Bald ein Jahr lang arbeiten Pflegerinnen und Pfleger in Heimen unter erhöhtem Infektionsrisiko. Viele warten daher ab.

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Die Irritation war groß. Ein Mitarbeiter habe "am Vormittag für die Corona-Impfung zugesagt und am Nachmittag wieder abgesagt", erinnert sich Mustafa Salkovic, Leiter des Heimes St. Leopold der Caritas in Klosterneuburg. Dazwischen habe sich der serbische Kollege ein Video angeschaut, in dem von Todesfällen nach der Injektion die Rede war: eine Fälschung.

Als die Ankündigung kam, dass in dem Pflegewohnhaus bald geimpft werde, sah sich Salokovic in seiner Belegschaft mit ausgeprägter Skepsis konfrontiert: Weniger als 30 der insgesamt 71 Kolleginnen und Kolleginnen wollten sich die beiden Injektionen geben lassen, die sie vor Covid-19-Infektionen schützen würden – ein Phänomen, das allgemein aus Pflegeberufen berichtet wird.

Impfen die einzige Chance

Und nicht nur das, auch Salkovic selbst lehnte die Impfung zu diesem Zeitpunkt aus dem Bauch heraus ab. Warum, erklärt er im Rückblick mit einer Furcht vor Langzeitfolgen, vor dem Hintergrund einer inzwischen fast ein Jahr währenden Arbeitsüberlastung wegen der Virusgefahr. Keine Minute Zeit habe er gefunden, um diese wichtige Sache in Ruhe durchzudenken.

"Ich musste mich dann innerlich wie Robinson Crusoe auf eine Insel zurückziehen, um logisch zu überlegen. Ich kam zu dem Schluss, dass das Impfen die einzige Chance gegen Corona ist, dass unser Haus durch die Pandemie vor dramatischen Herausforderungen steht – und dass ein in der EU zugelassener Impfstoff sicher ist", sagt der 48-Jährige.

Diese Schlussfolgerungen teilte er der Kollegenschaft mit, führte viele Gespräche, stellte valides Infomaterial zur Verfügung. Er hatte Erfolg: Am Tag der Impfung, dem 18. Jänner, ließen sich mehr als 50 Leute aus der Belegschaft und rund 90 der 102 Hausbewohnerinnen und -bewohner die Injektion verpassen.

Fake-News

Wie aber kommt es, dass gerade jene Menschen, die sich als Pflegerinnen und Pfleger um die Coronahochrisikogruppe hochbetagter, vorerkrankter Menschen kümmern, vor den Covid-19-Vakzinen derart stark zurückschrecken?

Verantwortlich dafür seien einerseits die widersprüchlichen und vielfach falschen Berichte über Virus und Impfungen, meint Salkovic. "Vor zwanzig Jahren hätte man sich im Fernsehen und in ein, zwei Zeitungen über ein solches Virus und die Impfung dagegen informiert. Heute gibt es eine unglaubliche Masse von Nachrichten, auch in den sozialen Medien." Das verwirre viele mehr, als es ihnen Informationen bringe. "Fake-News machen auch vor Pflegekräften nicht halt".

Hinzu komme, dass in der Pflege besonders viele Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten. So auch im Heim St. Leopold, wo Personen mit 16 verschiedenen Staatsangehörigkeiten tätig sind. "Das sind 16 verschiedene Zugänge zu den Themen Leben, Tod und Gesundheit", sagt Salkovic, der selbst vor 25 Jahren als Flüchtling aus Bosnien nach Österreich kam.

Der Frust in den Heimen

Pflegeheime stehen seit Beginn der Pandemie im Fokus der Aufmerksamkeit. Sie gelten als Brennpunkte der Virusausbreitung, als Zentren zahlreicher Cluster. Wie es den vor Ort arbeitenden Pflegerinnen und Pflegern wirklich geht, habe aber bisher nur wenige interessiert, sagt Elisabeth Potzmann, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes (ÖGKV).

"Wir sind im Grunde nur Befehlsempfänger. In den Sitzungen entscheiden die Politiker, die Ärzte- und Pharmavertreter. Man hat seit Beginn der Pandemie verabsäumt, auf uns zuzugehen und uns um unsere Expertise zu fragen. Die Regierung hat zwar ständig über uns geredet, aber nie mit uns. Man hat uns vergessen", klagt Potzmann im Gespräch mit dem STANDARD.

Dieser "Frust" wirke sich letztlich auch auf die Impfbereitschaft im Pflegebereich aus, wiewohl diese jetzt langsam, aber merkbar im Steigen sei. "Wenn man monate-, ja jahrelang übergangen wird, baut sich Widerstand auf. Man will nicht schon wieder etwas von oben diktiert bekommen", sagt die Pflegeverbandspräsidentin.

Zwar merke sie in Gesprächen, dass viele Kolleginnen und Kollegen grundsätzlich fürs Impfen seien, aber eben noch Fragen hätten. Viele würden sich ihre Informationen aus Internetforen holen. "Es fehlen fachlich geprüfte Informationen, die Kolleginnen und Kollegen kommen mit Fragen zu uns. Wir erkundigen uns dann im Ministerium, aber das dauert. Das alles ist viel zu behäbig und schwerfällig."

Restrisiko bleibt immer

Und schließlich: Viele Pflegerinnen und Pfleger fühlten sich durch die Schutzkleidung ohnehin geschützt, "viele denken, wir hatten viel Kontakt zu positiv Getesteten und uns ist nichts passiert. Da erspare ich mir lieber die Impfung, die womöglich Langzeitfolgen hat."

Gerne würde der Pflegeverband seine Erfahrungen und Expertisen an geeigneter Stelle einbringen, "aber wir sitzen an keinen Verhandlungstischen, da wir nur ein Verein sind – aber immerhin einer, der mittlerweile rund 150.000 Personen aus dem Pflegebereich vertritt", sagt Potzmann.

Dass sich das Virus in den Heimen besonders stark verbreitet habe, liege auch an der Natur der Einrichtungen. Viele Menschen gingen ständig ein und aus: enge Verwandte, Ehrenamtliche, Köche und ihre Hilfen, Reinigungspersonal, Ärzte, Rettungsmitarbeiter oder Therapeuten.

Zudem müssten Heimbewohner auch außer Haus behandelt werden, zur Dialyse fahren oder zum Facharzt, betont Potzmann. "Heime können nicht zu hundert Prozent abgeschottet werden, ein Restrisiko bleibt immer." (Irene Brickner, Walter Müller, 23.1.2021)