WKStA-Leiterin Ilse Vrabl-Sanda ist regelmäßig Auskunftsperson in U-Ausschüssen – sei es Ibiza, Eurofighter oder BVT.

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Für manche ist sie der Hoffnungsträger für politische Veränderung, für andere eine verschworene und anklagewütige Behörde außer Rand und Band. Die objektive, ruhig ermittelnde Institution, die sie sein will, ist die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, (WKStA) für kaum jemanden. Das ist auch nachvollziehbar: "Eine Antikorruptionsbehörde, die Everybody's Darling ist, kann ihren Job nicht gut machen", erklärte einer ihrer Oberstaatsanwälte vor dem Ibiza-U-Ausschuss. Ein anderer nennt die von der WKStA geführten Verfahren die "Nagelprobe des Rechtsstaats", weil man "regelmäßig auch gegen die mächtigsten, reichsten, am besten vernetzten Personen dieser Republik" ermittle.

Zurzeit im Visier der WKStA: ehemalige Vizekanzler wie Heinz-Christian Strache (FPÖ) und Josef Pröll (ÖVP), Ex-Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP), der einstige blaue Klubobmann Johann Gudenus, Raiffeisen-Manager, der Chef der staatlichen Beteiligungsholding und so weiter und so fort – für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Dokumentation des "System Kurz"

Die Ermittlungen der WKStA haben hochpolitische Konsequenzen, auch wenn diese von ihr nicht intendiert sind: Das sieht man daran, dass sich die FPÖ strikt auf die Seite der Antikorruptionsbehörde stellt, obwohl diese sogar gegen FPÖ-Chef Norbert Hofer ermittelt. Auch die Neos und die SPÖ lassen kein schlechtes Wort über die WKStA fallen. Das mag mit einem Ideal von Rechtsstaatlichkeit und dem Wunsch nach sauberer Politik zu tun haben. Fakt ist aber auch, dass die Verfahren der WKStA derzeit vor allem der mächtigen ÖVP schaden.

Der Ibiza-Untersuchungsausschuss, der sich stark auf Ermittlungsakten der WKStA stützt, legte das sogenannte "System Kurz" großflächig offen: Man erfuhr, wie im Hintergrund um Einfluss auf die staatlichen Casinos gefeilscht wurde, wie eng Spitzenmanager und ÖVP-Minister verbandelt waren und wie türkise Protegés Ministerien parteipolitisch benutzt haben. Man sah Spenderinnen und Spender, die davon erzählten, wie sie die Junge ÖVP unter dem damaligen Außenminister Sebastian Kurz umgarnte und um Spenden bat – und die nun in Aufsichtsräten sitzen.

Konflikte an der Tagesordnung

Gleichzeitig zeigt der U-Ausschuss einmal mehr, dass kaum eine andere Behörde ohne Konflikte mit den Korruptionsjägern auskommt: weder die für die WKStA ermittelnde Polizei in Form der Soko Tape noch die Weisungskette im Justizministerium, und auch nicht die Staatsanwaltschaft Wien, die sich im Ibiza-Verfahren um die Hintermänner des Videos kümmert. Mehrere Wochen hatten Soko Tape und Staatsanwaltschaft Wien schon eine Kopie der berüchtigten Aufnahmen, ehe die WKStA durch Medienberichte von diesem Fund erfuhr.

Konfliktscheu ist die WKStA nicht. Sobald sie eine Befangenheit oder Interventionen wittert, schlägt sie laut Alarm – das liegt aber auch in ihrer DNA. Oft hat sie gute Argumente: Dass bei der Soko Tape ein Ermittler eine zentrale Rolle spielte, der zuvor aufmunternde SMS an Heinz-Christian Strache geschrieben hatte, wird mittlerweile selbst von der Polizei als Fehler eingeräumt. Verschärft wird dieser Umstand davon, dass der Polizist auch noch bei der ÖVP aktiv war und laut WKStA in der "Schredderaffäre" Ermittlungsanordnungen gegen Mitarbeiter von Kanzler Kurz ignorierte.

Pleiten, Pech und Pannen

Für Entsetzen – unter anderem im Justizministerium und in Medienredaktionen – sorgte aber auch die WKStA selbst, die wegen ungenauer Formulierungen in einem Artikel strafrechtlich eine "Presse"-Journalistin anzeigte. Und noch vor zwei Jahren war die Korruptionsbehörde rundum unter Beschuss, weil sie sich vom damaligen Innenministerium unter Herbert Kickl (FPÖ) für eine skandalöse Razzia im Verfassungsschutz instrumentalisieren ließ. Damals im BVT-U-Ausschuss mit heftiger Kritik an der WKStA: Die Abgeordnete Alma Zadić von der Liste Jetzt.

