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"Hey Alter, du hast mich zu diesem Talk eingeladen. Um was geht’s?" – "Äh, pfuh, cool, mal wieder zu quatschen." So klingt das manchmal, wenn man in einen der zahlreichen Clubhouse-Räume reinsneakt.

Sie verstehen Bahnhof? Nun: Die App Clubhouse ist der neueste heiße Social-Media-Trend. Alle wollen in den Diskussions-Circle – vor allem weil nicht jeder reindarf. Der Eintritt ist nur nach Einladung möglich. Das klingt geheimnisvoll, man will dazugehören, auch einige Promis wursteln dort herum.

Nach Angabe meines Namens und eines Profilfotos bin ich drin in der exklusiven Audio-Community. Den Kern der App machen sogenannte Räume aus, "Rooms", in denen so etwas wie digitale Podiumsdiskussionen stattfinden. Alles läuft in Echtzeit, es darf nicht mitgeschnitten werden. Man kann in Rooms eintreten oder selbst welche eröffnen, etwa "Mein erstes Mal" oder "Wie genau nimmt es Clubhouse mit Datenschutz?". Dann wartet man, ob Leute teilnehmen. Fürs Erste schaue ich mich einmal nur um.

Einen Raum eröffnen geht schnell.
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Tag eins: 16.50 Uhr

Nach kurzer Suche entdecke ich den Raum "Wir reden über Podcasts aus Österreich". Ich steige ein. Rund 15 Leute haben sich versammelt, alle aus der Irgendwas-mit-Medien-Branche, das verraten ihre Profile. Die Diskussion ist rege. Wie werden Podcasts in Zukunft durch Clubhouse erweitert? Eine Kollegin von Ö3 spricht. Als begeisterter Podcasthörer nehme ich passiv teil. Klar könnte ich virtuell die Hand heben, um auf die "Sprecherbühne" gehoben zu werden, aber erst will ich beobachten. Leider kommt mir etwas dazwischen, und ich muss aussteigen, aber ich "folge" stattdessen den beiden Moderatoren. Künftig tauchen von ihnen eröffnete Rooms in meinem Kalender auf.

Es ist 21.13 Uhr. Die Familie schläft. Ich scrolle durch die empfohlenen Räume – und lande bei "Wir schauen zusammen Wer stiehlt mir die Show?". Der aus dem Retromedium Fernsehen bekannte Moderator Joko Winterscheidt hat rund 3700 Leute zum Plausch versammelt. Sie schauen offenbar eine Show, die ich nicht kenne, und reden über Zeug, das ich nicht verstehe. Joko ohne Gagschreiber liefert dann auch nicht das, was er im Fernsehen zeigt. Ich verlasse den Raum "quietly", wie es im Clubhouse heißt.

21.19 Uhr. Mich zieht es in den Talk "Clubhouse in der Kommunikation – Must-have oder nächste Sau". ZDF-Moderatorin Dunja Hayali und der Pressesprecher der CDU Sachsen diskutieren, ob ein Tool mit so niedrigen Schwellen nicht gefährlich sei, weil sich Radikale aus allen Ecken sehr einfach vernetzen könnten. Die prominente Journalistin sorgt sich wegen Störenfrieden, die eine Diskussion ohne strenge Moderation nicht möglich machen. Mario, ein Digitalmanager aus Thüringen, will sich dem Dialog mit Andersdenkenden stellen. Richard ist Journalist und will nicht widersprechen. Ich drücke "Leave quietly". Joko hat mittlerweile schon über 4.300 Zuhörer. Andere deutschsprachige Räume werden mir aktuell nicht vorgeschlagen, stattdessen beschlagnahmen US-Amerikaner die Plattform: "The Art of Networking", "Secret Sex Live of a Plus Size Woman" und der 24/7 geöffnete Raum "Daily Habits of High Performers". Ich bin zu müde, um zu performen. Ich beende die App und wechsle auf Netflix.

Die Suche nach Prominenten gestaltet sich aufgrund von Spaßvögeln zunehmend schwieriger.
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Tag zwei: 6.30 Uhr

Ich bin wach und frage mich: Was tut sich im Clubhouse? Wohl aufgrund der Uhrzeit werden mir weiterhin nur US-amerikanische Räume vorgeschlagen. "What Is It Like to Be Suspended From Clubhouse" oder "Freaks Come out at Night". Letzteres klingt speziell.

Ein nervöser Artist, der sich offenbar selbst als Freak bezeichnet, sucht Hilfe. Wie man Probleme ganz generell angehen könne? Die 800 Leute im Raum überschütten ihn mit Liebe und rufen auf, ihm auf Clubhouse zu folgen. Löst seine Probleme offenbar. Ich will den Raum verlassen, als eine Moderatorin eine neue Frage aus dem Publikum einfordert. Ein Marketer fragt, ob es irgendwo auf der Welt sinnvolle Weiterbildungen gibt, seine Erfahrungen seien enttäuschend. Eine Frau nimmt sich ein Herz und versichert, dass es schon gute Weiterbildungen gibt. Weitere Antworten sind ähnlich uninspiriert, wohl auch weil die Frage wenig präzise gestellt wurde.

