Auch Esel dürfen in Frankreichs Dörfern künftig wieder nach Herzenslust schreien.

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Bondons, 140 Einwohner, am Rand der Cevennen in Südfrankreich gelegen, ist eines jener französischen Dörfer, wo die Welt noch in Ordnung ist. Oder war. Seit kurzem sorgt die Kapellenglocke für Unfrieden in dem hübschen Örtchen aus Natursteinhäusern. Ein Touristenpaar störte sich in seinem Gästezimmer an dem Gebimmel und ging sich beim Bürgermeister lauthals beklagen.

Das brachte das Fass für Pierre Morel-A-L'Huissier zum Überlaufen. Der Abgeordnete des ländlichen Departements Lozère reichte in der Nationalversammlung einen Gesetzesvorschlag ein, um die Klagen der städtischen Besucher zu unterbinden. Nicht weniger als 18.000 solcher Beschwerden seien in Frankreich anhängig, behauptet der hauptberufliche Anwalt, ohne die Zahl zu belegen.

In dem Provence-Ort Beausset hätten Touristen wegen des Gesangs der Zikaden Beschwerde eingereicht, ärgert sich Morel-A-L'Huissier. "Sie verlangten, dass man sie mit einem Insektizid austilge!" Gerade wegen der Corona-Krise zögen immer mehr Leute aufs Land – wo sie sich dann an den Geräuschen und Gerüchen der Landwirtschaft störten. "Die Leute, die hierherkommen, wissen nicht, was das Landleben ist", so Morel-A-L'Huissier – ein Leben, zu dem häufig auch Mist, Traktoren und Gülle gehören.

Regionale Listen

Einer breiteren Öffentlichkeit war das Thema bereits vor zwei Jahren bewusst geworden, als ein Gericht einen Hahn – immerhin das französische Nationalsymbol – vom Tatbestand des frühmorgendlichen Kikerikis freisprach. Der Abgeordnete Morel-A-L'Huissier weiß, wie solche Prozesse zu verhindern sind: Die einzelnen Landesregionen sollen eine Liste mit Geräuschen wie dem Eselschrei oder Gerüchen wie dem des Kuhfladens erstellen, die zum lokalen Kulturerbe gezählt werden. Einmal auf der Liste, sollen sie gegen Gerichtsklagen gefeit sein.

Der französische Staatsrat hat den Inhalt des Gesetzes vor einem Jahr abgesegnet. "Das Thema erscheint auf den ersten Blick unerheblich, wirft aber in Wirklichkeit tiefgehende Fragen auf, die mit der französischen Identität und dem Zusammenleben zu tun haben", argumentierten die Verwaltungsrichter in Paris.

Die Nationalversammlung hat den Gesetzesvorschlag bereits vor Wochen gebilligt, am Donnerstag wurde er auch im Senat abgesegnet, wo die ländlichen Gebiete den Ton angeben. Der Inkraftsetzung des Gesetzes steht somit nichts mehr im Wege. Aus dem ganzen Land kommt zustimmendes Muhen, Blöken, Quaken und Zirpen. (Stefan Brändle aus Paris, 22.1.2021)