Seit dem Brexit spießt es sich im Warenaustausch mit der EU. Die Auswirkungen kommen nun auch bei den Konsumenten an.

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Drei Wochen nach dem Ausscheiden aus dem EU-Binnenmarkt macht sich der Brexit zunehmend bemerkbar. Trotz des in letzter Minute abgeschlossenen Abkommens zwischen der EU und ihrem ausgetretenen Ex-Mitglied beklagen Handelsunternehmen auf beiden Seiten eine Vielzahl neuer Hindernisse und Gebühren. Warenpakete stecken wochenlang beim Zoll fest, Trucker müssen Leerfahrten absolvieren. Der schottischen Fischindustrie verdirbt die frische Ware im Labyrinth neuer Vorschriften, prominente Musiker laufen Sturm gegen neue Visabedingungen.

Die Skepsis von Wirtschaftsverbänden nach der Bekanntgabe der Vereinbarung vom Heiligen Abend stellt sich als weitsichtig heraus. Viele Pressemitteilungen enthielten einen "Seufzer der Erleichterung", dem der langjährige Geschäftsführer der deutsch-britischen Handelskammer, Ulrich Hoppe, hinzufügte: "Es bleibt aber ein Seufzer, denn der Handel über den Kanal wird so oder so schwieriger und teurer."

Kein Zweifel – was bei den weitgehend ahnungslosen Konsumenten ankommt, ist teurer und dauert länger als im alten Jahr. Bei der BBC beklagte sich die 26-jährige Londonerin Ellie Huddleston über zusätzliche Gebühren für zwei Pakete aus der EU. So belief sich die Endabrechnung für einen neuen Mantel auf umgerechnet 315 Euro statt der erwarteten 225 Euro, eine Steigerung um 41 Prozent. Beim zweiten Paket hätte der Preisaufschlag rund ein Drittel betragen. Huddleston ließ beide zurückschicken: "Ich kaufe so schnell nichts mehr aus Europa." Andere Kunden bezahlen und warten lang auf die Freigabe durch den Zoll.

Zölle und Steuern

Weil Kurierfirmen die zusätzlichen Zölle und Mehrwertsteuern für Güter im Wert von mehr als 39 Pfund (44,08 Euro) im Namen der Regierung eintreiben müssen, wird alles teurer. So erhebt das Frachtunternehmen TNT neuerdings eine Gebühr von 4,31 Pfund auf alle Sendungen von der EU ins Vereinigte Königreich und umgekehrt. Damit will man die Millionenkosten eintreiben, die durch den Brexit entstanden sind. Royal Mail verlangt acht Pfund, bei DHL beträgt die Mindestgebühr sogar elf Pfund.

Was dies für den lukrativen Online-Handel zwischen Insel und Kontinent bedeutet? Schon verweigern einzelne Unternehmen wie der holländische Fahrradspezialist Dutch Bike Bits oder der belgische Bierlieferant Beer on Web die Belieferung britischer Kunden.

Auch manche Spediteure haben die Nase voll. DB Schenker setzte die Lieferung von Waren nach Großbritannien aus, weil viel zu wenige Kunden auf dem Kontinent vollständige und korrekt ausgefüllte Formulare vorweisen können. Auf der Insel ist die Unwissenheit womöglich noch höher, manche Unternehmen schätzen den Anteil der korrekt vorbereiteten Kunden auf zehn Prozent. Immer mehr Trucker fahren ihre Fahrzeuge lieber leer zurück aufs Festland, als sich mit dem britischen Zoll herumzuschlagen. "Lieber leer als drei Tage Stillstand", sagt einer.

Der schottischen Fischindustrie machen die neuen Vorschriften im Handel mit der EU, die Ware verdirbt.
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Dabei gilt eigentlich noch eine Schonfrist für die Handeltreibenden. Zudem hatten viele Unternehmen im alten Jahr ihre Lagerbestände aufgefüllt, Automobilfirmen wie Nissan fuhren die Produktion herunter oder machten ganz Pause. Wenn die Lieferketten demnächst wieder normal funktionieren sollen, dürfte es in den Kanalhäfen zu Engpässen kommen. Dabei machen die strengen Corona-Vorschriften das Leben der Lastwagenfahrer ohnehin schwierig.

Neben vielem anderen hat die Pandemie die Tourneen von Orchestern und Bands zum Erliegen gebracht. Im Vorgriff auf bessere Zeiten haben Musiker die viel schwierigeren Bedingungen für zukünftige Besuche auf dem Kontinent angeprangert. Man sei von der Regierung "auf beschämende Weise im Stich gelassen" worden, schrieben Prominente wie Simon Rattle, Elton John, Sting und die Sex Pistols in der Times. Um live aufspielen zu können, seien zukünftig "teure Arbeitserlaubnisbewilligungen und ein Berg von Formularen für die Ausrüstung" notwendig. Tatsächlich dürfen beispielsweise britische Roadies die wertvollen Container mit Instrumenten und Verstärkern zukünftig nur noch in drei EU-Städte lenken; dann muss eine im Binnenmarkt registrierte Zugmaschine übernehmen.

Schuldzuweisungen

London und Brüssel machen sich gegenseitig für die Probleme der Milliarden-Branche verantwortlich. Das sei tatsächlich "ein schwieriges Problem", windet sich eine britische Regierungssprecherin, man peile neue Gespräche mit der EU an.

Der Handelsexperte Jason Langrish war an der Ausarbeitung von Ceta, dem Freihandelsvertrag zwischen Kanada und der EU, beteiligt. Auf einer Veranstaltung sagte er einen negativen Effekt des neuen britischen Status voraus: "Das geht langsam und dauert." Nach und nach werde beispielsweise die Wettbewerbsfähigkeit der City of London unterminiert, bisher das wichtigste Finanzzentrum der Welt.

In Brüssel wird gemunkelt, man könne den für beide Seiten lukrativen Handel erleichtern, notwendig seien dafür aber britische Garantien, was die Einhaltung von Normen im Arbeits- und Umweltrecht angeht. Genau bei jenen fairen Konkurrenzbedingungen für Unternehmen werde London dem Kontinent entgegenkommen, glaubt Handelsexperte Langrish: "Und dann gehört das Königreich wieder zum Dunstkreis der EU." (Sebastian Borger aus London, 23.1.2021)