Ein deutschsprachiger Raum eröffnet. Es geht um Morgenrituale. Offenbar gibt es auch in Deutschland jede Menge "High Performer". Ein junger Mann erklärt: "Ich schreibe mir jeden Tag in der Früh meine drei Rocks auf, die ich heute wegrocken will." Nix wie raus.

8.52 Uhr. Kein Raum spricht mich wirklich an. Aus der Not betrete ich "Women Cheat TOO They are Just Better at It #SecretsRevealed". Tyrese erzählt von seinen Großeltern, die seit 40 Jahren verheiratet sind, einander aber immer wieder betrogen hätten. Aber ohne Handys und Social Media sei man damit besser gefahren, meint er. Shanti meldet sich. Ihr Profilfoto zeigt in erster Linie Haut und einen Hauch von Unterwäsche. Sie musste für ihren Vater lügen, der seine Frau betrog. Mehrere solche Geschichten folgen. Leave quietly.

Prompt wird mir der Raum "Daddy Issues?" vorgeschlagen. Man sollte vorsichtig bei der Wahl seiner Räume sein, der Algorithmus gewinnt sonst ein falsches Bild.

Der Kalender klärt auf, welche Räume mich demnächst interessieren könnten, weil ich einem der Teilnehmer bereits folge.
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20.46 Uhr. Den ganzen Tag Arbeit und Familie. Keine Zeit für Clubhouse. Jetzt logge ich mich bei Florian ein, einem bekannten Serial-Founder aus Österreich. 400 Leute im Raum, viele davon Entrepreneure und Verkäufer. Was ist die Zukunft von Clubhouse, wird gefragt. In den USA, so wundern sich viele, werde die App viel persönlicher genutzt, es gehe nicht nur ums Business. Versteht hier keiner, in dieser Gruppe zählt nämlich allein: Business. Die einzige Frau im Raum, die kurz auf die Bühne geholt wird, wirft ein, dass die Clubhouse-Richtlinien keine kommerzielle Verwendung der App vorsehen. Alle lachen. Es wird einhellig versichert, dass man in der Startphase gern mal im Graubereich arbeite.

21.13 Uhr: "Ich esse am liebsten Brezelknödel", sagt Influencerin Sophia Thomalla im Gespräch mit Moderator Sascha Lobo. Auch Promis suchen, wie so viele andere, noch nach sinnvollen Einsatzgebieten der neuen App. Möglichkeiten gibt es viele: Interaktive Podcasts, Livediskussionen parallel zu Events und Talks, die nicht auf Likes setzen, sondern auf Kommunikation.

Fazit

Ich finde Clubhouse spannend, auch wenn in mein strukturiertes Leben On-Demand-Services wie Podcasts und Netflix besser passen. Die Angst, einen guten Talk zu verpassen, bleibt dennoch im Hinterkopf, wie mir auch der 23-jährige Tiroler und Gründer der Social-First-Agentur Moonbase Elias Vides kürzlich in einem Interview bestätigte. "Clubhouse bringt die Angst, etwas zu verpassen – Fomo ("fear of missing out") –, in einer eventfreien Zeit wieder zurück. Dadurch, dass unzählige Räume einfach aufpoppen und dort ungeplant Gäste wie Joko Winterscheidt oder Thomas Gottschalk teilnehmen, tummeln sich gerade unzählige User den ganzen Tag in der App."

Ein Vergleich mit Instagram und Co macht laut Vides keinen Sinn. "Man hat die Möglichkeit, hautnah mit bekannten Unternehmern, Politikern und Schauspielern zu sprechen und sich auszutauschen." Letztens hat er den deutschen Fußballer André Schürrle in einem Raum getroffen, der spontan über seine Investmentphilosophie gesprochen hat. Da nichts mitgeschnitten wird und alles live passiert, reden die Leute anders, meint Vides. Als ich den Digital Native frage, ob er Raumempfehlungen für mich hat, gibt er mir den Tipp, zum Beispiel den Lieblingspodcasthosts zu folgen. Je mehr interessanten Leuten man folgt, desto konkreter wird der eigene Kalender.

Ich halte mich an seine Empfehlung und folge ersten Prominenten und Freunden. Die Entwicklung dieses neuen Social-Media-Kanals zu beobachten lohnt sich mit Sicherheit, ist es doch aktuell eine Spielwiese, auf der viel ausprobiert wird. Vielleicht wird es ja wirklich das neue Facebook. Ich bleibe drin. (Alexander Amon, 23.1.2021)