Man kann sich die Bilder von Jean-Michel Basquiat, hier "Rubber", wie diese zwei Damen anschauen. Man kann es aber auch wie Hanno Millesi machen und vorher Heroin sniefen – oder es zumindest versuchen.

Foto: Imago / Nils Jorgensen

Der Rollstuhl und die Nähe zu einer Tür mit der Aufschrift "Management" deuten darauf hin, dass mich einer der Aufseher hierherverfrachtet hat. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich ihnen Probleme bereite – keine gravierenden, weshalb sie mich mit einer gewissen Nachsicht behandeln. Mir kommt vor, sie schätzen jede Form, sich mit einem Kunstwerk auseinanderzusetzen, solange sie von derjenigen abweicht, die sie von den Anzugträgerinnen in ihrer Direktion gewohnt sind.

Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist ein Gemälde von Friedensreich Hundertwasser, auf dem etliche Farbbahnen den Blick spiralförmig zu einem Zentrum leiten, das … das Bild betrachtend, dürfte ich die Orientierung und schließlich das Bewusstsein verloren haben. Oder ich bin einfach nur eingeschlafen, was an der Marihuana-Zigarette gelegen haben könnte, die ich unmittelbar vor der meditativen Betrachtung des Hundertwasser-Bildes geraucht habe.

Angefangen hat es mit einer Anekdote über Hieronymus Bosch, in der es heißt, von seinem Atelier aus habe ein Gang zu einer Jauchegrube geführt, die der Künstler zu besuchen pflegte, um sich Inspiration für all die bizarren, in ihrer Abartigkeit furchteinflößenden Figuren zu holen.

Diese Geschichte hat mich auf die Idee gebracht, mir Boschs Bilder unter einem vergleichbaren Einfluss anzusehen. Blieb noch die Frage, was ein Pendant zu Jauche wäre. Sollte ich etwa Benzin schnüffeln wie in der Mittelschule? Wie sich das auf die Betrachtung von Boschs Bilder ausgewirkt hätte, kann ich nicht sagen. Ins Museum habe ich es, von höllischen Kopfschmerzen daran gehindert, an diesem Tag nicht mehr geschafft.

Von diesem gescheiterten Versuch bestärkt, beschloss ich, mir einige epochenprägende Kunstwerke unter dem Einfluss jeweils der Droge anzusehen, die als charakteristisch für jene Epoche gilt, die man in ihnen gespiegelt findet. Im Fall von Hundertwasser müsste das eigentlich Marihuana gewesen sein.

Hinunterschlucken und warten

Das erste Bild, das ich mir vornahm, war eine Version der Marylins von Andy Warhol, dessen Factory bekanntlich von Amphetaminen am Laufen gehalten wurde.

Nun sind Amphetamine nicht ganz so leicht aufzutreiben wie Gras, das man, wie ich von einer befreundeten Lehrerin – natürlich in bildnerischer Erziehung – weiß, auf jedem Schulhof erwerben kann.

Über den Amphetamin-Dealer hier nur so viel: An die Innenseite des Deckels einer Pralinenschachtel, die durchsichtige, mit weißem Pulver gefüllte Plastikbeutel in drei verschiedenen Größen beinhaltete, hatte er Ziffern geschrieben. Ein simples Geschäftsgebaren, das mich im Museum dazu inspirierte, die Droge, um kein Aufsehen zu erregen, einfach hinunterzuschlucken und, auf das Einsetzen der Wirkung wartend, durch die restlichen Schausäle zu schlendern.

Von meinem Ausflug in Warhols Sixties weiß ich nichts mehr. Aber heißt es nicht, dass jemand eine Phase außergewöhnlicher Intensität nur dann wahrhaftig miterlebt hat, wenn er sich im Nachhinein nicht mehr daran erinnert? Lediglich ein paar Eindrücke bleiben zurück, Splitter, die er zu seiner Version des Vergangenen zusammensetzt. Von diesem Gedanken ist es nicht weit zu Damien Hirst und seinen zerschnittenen, in Formaldehyd eingelegten Tierkadavern.

Nächste Herausforderung

Zunächst konnte ich mich nicht entscheiden, ob die zu Hirsts Arbeit passende Droge Ecstasy oder doch eher Kokain wäre. Da ich jedoch – rein zufällig – an Kokain geriet, sagte ich mir, dass es besser passe, und zwar aufgrund seines virilen Charakters. Eine weitere Parallele besteht darin, dass Koks die Lieblingsdroge der Finanzexperten ist, während die beständige Wertsteigerung der Werke Hirsts als Begleiterscheinung ihrer Ästhetik gilt.

Vielleicht lag es aber auch an den skurrilen Umständen, die mich in den Besitz dieser Droge gebracht haben. Alles, was ich zu tun hatte, war, nicht Nein zu sagen. Zumindest nicht, als jemand in meinem Stammlokal vor mich trat und mir betont unauffällig ein Briefchen zusteckte. Wie sich herausstellte, war eine private Party im Gange, und als ich – ein Stammgast – dazustieß, entschädigte mich der Veranstalter, anstatt mir das Gefühl zu vermitteln, ein Störenfried zu sein, unaufgefordert mit ein wenig weißem Pulver, jenem zum Verwechseln ähnlich, das mich die 60er-Jahre hatte vergessen lassen.

