Etwas weniger als fünf Straßenkilometer entwickelten sich in Niederösterreich zum Politikum – dabei wurden sie noch nicht einmal gebaut. Derzeit ist auf dem Areal zwischen Wiener Neustadt und Lichtenwörth vor allem eines zu sehen: Ackerland. Bis auf leises Vogelgezwitscher herrscht Stille. Nur einzelne Jogger laufen mit ihren Hunden an den im Jänner noch brach liegenden Feldern entlang. Künftig soll hier die sogenannte Ostumfahrung den Straßenring um die zweitgrößte Stadt Niederösterreichs schließen. Rund 14.200 Fahrzeuge pro Tag werden voraussichtlich auf der Straße unterwegs sein.

Erste Überlegungen zu dem Projekt stammen aus den 1950er-Jahren. Seither beschäftigt der Plan gleichermaßen seine Gegner und Befürworter. Auf der einen Seite stehen mehrere Bürgerinitiativen, die den Bau verhindern wollen – aus Naturschutzgründen, weil sie das Projekt für gestrig halten oder weil sie in der Nähe wohnen. Auf der anderen Seite befindet sich der ÖVP-Bürgermeister Wiener Neustadts, Klaus Schneeberger, der von einer Entlastung der Innenstadt spricht. Auch darüber hinaus hat das Projekt all das, was ein kleiner Umweltkrimi benötigt: einen abgesetzten Gemeinderat, ein gefährdetes Nagetier und jede Menge Hickhack.

Die Ostumfahrung ist nur eines von vielen Infrastrukturprojekten in Österreich, die regelmäßig auf Widerstand stoßen. Wie sich die grüne Regierungsbeteiligung nach dem türkis-blauen Anschub für Straßen auswirken wird, ist bisher noch nicht absehbar.

Die roten Linien zeigen den Verlauf der geplanten Ostumfahrung. Klaus Schneeberger hofft auf einen Baustart im Jahr 2022, mehrere Bürgerinitiativen wollen das verhindern.
HO/Land Niederösterreich

"Es ist ein Relikt aus einer völlig versunkenen Zeit", sagt Helmut Buzzi und deutet mit der Hand dorthin, wo künftig die Straße verlaufen soll. Der hauptberufliche Coach steht mit Lederjacke und rotem Flanellhemd auf dem Acker. Seit rund einem Jahr ist Buzzi Teil der Initiative "Vernunft statt Ostumfahrung", die die Versiegelung der 20 Hektar Boden verhindern will. Knapp 40 Millionen Euro soll der Bau kosten.

Die Trasse sei "eine falsche Weichenstellung für Jahrzehnte". Das Projekt sei mit Klimaschutzzielen nicht kompatibel; die Straße soll zudem durch ein Naherholungsgebiet verlaufen. Nicht zu vergessen seien Lärm- und Luftverschmutzung, zählt der Sprecher der Initiative auf. Diese will ein "breites bürgerliches Lager" an Bord holen. Das sei nicht leicht, sagt Buzzi. Er spricht von einem "Klima aus Macht und Angst". Nichtsdestotrotz würden immer mehr Anrainer den Mund aufmachen. Knapp 3000 Menschen haben bisher die Onlinepetition gegen den Bau unterzeichnet.

Durch ein Schutzgebiet

Bei einer Führung entlang der geplanten Trasse trifft Buzzi auf Georg Panovsky, der sich seit Jahren gegen den Bau der Straße engagiert. "Es ist ein Steinzeitprojekt", sagt der grauhaarige Mann mit Brille. Die Trasse soll nur 123 Meter neben seinem Haus verlaufen. Noch dazu würde sie ein Natura-2000-Schutzgebiet durchqueren – und damit die Heimat des Ziesels, eines kleinen Nagetiers, das in Österreich auf der Roten Liste gefährdeter Tierarten steht. Die Nager sollen umgesiedelt werden und künftig neben der B17 wohnen. Eine "Farce", beschreibt Panovsky die Aktion.

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Die Heimat mehrerer Zieselfamilien ist durch den Bau bedroht, sagen Gegner des Straßenbaus.
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Der Anrainer wollte das Projekt mit seinen Mitstreitern vor dem Bundesverwaltungsgericht zu Fall bringen. Geklappt hat das nicht. Das Gericht bestätigte den positiven Bescheid der Umweltverträglichkeitsprüfung einen Tag vor Weihnachten. Alternativen, ob eine Entlastung durch andere Maßnahmen erreicht werden könnte, wurden nicht geprüft, kritisiert Panovsky.

In Wiener Neustadt positionieren sich nur die Grünen gegen das Projekt; ÖVP, FPÖ und SPÖ pochen auf die Umsetzung. Auf der anderen Seite der geplanten Trasse, in Lichtenwörth, hat die Umfahrung für politischen Wirbel gesorgt. Der bisherige SPÖ-Umweltgemeinderat, Daniel Hemmer, und zwei Mitstreiterinnen haben sich entgegen der Parteilinie gegen den Bau geäußert – und wurden am Dienstag ihrer Ämter enthoben und aus der SPÖ Lichtenwörth ausgeschlossen. Grund dafür sei die Kritik an dem Projekt gewesen, meint Hemmer. "Man spricht von einer Trendwende, und dann wird so was gebaut."

