Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bezeichnete die "kolportierten Lieferungsverringerungen von Astra Zeneca" am Freitagabend als "völlig inakzeptabel".

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Das Impfchaos in Österreich geht in die nächste Runde. Wie am Freitag bekannt wurde, dürfte der Pharmakonzern Astra Zeneca, dessen Impfstoff gegen Covid-19 derzeit um eine Zulassung in der EU ringt, bereits jetzt vor Lieferschwierigkeiten stehen. Darüber wurden in einer gemeinsamen Videokonferenz mit dem bundesweiten Impfkoordinator auch die zuständigen Koordinatoren der Ländern am Freitagnachmittag informiert. Österreichs Impfplan könnte dadurch einen massiven Rückschlag erleiden.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) rechnete Freitagvormittag bei einer Pressekonferenz noch mit einer breiten Zulassung des Impfstoffs – auch für über 55-Jährige – am 29. Jänner. Von Problemen bei dem britisch-schwedischen Pharmaunternehmen war da noch keine Rede.

"Völlig inakzeptabel"

Die "kolportierten Verringerungen der geplanten Lieferungsmengen" für das erste Quartal durch Astra Zeneca sind für das österreichische Gesundheitsministerium "völlig inakzeptabel", hieß später in einer Aussendung: "Zugesagte Liefermengen müssen eingehalten werden."

ORF

In der ZiB2 des Orf erklärte der Minister, er werde werde nun in Verhandlungen versuchen, das die zugesagten Lieferungen nachgeholt werden. Er sei "nicht bereit", sich mit der angekündigten Lieferkürzung einfach abzufinden

Das Ausmaß des Lieferengpasses dürfte jedenfalls enorm sein. Erst war zu hören, es könnten nur 600.000 Dosen im ersten Quartal geliefert werden. Laut Informationen aus dem Impfkoordinatoren-Treffen dürften statt zwei Millionen Impfdosen offenbar im schlimmsten Fall sogar nur 509.000 Dosen im ersten Quartal nach Österreich gebracht werden – 97.000 davon seien in der ersten Tranche im Februar zu erwarten, 242.000 in der zweiten. Weitere 170.000 Dosen sollen im März kommen. Jeder Geimpfte benötigt zwei Stiche – das bedeutet, dass nur rund 254.500 Personen mit diesen Dosen gegen das Coronavirus geschützt werden können.

Astra Zeneca dürfte laut internationalen Medienberichten die EU-Länder gewarnt haben, dass man die Lieferpläne für den Coronavirus-Impfstoff nicht einhalten werde. Zwar gebe es laut dem Konzern keine Verzögerung für den Start der Auslieferung, aber die anfangs ausgelieferten Mengen würden im ersten Jahresviertel um 60 Prozent geringer ausfallen als ursprünglich geplant. Dies soll auch der Europäischen Kommission bei einem Treffen am Freitagnachmittag mitgeteilt worden sein. Aus der EU-Kommission heißt es laut einem Bericht der "Financial Times", man wolle "so schnell wie möglich und im Einklang mit den Vereinbarungen" die Impfstoffe erhalten.

Weniger Impfdosen zu Beginn

In einer schriftlichen Stellungnahme bestätigte Astra Zeneca Österreich am Freitagabend der APA, dass zu Beginn tatsächlich weniger Impfdosen ausgeliefert werden dürften. "Während es keine geplante Verzögerung für den Lieferbeginn unseres Impfstoffs gibt – sollten wir die Zulassung in Europa erhalten –, werden die anfänglichen Volumina aufgrund reduzierter Erträge der Impfsubstanz ... geringer ausfallen als ursprünglich erwartet", hieß es in dem Statement des britisch-schwedischen Pharmakonzerns. Und: "Wir werden im Februar und März mehrere zehn Millionen Dosen in die Europäische Union liefern, während wir die Produktionsmengen weiter hochfahren", betonte das Unternehmen.

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides reagierte auf Twitter auf den angekündigten Lieferengpass.

Später wurde bekannt, dass es offenbar Probleme beim belgischen Zulieferer Novasep, der im November einen Liefervertrag mit Astra Zeneca abgeschlossen hatte, gibt. EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides erklärte am Freitagabend via Twitter, dass die Kommission und die Mitgliedsstaaten höchst unzufrieden auf die Ankündigung der Lieferschwierigkeiten für das erste Quartal seitens Astra Zeneca reagiert hätten. Man verlange, vorbehaltlich der vorläufigen Marktzulassung, einen präzisen Lieferplan, auf Basis dessen die Mitgliedländer ihre Impfpläne erstellen können.

