STANDARD: Weshalb sprechen Sie dem Fachlichen so offen die prioritäre berufliche Bedeutung ab?

Hawlitzeck: Ich spreche der Bedeutung des Fachlichen gar nichts ab! Ich relativiere nur dessen Bedeutung in Bezug auf die Disruption und Transformation der Arbeitswelt. Immerhin stellt beides beträchtliche Anforderungen an die geistige Verfassung – das, was wir heute Mindset nennen. Die entscheidende Frage lautet doch: Wie wird im Kopf mit den grundlegenden Veränderungen umgegangen? Das Mindset stellt maßgeblich die Weichen, wie man sich in der neuen beruflichen Umwelt behaupten kann. Und diese hat sich in ein großes Experimentierfeld verwandelt. Unternehmensführung und -organisation entfernen sich rasant vom Gewohnten. Die tradierten Formen der Zusammenarbeit und Aufgabenerledigung sind dabei, Makulatur zu werden. Ehemals als zukunftssicher geltende Berufsbilder verkehren sich in ihr Gegenteil. Herkömmlichen Geschäftsmodellen geht die Luft aus. Der Boden unter den Füßen der Berufstätigen wankt. Die von diesem Rundumexperiment ausgehende psychomentale Belastung muss verkraftet werden. Voraussetzung dafür ist, sich einen klaren Kopf in einem Meer von Unklarem zu bewahren. Wer es jetzt versäumt, auf ein stützendes Mindset hinzuarbeiten, wird das bereuen. Denn sich in dieser beruflichen Umwelt auch noch persönliche mentale Instabilität zu leisten kann verflixt ins Auge gehen.

STANDARD: Tragen Sie nicht ein wenig zu dick auf?

Jörg Hawlitzeck ist Experte für Leadership-Mindset sowie Managing Partner von Business Culture, Vortragender und Autor.
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Hawlitzeck: Dieser Einwand ist mir nicht fremd. Will ich einen tief Schlafenden wach bekommen, muss ich ihn wohl oder übel rütteln. Meine Arbeit ermöglicht mir einen Einblick in so manche Einstellung zu dem, was der legendäre Joseph Schumpeter einmal so bildstark als "schöpferische Zerstörung" bezeichnete. Und nichts anderes läuft derzeit ab. Darauf hinzuarbeiten, sich von der Dramatik dieser industriellen Revolution nicht aus der Fassung bringen und den Schneid abkaufen zu lassen, sollte aus meiner Sicht unbedingt auch das Bemühen um mentale Kompetenz miteinbeziehen. Denn die Tragweite dessen, was beruflich in den kommenden Jahren verkraftet werden muss, wird unterschätzt. Irgendwie dämmert es zwar, dass es nicht besonders lustig werden wird, aber die wirklichen Konsequenzen mag oder will man sich in der gebotenen Härte nicht vor Augen führen. Dabei gilt für Ross und Reiter seit geraumer Zeit, sich ganz schnell von einer Vorstellung zu verabschieden, die in meiner rheinischen Heimat weitverbreitet ist: Et hätt noch emmer joot jejange – Es ist bisher noch immer gut gegangen.

STANDARD: Was ist eigentlich ein strapazierfähiges Mindset, das man sich aufbauen soll?

Hawlitzeck: Eine gleichermaßen robuste wie wache Geistesverfassung, wie man das früher nannte. Menschen dieses Schlags lassen sich nicht so schnell aus der Fassung bringen, verfolgen aufmerksam, was sich so tut, hüten sich dabei vor illusionärer Schönmalerei und erfassen nüchtern, was für sie persönlich bedeutsam werden könnte und worauf sie sich sinnvollerweise einstellen sollten. Damit sind grundlegende Bausteine dessen, was wir heute unter Mindset verstehen, umrissen. Die eigentliche Statik eines stabilen Mindsets ist aber die Fähigkeit, Gedankenabläufe so zu steuern, dass innere und äußere Ablenkungen die eigene Zielverfolgung nicht sabotieren. Kurz: sich nicht handlungssabotierend beeinflussen zu lassen und sich auf das hier und jetzt Notwendige zu fokussieren. Und unter den bestehenden Rahmenbedingungen ist beim Management des Berufs- und Lebenswegs entscheidend, dass man nicht sofort weiche Knie bekommt, wenn ungewohnte, unerwartete oder zunächst angstauslösende Anforderungen anklopfen.

STANDARD: Übersicht und Handlungsstärke zu bewahren sind also die Trumpfkarten im Turbulenten?

Hawlitzeck: Es geht doch darum, morgen noch im Spiel zu sein. Ohne Übersicht und Handlungsstärke wird das schwer. Der große Denker Immanuel Kant fasste das, worauf es ankommt, in die Worte: "Ich kann, weil ich will, was ich muss." Das mag für heutige Ohren vielleicht elitär oder hochgegriffen klingen, beschreibt dennoch recht genau die Grundlage für die Spielstärke auf dem turbulenten Spielfeld. Was dafür sorgt, ist die Bereitschaft, sich im eigenen Interesse selbst in die Pflicht zu nehmen. Das entwertet mitnichten die Bedeutung von Wissen und Können, relativiert aber deutlich die landläufige Auffassung, es komme im beruflichen Eignungsprofil vor allem darauf an. Der Basisantrieb, um unter den aktuellen beruflichen Rahmenbedingungen nicht ins Schlingern zu geraten, liegt in der Einsicht in das Notwendige. Sich ein brauchbares Mindset zu schaffen muss als zweiter Pfeiler der Kompetenz beziehungsweise beruflicher Selbstbehauptung begriffen werden.

STANDARD: Heißt das, man muss davon überzeugt sein, etwas Herausforderndes schon hinzubekommen?

Hawlitzeck: Ob ich mir ein Spiegelei braten, einen Nagel in die Wand schlagen oder mich mit beruflichen Turbulenzen auseinandersetzen will, die das Zeug dazu haben, mir das Herz in die Hose rutschen zu lassen, gilt: Je mehr ich daran glaube, dass ich das irgendwie schon hinbekomme, desto unaufgeregter gehe ich an die Sache heran. Und: desto weniger lasse ich mich aus der Ruhe bringen, wenn es nicht auf Anhieb klappt oder etwas dazwischen grätscht. Die berufliche Selbstbehauptung unter dem Damoklesschwert der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz unterscheidet sich stark vom bislang Gewohnten, das mit offensiver fachlicher Weiterbildung in den Griff zu bekommen war. Je weniger Aufgeregtheit bei der Herausforderung der sogenannten Existenzsicherung im Spiel ist, desto eher wird es gelingen, Wege zu finden, die wieder zu etwas festerem Boden unter den Füßen führen. Und desto unproblematischer wird es auch, dabei die Übersicht zu behalten, Handlungsstärke an den Tag zu legen und sich stringent auf das Notwendige hin zu orientieren. Dabei ist auch nicht zu übersehen, dass womöglich die Lösungsmöglichkeiten für die künftige berufliche Existenzsicherung ganz woanders liegen als im Gewohnten. Dank eines soliden Mindsets davon auszugehen beziehungsweise davon ausgehen zu können, dass ich auch in Drucksituationen kann, weil ich will, was ich muss, gibt eine beachtliche Sicherheit. (Hartmut Volk, 28.1.2021)