Der "Migrationshintergrund" wird in der österreichischen Realität rasch zum Vordergrund der Diskussion, sagt Migrationsforscherin Judith Kohlenberger im Gastkommentar.

Diese Woche veröffentlichte die von der deutschen Bundesregierung eingesetzte Fachkommission Integrationsfähigkeit ihren Endbericht. Eine seiner zentralen Botschaften ist die Empfehlung, den Begriff "Migrationshintergrund" nicht mehr zu verwenden. Er sei diskriminierend und würde viele Menschen, die darunter statistisch zu erfassen sind, nicht mehr abbilden.

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Auch in Österreich stellt der "Migrationshintergrund" im politmedialen Diskurs, aber auch in der statistischen Erhebung eine zentrale Größe dar. Definiert wird er dennoch oft ungenau, die Grenzen zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund sind fließend. Laut dem Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) umfasst "Migrationshintergrund" alle Menschen, die selbst oder deren Eltern im Ausland geboren sind und/oder eine ausländische Staatsbürgerschaft besitzen. Mittlerweile trifft diese Definition auf ein knappes Viertel der österreichischen Wohnbevölkerung zu, in manchen Wiener Bezirken auf über 40 Prozent der Bewohner.

Schon aus der Größe der dadurch erfassten Gruppe erschließt sich, wie heterogen diese ist und welche unterschiedlichen Erfahrungen, Ressourcen und Lebensrealitäten sie umfasst. In der Statistik hat der Begriff insofern seine Berechtigung, als er erlaubt, strukturelle Entwicklungen in den Blick zu nehmen, die sich etwa aufgrund der geringen sozialen Mobilität in Österreich auch bei Kindern und Enkeln von Eingewanderten zeigen. Gleichzeitig, und das verdeutlich seine inflationäre Verwendung, führt der "Migrationshintergrund" häufig zu Verkürzungen, Verengung des analytischen Blicks und schlussendlich zu Stigmatisierung.

Welche Alternativen?

Auch deshalb wurden in den vergangenen Jahren immer wieder Alternativen ins Feld gebracht: Von "Migrationsbiografie" über "Migrationsgeschichte" bis hin zu "neue Österreicher" oder "Neuangekommene". Durchgesetzt hat sich kaum einer dieser Termini, auch deshalb, weil exakte Begrenzungen fehlen. Man muss nicht weit in die Geschichte zurückblicken, um auch bei vermeintlichen "Bio-Österreichern" (das ebenso unglückliche Gegenstück zum "Migrationshintergrund") Immigrationserfahrungen und/oder Wurzeln im Ausland zu entdecken.

Gleichzeitig verdeutlicht die öffentliche Debatte regelmäßig, wer denn eigentlich adressiert ist, wenn sich etwa Reisewarnungen explizit an Heimatrückkehrer richten oder Spitalsärzte erläutern, dass Wiener Covid-Stationen voll von Menschen mit Migrationshintergrund seien: Damit sind selten der kanadische UN-Diplomat oder seine Kinder gemeint, genauso wenig wie Nachkommen der größten Gruppe von Migranten in Österreich, die Deutschen. Die Beispiele zeigen die implizite Verknüpfung des "Migrationshintergrunds" mit Fragen der sozioökonomischen Klasse, der Ethnie und der Hautfarbe. Auch im Hinblick darauf erschließt sich das Urteil der Kommission, der Begriff sei überholt und würde Chancengleichheit behindern.

Zugehörigkeit verhandeln

Hinter Debatten über Begrifflichkeiten steht aber die viel wichtigere Frage der Zugehörigkeit. Wer ist Teil des nationalen Wir, und wer ist es nur mit dem Zusatz des "Hintergrunds", also mit Abstrichen, unter Bedingungen? Denn der "Migrationshintergrund" wird in der österreichischen Realität rasch zum Vordergrund der Diskussion. Soziale und ökonomische Problemlagen werden ethnisiert und religionisiert. So bezeichnet man Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund oft als "bildungsfern", das Schlagwort "Brennpunktschule" ist zu einer Chiffre für Bildungseinrichtungen mit einem hohen Anteil von Schülern mit nichtdeutscher Muttersprache geworden. Dass sie einen schlechteren Bildungserfolg als Kinder von Bio-Österreichern erzielen, wird vorrangig ihrer Herkunft zugeschrieben, sodass "Migrationshintergrund" mit Unbildung und in weiterer Folge mit Rückständigkeit gleichgesetzt wird.

In ähnlicher Weise dienen politische Phrasen wie jene des "eingewanderten Patriarchats" dem Zweck, Fragen der Gleichstellung und Gleichberechtigung außerhalb der eigenen Nation, der eigenen Ethnie und der eigenen Religion zu verorten. Damit wird die "österreichische" Kultur als fortschrittlich, aufgeklärt und überlegen, die "migrantische" als rückständig und unterlegen konstruiert.

Fremd machen

In der Kulturwissenschaft bezeichnet man das als "Othering", also als "anders oder fremd(er) Machen" von Menschen, die eben nicht so sind wie "Wir". Die Schaffung der Kategorie "Migrationshintergrund" für all diese "Anderen" dient somit auch der Abgrenzung des Selbst als vordergründig, autochthon und zugehörig. Doch nicht nur ideell und emotional, auch rechtlich gestaltet sich die Zugehörigkeit hierzulande schwierig: Österreich hat eines der restriktivsten Einbürgerungsgesetze weltweit und verlangt neben Deutsch- und Landeskenntnissen auch empfindlich hohe Einkommensnachweise, um die Staatsbürgerschaft zu erlangen.

Somit lässt sich nicht nur die Diskussion über Begrifflichkeiten, sondern noch eine weitere Empfehlung der deutschen Fachkommission auf Österreich übertragen: Es brauche ein neues Verständnis nationaler Identität, und dazu gehöre, mehr Menschen den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu ermöglichen. (Judith Kohlenberger, 23.1.2021)