Biontech mit Problemen

Die aktuelle Entwicklung rund um die Lieferschwierigkeiten von Astra Zeneca zeige laut dem Gesundheitsministerium aber auch, "wie wichtig es war, dass Österreich in den vergangenen Wochen große zusätzliche Mengen an Impfstoff von Biontech/Pfizer im Rahmen des EU-Beschaffungsprogrammes eingekauft hat". Allerdings: Auch bei Biontech/Pfizer dürften die aktuellen Lieferprobleme bis Ende Jänner anhalten.

Rendi-Wagner: "Sofort reagieren, um Engpässe zu überbrücken"

Die SPÖ-Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner forderte am Freitagabend, dass angesichts des Lieferengpasses "sofort und unmittelbar" vom Gesundheitsministerium reagiert werden müsse. Es gelte vor allem, die vulnerabelsten Gruppen best- und schnellstmöglich zu schützen, um das Gesundheitssystem zu entlasten. Noch am Samstag seien erste Maßnahmen zu setzen, um die drohenden Ausfälle bestmöglich zu überbrücken. Rendi-Wagner nannte drei konkrete Schritte. Zuerst müsse man alles, was bisher an Impfstoff geliefert worden ist, "bestmöglich nutzen". Wenn man pro Ampulle statt bisher fünf bis sechs, ab sofort sechs bis sieben Imfpdosen ziehe, brächte das allein zusätzlich 10.000 Impfungen pro Woche, erklärte Rendi-Wagner.

Zudem sei anzudenken, das Impfintervall zwischen erster und zweiter Teilimpfung, das bisher mit drei Wochen festgelegt war, auf bis sechs Wochen auszudehnen. Und Rendi-Wagner pochte darauf, sich an andere Länder, wie etwa Israel, zu wenden, wo mehr Impfstoff als benötigt bestellt wurde, um von diesen überschüssige Margen zu übernehmen. Die Oppositionsführerin verzichtete auf Schuldzuweisungen angesichts der aktuellen Lieferschwierigkeiten, weil das "retrospektiv unfair" sei. Als die Entscheidungen bezüglich Impfstoffhersteller vergangenen Sommer gefallen sind, habe man noch nicht wissen können, wer am Ende am schnellsten liefern können wird.

Britische Mutation in Wien

Brisant ist diese Entwicklung, da sich die britische Virusvariante B.1.1.7 in Österreich ausbreitet. 539 Proben, die per PCR-Test positiv auf das Coronavirus getestet worden waren, hat die Stadt Wien auf die Mutation untersuchen lassen; in 66 Proben wurde sie nachgewiesen. "Der Anteil der mutierten Variante an den positiven Proben beträgt rund zwölf Prozent", sagte Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). Nun seien weitere Untersuchungen notwendig.

Laut Experten wird die Mutation B.1.1.7 die Situation spätestens im Februar oder März verschärfen. Simulationsexperte Niki Popper erklärte, dass Maßnahmen wie ein größerer Abstand und eine FFP2-Masken-Pflicht helfen würden.

Höheres Risiko

Der britische Premier Boris Johnson verkündete Freitagabend wiederum, dass diese Mutation nicht nur ansteckender, sondern möglicherweise auch tödlicher sei. Dafür gebe es "einige Hinweise", sagte Johnson bei einer Pressekonferenz. Ob und wie viel tödlicher die neue Variante ist, sei noch sehr unsicher, erklärte der wissenschaftliche Berater der Regierung, Patrick Vallance. Gehe man bei der bisherigen Variante davon aus, dass von 1000 Menschen im Alter von 60 Jahren zehn sterben, seien es bei der Variante etwa 13 oder 14 Todesfälle.

Allerdings gehen britische Experten nicht davon aus, dass die Wirkung der bisher verwendeten Impfstoffe durch die Mutation beeinträchtigt wird. Laut Regierung haben in Großbritannien bereits 5,4 Millionen Menschen eine erste Impfdosis erhalten. (ook, krud, pi, 22.1.2021)