Als grüne Justizministerin stellte sich Zadić hingegen von Beginn an schützend vor die WKStA. Die türkis-grüne Koalition war erst wenige Wochen alt, als Kanzler Kurz in einem Hintergrundgespräch heftige Angriffe gegen die Korruptionsbehörde ritt, unter anderem wegen der Casinos-Ermittlungen und der Schredderaffäre. Seither wird von der ÖVP lautstark gegen die Korruptionsbehörde getrommelt, auch wegen der langen Dauer vieler Verfahren. Von ersten Ermittlungen bis zum nicht-rechtskräftigen Urteil dauerte es in der Causa Buwog über ein Jahrzehnt. Die WKStA begründet das auch mit Ressourcenmangel und vielen Rechtsmitteln, die Anwälte der Beschuldigten einlegen.

Dass Zadić im Sommer 2020 Sektionschef Christian Pilnacek nach unzähligen Beschwerden auch durch die WKStA aus der Weisungskette entfernte, sorgte koalitionsintern für größere Verwerfungen als bislang bekannt. Mit Blick auf die BVT-Affäre raunte man in der ÖVP sogar, dass sich Zadić nun als "neuer Herbert Kickl" entpuppe, der kurzen Prozess mit vermeintlich türkisen Beamten mache.

Der Streit mit der Weisungskette

Doch ganz so einfach ist Pilnacek parteipolitisch nicht zuzuordnen: In seinen zwanzig Jahren im Justizministerium machte er unter blauen, orangen, roten, schwarzen und türkisen Ministerinnen und Ministern Karriere. Auch im Umfeld von Zadić hält man ihn für einen "integren Beamten"; hochrangige Grüne attestieren ihm eine hohe Loyalität zum eigenen Ministerium. Das ist einer der Gründe, warum Pilnacek immer noch Sektionschef, nur nicht mehr Teil der Weisungskette ist.

Pilnacek ist ein exzellenter Legistiker, aber er sucht auch die Nähe zur Macht. Als zwei Beschuldigte in der Casinos-Affäre bei ihm Anfang 2020 um einen Termin ansuchten, um sich über die WKStA zu beschweren, lud er sie ins Ministerium ein. Auch am jährlichen Sauschädlessen des Raiffeisen-Generals nahm er teil. Treibt gerade keine Pandemie ihr Unwesen, weiß man, in welchem edlen Lokal in der Wiener Innenstadt man den Sektionschef öfters abends aufsuchen kann.

Schon weit vor der Ibiza-Affäre unterstellte die WKStA dem Sektionschef, Korruptionsverfahren gegen vor allem ÖVP-nahe Politiker und Beamte abdrehen zu wollen. In dieser Lesart interpretiert die Behörde auch die Affäre rund um das BVT. Instrumentalisiert wurde die WKStA jedoch aus Sicht des unabhängigen U-Ausschuss-Verfahrensrichters vom damaligen Innenminister Kickl, der nach 17 Jahren an Innenministern aus der ÖVP parteipolitische Netzwerke aufbrechen habe wollen.

Die desaströse BVT-Affäre

Sein Kabinett lieferte der WKStA teils dubiose Belastungszeugen gegen Verfassungsschützer und schlug für eine Razzia die berüchtigte Polizeieinheit EGS samt blauem Lokalpolitiker als Einsatzleiter vor. Stundenlang durchwühlten die eigentlich gegen Straßenkriminalität ausgebildeten Polizisten unter Aufsicht der WKStA das Büro der von der FPÖ ins Visier genommenen Extremismus-Leiterin, die im Verfahren nur als Zeugin angeführt war. Ein sicherheitspolitisches Fiasko, bei dem die WKStA vorgeführt wurde – drei Jahre später ist von den eigentlichen Vorwürfen so gut wie nichts übrig geblieben; sowohl die Suspendierung des damaligen BVT-Direktors Peter Gridling wie auch die Hausdurchsuchung an sich wurden nachträglich als rechtswidrig bewertet.

Auch im Verfahren rund um den sogenannten Stadterweiterungsfonds kassierte die WKStA eine Niederlage: Jahrelang wurde gegen drei ÖVP-nahe Sektionschefs im Innenministerium ermittelt. Ihnen war von der WKStA Untreue im Zusammenhang mit Auszahlungen des Fonds unterstellt worden. Am Ende stand ein glatter Freispruch. Die Beweislage habe sich "anders ergeben, als es sich ursprünglich in der Anklage abgezeichnet hat", sagte die Vorsitzende des Schöffensenats.

