar der Staubsauger rein", befand ich begeistert – bevor mir der Sneakers-Tick des Kollegen einfiel. Die beste Überraschung: Der Balkon war größer, als er auf Fotos wirkte. Und von Blicken wird man durch einen schönen, alten Baum abgeschirmt. Hier hat sogar ein Tisch Platz, falls Kollege Pollerhof im Frühling noch im Homeoffice sitzt. (Franziska Zoidl)

Virtuell: Google Maps und "Die kann dich hören"

In der Regel ist es so, dass ich Wohnungen nicht besichtigen muss, um ein Gefühl für sie zu entwickeln. Die Bilder, die Art, wie der Anzeigentext geschrieben ist, die Informationen, die gegeben sind – all das vermischt sich in meinem Kopf zu einer Besichtigung, die nie real stattgefunden hat .

Dieses Gefühl kann natürlich auf falschen Fakten aufgebaut sein. Weswegen es auch klar war, dass ich die Wohnung gerne in Echtzeit sehen wollte. Die durchaus pixeligen Fotos der Smartphone-Kamera der Maklerin waren mir dabei Beweis genug. Die Lichtverhältnisse glichen denen der Bilder, auch die Räume sahen im Virtuellen so aus wie auf dem vorab studierten Grundriss, der so unleserlich war, dass er aus der K.-u.-k.-Monarchie stammen könnte. Das "Bauchgefühl", wie es Kollegin Zoidl nennt, war bestätigt.

Ein weiterer Pluspunkt war, dass mein Vater als ein weiteres Augenpaar draufschauen und Fragen stellen konnte. Da musste sich auch die Maklerin ein Schmunzeln verkneifen, als er mich bat, die Dame etwas zu fragen, und ich mit "Die kann dich doch hören" antwortete. Aber sei’s drum, alles Wissenswerte ist bei uns angekommen.

Und auch die Umgebungserkundung ist von weit weg kein Problem. Mit Google Street View bin ich die Straßen nach Auffälligkeiten abgefahren, mit Google Maps habe ich Supermärkte, Apotheken und Cafés gesucht. Sogar der Weg zur Arbeit brauchte keinen Selbsttest, sondern nur ein paar Klicks.

Aber der Fakt, dass ich Kollegin Zoidl um Spurensuche vor Ort gebeten habe, zeigt ja, dass virtuell etwas fehlt. Die auf der linken Seite zu lesenden Gespräche mit den Nachbarn, die Intensität der Stiegen, der Geruch, den eine Wohnung an sich hat und der von jedem anders aufgenommen wird – all das sind Sachen, die man über einen Bildschirm nicht transportieren kann. Ich habe vollstes Vertrauen in die Kollegin, sie ist in vielen Sachen eh noch strenger als ich.

Übrigens, meine erste Wohnung in Wien habe ich auch nie gesehen, bevor ich eingezogen bin – da war ich jetzt über zwei Jahre lang zufrieden. Wird schon passen. (Thorben Pollerhof, 23.1.2021)