Obwohl im Umgang mit Kokain ohne Erfahrung, ahnte ich, worum es sich handelte. Um sicherzugehen, bat ich den Lokalbesitzer, den Stoff für mich zu testen. Das leere Briefchen in der Hand, bestätigte er mir, dass es sich um Kokain gehandelt hatte. Verdutzt tröstete ich mich damit, dass es in Anbetracht der Tierleichen ein Horrortrip hätte werden können, und stellte mich der nächsten Herausforderung: Jean-Michel Basquiat.

Mehr Hingabe

Hatte ich es bisher mit Drogen zu tun gehabt, die einigermaßen verbreitet sind, erforderte die Auseinandersetzung mit dem Werk dieses Künstlers deutlich mehr Hingabe. Um mich in einen Basquiat zu vertiefen, kam nur eine Droge infrage: Heroin, die Heldin, Ihre Majestät unter den Suchtmitteln, mit der auch nur zu flirten allerhand Gefahren beinhaltet. Danach befragt, wie ich an Heroin kommen könnte, wurde ich in meinem Stammlokal auf einen gewissen Mister 21 Gramm verwiesen, dessen Alias darauf zurückzuführen sei, dass er jeden Abend mit exakt 21 Gramm – angeblich das Gewicht der menschlichen Seele – auf Verkaufstour gehe.

Nachdem ich sein Sortiment um ein Gramm erleichtert und das Angebot des Lokalbesitzers, den Stoff auf seine Reinheit auszuprobieren, dankend abgelehnt hatte, entschied ich mich dafür, die Droge vor meiner nächsten Begegnung mit einem Werk von Basquiat – für Anfänger in Sachen Heroin nicht unüblich – zu sniefen.

Wie sich herausstellte, hatte ich vor allem Milchpulver gekauft, was ich, unter Laktoseintoleranz leidend, auf unschöne Art zu spüren bekam. Der Betreiber meines Stammlokals schüttelte nur den Kopf. Warum hatte ich es auch abgelehnt, ihn das Zeug checken zu lassen?

Was den Basquiat betraf, war ich zwar enttäuscht – nicht von Jean-Michel –, aber es gibt eben Kunstwerke, zu deren Wesen man ganz einfach nicht vordringt. Als Nächstes entschied ich mich für einen Klassiker aus einer Zeit, in der in Künstlerkreisen legal erhältliche Stimulanzien kursierten. Ich meinte sogar, darin einen allen offenstehenden Zugang zur Kunst zu erkennen. Meine Wahl fiel auf ein Gemälde von Jackson Pollock, und ich beschloss, mich vor einem eingehenden Betrachten mit Whiskey volllaufen zu lassen. Wie sich herausstellen sollte, hat jedoch auch die Old School ihre Tücken.

Wie Bob Dylan auf der Bühne

Erst schien es mir unvermeidlich, bereits morgens mit dem Trinken anzufangen. Schließlich hat Pollock die Farbe in großen Mengen auf die Leinwand geschüttet. Auf dem Weg ins Museum diente mir der Whiskey dann als Treibstoff, und als mich ein Passant, der meine Flasche bemerkt hatte, aufforderte, mit ihm auf das Leben anzustoßen, flüsterte mir Pollocks Whiskey zu, der Sinn der Kunst bestehe im Grunde aus nichts anderem.

Der Passant wiederum riet mir, sofern ich an Kunst interessiert sei, einem Museum unter allen Umständen fernzubleiben. Wahre Kreativität erwarte mich hingegen ein paar Straßen weiter. Eine Künstlerin male sie dort mit simplen Ölkreiden auf den Gehsteig. Ob ich mir das angesehen habe, weiß ich nicht mehr. Vage erinnere ich mich an ein aus der Kunstgeschichte bekanntes Motiv in einer Version, in der es sich als Dekoration eines Swimmingpool-Bodens gut machen würde.

Den Pollock habe ich auf diesem Ausflug nicht zu Gesicht bekommen, die verschiedenen Flüssigkeiten könnten mich jedoch auf die Idee gebracht haben, meinen nächsten Besuch einem Hundertwasser zu widmen.

Kunst kann mehr

Jetzt räkle ich mich in dem Rollstuhl, in den mich einer der Aufseher freundlicherweise gesetzt hat. Dann erhebe ich mich, mache zwei, drei Streckübungen und will den Saal verlassen, als ich einen älteren Herrn bemerke, der bei meinem Anblick ganz bleich wird. Ich muss an einen Folkmusic-Fan denken, der gerade feststellt, dass Bob Dylan die Bühne mit einer elektrischen Gitarre in der Hand betritt.

Der Alte ist dermaßen perplex, dass er seinen Schirm fallen lässt. Ich gehe in die Knie, um ihn aufzuheben, als ich ihn seinem Besitzer reiche, reagiert dieser jedoch mit einer ängstlichen, einer abwehrenden Geste. Ehe ich mich zum Ausgang begebe, händige ich den Schirm einem Aufseher aus, als wäre er aus einem Magritte-Bild gefallen.

Weshalb mein Abgang solches Erstaunen ausgelöst hat, wird mir erst außerhalb des Museums klar. Den Rollstuhl hatte ich völlig vergessen! Vielleicht hat auf diese Weise wenigstens der alte Mann begriffen, dass Kunst mehr kann, als ein vorübergehendes Bedürfnis nach Ästhetik zu stillen. (Hanno Millesi, 24.1.2021)