Allerdings ist dokumentiert, dass das Verfahren mehrere Runden in der Weisungskette gedreht hat. Schon im Juli 2015 wollte die WKStA die drei Sektionschefs anklagen; die Oberstaatsanwaltschaft das Verfahren per Weisung einstellen. Dann schaltete sich noch das Justizministerium ein und wies im Frühling 2017 an, zwar weiter zu ermitteln, aber ohne aus Sicht der WKStA entscheidende Verfahrensteile. Diese Woche wurde der Freispruch rechtskräftig, die WKStA verzichtete erst in letzter Sekunde auf Rechtsmittel. Jahrelange Ermittlungen mit glatten Freisprüchen – ein gefundenes Fressen für die ÖVP. Die Causa zeige "ein erschütterndes Bild, das so nicht hingenommen werden darf", sagte Justizsprecherin Michaela Steinacker.

"Derschlagts es"

In der Causa Eurofighter fühlte sich die WKStA ebenfalls gegängelt. Sie übernahm die Ermittlungen spät von der StA Wien, der bisher fallführende Staatsanwalt wurde abgezogen. Im April 2019 kam es zu einer Dienstbesprechung, in der Pilnacek vorschlug, wegen der Komplexität des Verfahrens einzelne Stränge "zu derschlagen". Die Besprechung wurde heimlich aufgenommen, Pilnacek und Johann Fuchs, Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, von der WKStA angezeigt. Dem folgte die Retouranzeige. Ein noch nie da gewesener Konflikt, der in aller Öffentlichkeit ausgetragen worden ist. Die beiden Anzeigen verliefen im Sand, hinterließen jedoch Spuren.

In abendlichen E-Mails überlegten Pilnacek und Fuchs, wie man der WKStA medial schaden könnte. Der damalige Justizminister Josef Moser (ÖVP) berief eine Mediation ein, die wenn überhaupt nur kurzzeitig Früchte trug.

Denn rund um die Causa Ibiza poppten die alten Animositäten wieder auf: Das gipfelte zuletzt in einer neuen Anzeige der WKStA gegen Pilnacek und Fuchs. Beide sollen den U-Ausschuss laut einem Justiz-Insider falsch über E-Mails zu den Ibiza-Ermittlungen und die Informationskette zu einer Hausdurchsuchung informiert haben. Mit der Aufnahme eines Verfahrens ist in der Causa nicht zu rechnen, ein Vorhabensbericht der Staatsanwaltschaft Innsbruck wird gerade von unabhängigen Generalanwälten geprüft. Die Opposition nahm das zum Anlass, geschlossen die Suspendierung von Pilnacek und Fuchs zu fordern. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), der Zadić in deren Babypause vertritt, will aber die Prüfung der Generalanwälte abwarten.

Anzeigenwut

Wieder befindet sich die WKStA also inmitten eines politischen Wirbelsturms. Recht ist das den wenigsten Mitgliedern der Korruptionsbehörde. Man habe kein Interesse daran, Öl ins Feuer zu gießen, müsse zur Kenntnis gebrachtes mögliches Fehlverhalten aber anzeigen, heißt es. Man werde "ständig" in die Politik hineingezogen, obwohl man eigentlich nur ermitteln wolle. Politisch thematisiert und medial aufgegriffen würden meist zwei, drei Großverfahren mit prominenten Beschuldigten, während die überwiegende Mehrheit der Ermittlungen, die reibungslos verlaufen, ignoriert werden.

Dazu kommt, dass der WKStA oft einer Armada an Anwälten und PR-Agenturen gegenübersteht, die mittels sogenannter "Litigation-PR" Ermittlungen beeinflussen wollen. Erst diese Woche kam bei der Staatsanwaltschaft eine neue anonyme Anzeige mit dubiosen Vorwürfen gegen einen Oberstaatsanwalt der WKStA an.

Die gegenseitigen Anzeigen, teils berechtigte Kritik der WKStA, teils überschießender Eifer: Eine explosive Gemengelage, die Justizministerin Zadic bislang nicht entschärfen konnte. Aktionen wie das Anzeigen von Journalisten helfen dem Plädoyer für mehr Unabhängigkeit der WKStA nicht. Die Behörde muss heikle Ermittlungsschritte seit der BVT-Affäre drei Tage im Vorhinein an die Weisungskette melden, das wird auch so bleiben.

Einer Großreform der WKStA erteilte Zadić jedenfalls eine Absage. Wenn, dann soll die Behörde noch mehr Ressourcen erhalten, um Großverfahren zügig abwickeln zu können. Dass dadurch der Druck auf die WKStA sinken wird, ist zu bezweifeln – vor allem da die Causa Casinos, Ibiza und andere, sich daraus ergebende Verdachtsmomente noch lange nicht fertig ermittelt sind. (Fabian Schmid, 22.1.2021)