Der Zielsprung auf der Streif sollte am Sonntag in der zweiten Abfahrt nicht mehr jene Herausforderung sein wie am Freitag.

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Kitzbühel – Die Streif. Seit jeher berühmt-berüchtigt. Am Freitag hat die mit Sicherheit schwierigste und gefährlichste Abfahrtsstrecke im Skiweltcup wieder einmal gezeigt, dass der 3.312 Meter lange Kurs eine besondere Herausforderung darstellt, auch wenn die Piste diesmal vergleichsweise einfach zu bewältigen schien.

Weder Eislaufplatz noch Märchenwiese

Rennläufer wie Max Franz berichteten nach dem Abschlusstraining, dass man bei weitem nicht so durchgeschüttelt werde, wie in vergangenen Jahren, als man nicht selten vom steilsten Eislaufplatz der Welt sprach und die "Schläge bis in den Kopf zu spüren" gewesen seien. Als "angenehm zu fahren" wurde die Strecke diesmal von den Rennfahrern beschrieben, große Aufregung wegen des mächtigen Zielsprungs war zunächst ausgeblieben.

Mögen bei den Trainings so manchem Beobachter sogar Gedanken an eine Märchenwiese durch den Kopf gegangen sein, so zeigte sich am Freitag in der Ersatzabfahrt für Wengen, welche Auswirkungen nur kleinste Fehler haben können, gerade wenn die Piste nach etlichen Trainingsfahrten ruppiger und die Geschwindigkeit im Rennmodus nochmal höher werden. Der Hausberg mit der Traverse oder auch der Zielsprung bieten keinen Spielraum, wenn es nicht nach Plan läuft. Diese Passagen sind neben der Mausefalle und dem Steilhang die Kriterien der Streif.

Glück im Unglück

Das musste am Freitag auch Ryan Cochran-Siegle erfahren, als er einen fürchterlichen Sturz mit relativ glücklichem Ausgang (leichter Halswirbelbruch) am Hausberg fabrizierte. Ist dem US-Amerikaner vielleicht vorzuwerfen, dass er den Crash durch einen Fahrfehler beziehungsweise zu aggressives Fahrverhalten an dieser heiklen Stelle selbst zu verantworten hat, so schien Urs Kryenbühl bei seinem Abflug beim Zielsprung machtlos.

Der Schweizer verlor bei dem Mördersatz – der an einen Skisprungbewerb von der Normalschanze erinnerte – mit rund 145 km/h die Balance und war dann nur mehr Passagier. Der 26-Jährige hatte sich dabei schwer verletzt, ist mit Gehirnerschütterung, Bruch des rechten Schlüsselbeines sowie Riss des Kreuz- und Innenbandes im rechten Knie aber noch relativ gut davongekommen. Es hätte noch wesentlich schlimmer kommen können. Der Schweizer Daniel Albrecht lag nach einem sehr ähnlichen Sturz 2009 drei Wochen mit Schädel-Hirn-Trauma im Koma, erholte sich hernach nur sehr schleppend.

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Schwer verletzt und dennoch vergleichsweise glimpflich davongekommen: Urs Kryenbühl.
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In der wegen Schlechtwetters auf Sonntag verschobenen klassischen Hahnenkammabfahrt (10.20 Uhr/live ORF 1) ist nicht mehr mit so weiten Sprüngen vor dem Ziel zu rechnen. Nach dem Rennen am Freitag wurde die Fräse ausgepackt, nachdem die leichten Entschärfungsversuche in den Trainings nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben. Mit schwerem Gerät wurde nun nicht nur an der Oberfläche herumgekratzt. Es wurde versucht, den Bereich vor dem Absprung aufzufüllen, damit die Flugkurve flacher wird. Ob es den gewünschten Erfolg bringt, wird sich zeigen. Nach dem heftigen Sturz des Franzosen Johan Clarey und einigen sehr weiten Sprüngen im Training war eigentlich bereits absehbar, dass es im Rennen auch weit, noch weiter, nämlich bis zu 70 Meter weit gehen wird.

Erneute Bolzerei am Limit

ÖSV-Herren-Rennsportleiter Andreas Puelacher rechnet damit, dass es auch am Sonntag wieder rasant zur Sache gehen wird, im Zielschuss wieder an die 150 km/h erreicht werden. Die Athleten und das Material seien so gut geworden. "Die Abfahrten werden uns fast zu schmal, wir können da die Geschwindigkeit nicht mehr reduzieren", erklärte Puelacher. Und er geht nicht davon aus, dass durch die schweren Unfälle die Risikobereitschaft abnimmt. Rennläufer seien konzentriert und dafür ausgebildet, sagte Puelacher. "Sie fahren da auf dem letzten Zacken hin, da zieht keiner zurück, auch morgen nicht."

"So blöd es klingt, beide Unfälle waren individuelle Fehler. Und wenn man Fehler macht in unserem Sport, schaut es nicht gut aus. Kilde macht einen leichten Innenskifehler in Hinterreit, das hatte auch fatale Folgen. Skisport ist nicht gerade ein Gesundheitssport", sagte Puelacher. Für den Norweger Aleksander Aamodt Kilde, Titelverteidiger im Gesamtweltcup, war die Saison am 16. Jänner mit Kreuzbandriss vorzeitig beendet.

Crème de la Crème

Keine Probleme mit dem Zielsprung hatten Routiniers und Ausnahmekönner wie Beat Feuz, Matthias Mayer und Dominik Paris, die am Ende am Podest landeten und bereits in den vergangenen Jahren mit Topplatzierungen und Siegen ihr großes Können auf der Streif unter Beweis gestellt hatten. "Die Leistungen der drei waren herausragend. Sie haben so ein hohes Niveau gezeigt, das war unglaublich. Da haben nur Kleinigkeiten entschieden, beim Matthias war es die Steilhang-Ausfahrt. Wie die drei in die Querfahrt gefahren sind und sich da runtergetraut haben, das war unglaublich in meinen Augen", so Puelacher.

Holte sich Feuz am Freitag einen Siegerscheck in Höhe von 52.000 Euro ab, so wird der Gewinner der klassischen Hahnenkammabfahrt am Sonntag mit 81.000 Euro entlohnt. Vorjahressieger Mayer gesteht, dass auch er sich freut, wenn er im Ziel abschwingen kann. "Aber man sieht halt trotzdem lieber den Einser", sagte Mayer.

Kriechmayr ratlos

Für den mit 1,62 Sekunden Rückstand unter den Erwartungen gebliebenen Vincent Kriechmayr war Platz neun enttäuschend. Warum es ohne ersichtlichen Fehler nicht besser lief, war auch am Tag danach nicht klar. Auch Puelacher hatte keine Erklärung parat: "Wir wissen nicht ganz genau, was da passiert ist, ab und zu hat er die Linie nicht sauber halten können. Für mich ist das fast ein bisserl unerklärlich." Aber Kriechmayr sei ein genialer Skifahrer, der jederzeit gewinnen könne.

Am Sonntag bietet sich nun die Gelegenheit zurückzuschlagen. Für Feuz bietet sich die Chance auf das sechste Double der Streif-Geschichte. Zwei Abfahrten an einem Wochenende in Kitzbühel hat es in der Geschichte bereits zwölf Mal gegeben. Fünf Läufer schafften es, beide Rennen für sich zu entscheiden. Karl Schranz 1972, der Schweizer Pirmin Zurbriggen 1985, Peter Wirnsberger 1986, der Schweizer Franz Heinzer 1992 und der Franzose Luc Alphand 1995. (honz, APA, 23.1.2021)