Zwei Drittel der Lichtenwörther Bevölkerung will der Niederösterreicher hinter sich wissen. Denn die Straße würde nichts an dem Durchzugsverkehr der Burgenländer Pendler ändern. "Es wäre genug Zeit gewesen, das Ganze abzulehnen."

Doch gerade die Entlastung wird in Wiener Neustadt als zentrales Argument für den Bau genannt. ÖVP-Bürgermeister Klaus Schneeberger spricht von einer "Verkehrshölle" in der Innenstadt. Eine Umfahrung sei notwendig, "falls etwas auf der Autobahn passiert". Auch das neue Klinikum im Norden der Stadt sei durch die Ostumfahrung besser erreichbar. Das Projekt entspreche allen ökologischen Anforderungen, sagt Schneeberger: "Ich glaube kaum, dass es eine Straße in Österreich gibt, die intensiver geprüft wurde."

Klaus Schneeberger, Bürgermeister von Wiener Neustadt, plant einen begrünten Boulevard in der Innenstadt.
Foto: APA/Fohringer

Aus Sicht des Bürgermeisters wurden Für und Wider gut abgewogen. "Natürlich ist es im Zeitgeist, die Straße nicht zu errichten", gibt der schwarze Politiker allerdings zu. Ob das Vorhaben mit Klimaschutzzielen vereinbar sei? "Es wird immer notwendig sein, Straßen zu errichten", so Schneebergers Antwort. Die Befürchtungen der Gegner, dass um die Trasse Gewerbeflächen entstehen sollen, schiebt der ÖVP-Politiker zur Seite: "Das ist überhaupt nicht angedacht."

Auch dafür, dass ausgerechnet jene Bürgerinitiative, die sich für den Bau der Umfahrung einsetzt, die gleiche Adresse wie die ÖVP Wiener Neustadt benützt, hat Schneeberger eine Erklärung: Man sei der Initiative entgegengekommen, damit die Bürger nicht ihre Privatadressen verwenden müssten.

Keine Gewerbeflächen

Für die Innenstadt plant Schneeberger Großes: Im Zentrum soll ein begrünter Boulevard entstehen. Die Grazer Straße soll verkehrsentlastet werden; zudem sei ein Lkw-Fahrverbot geplant, eine Verjüngung der Straßen und eine Geschwindigkeitsbegrenzung. Derzeit sei der Rückbau nicht möglich, da es sich um eine Bundesstraße handle. Das stimme nicht ganz, sagt Ulrich Leth von der TU Wien. Die Grazer Straße sei eine Landesstraße und – mit dem Okay von Länderseite – durchaus rückbaubar.

Leth, der die Petition gegen den Bau unterzeichnet hat, ortet in dem Projekt einige Probleme: "Zusätzliche Straßen ziehen Verkehr an." Würden weitere Kapazitäten geschaffen, um schneller an ein Ziel zu kommen, würden Menschen das Angebot auch nützen. Zudem würde die Ostumfahrung den Quell- und Zielverkehr nicht reduzieren. Der Experte versteht nicht, wieso die geplanten Begleitmaßnahmen nicht als Erstes umgesetzt wurden. "Dann wäre die Umfahrung vielleicht gar nicht mehr notwendig." Zudem führe die A2 direkt an der Stadt vorbei, für überregionalen Verkehr spiele die Umfahrung keine Rolle.

Über diesen Acker soll künftig eine Straße verlaufen. Das Projekt sorgt in der Region für Streitigkeiten.
Foto: Standard

Wird die Region durch das Projekt also tatsächlich entlastet? Nur bedingt. Ohne Begleitmaßnahmen in der Innenstadt sei das Verlagerungspotenzial durch die Umfahrung "eingeschränkt", heißt es in einem Gerichtsgutachten. Darin wurde das zu erwartende Verkehrsaufkommen auf zehn betroffenen Straßenabschnitten analysiert. Demnach würde es durch die Ostumfahrung bis 2030 auf fünf der betroffenen Straßen zu einer Entlastung kommen, auf den übrigen fünf allerdings zu einem höheren Kfz-Aufkommen als ohne Umfahrung.

Bürgermeister Schneeberger rechnet jedenfalls mit einem Baustart 2022, rund zwei Jahre würde es schließlich bis zur Fertigstellung dauern. Die Bürgerinitiativen wollen sich nun an den Verfassungsgerichtshof wenden. "Der Entlastungsschmäh geht nimmer", fasst Helmut Buzzi zusammen, bevor er die Tour entlang der Äcker beendet. Aufhören zu kämpfen will er nicht: "Ich sehe da ein Potenzial für ein zweites Hainburg." (Nora Laufer, 24.1.2021)