Georg Kaser, hier vor dem Mt. Kenya, denkt auch über die Berge in Europa nach.

Foto: Lindsey Nicholson

Georg Kaser kennt Schnee und Eis bestens. Der international renommierte Gletscher- und Klimaforscher wirkt seit Jahrzehnten an der Uni Innsbruck, als Südtiroler kennt er auch die Realitäten des Skitourismus – und sagt, dass sich diese stark ändern werden.

STANDARD: Ist der Skisport noch zu retten?

Kaser: Man muss das in zwei Teile trennen. Der erste ist der naturwissenschaftliche Teil: Ich brauche Ski, einen Hang und Schnee. Da wissen wir, dass die Schneedeckendauer in den letzten Jahrzehnten im Mittel abgenommen hat. Vor allem in den niedrigeren Lagen ist zu Beginn und gegen Ende der Saison immer weniger Schnee da. Wir haben aber eine sehr hohe Variabilität der Winterniederschläge, es gibt immer wieder Winter, wo der Schnee zur rechten Zeit kommt und liegen bleibt. Und diese Schwankungen und Veränderungen versucht die Skitourismuswirtschaft mit technischem Schnee zu kompensieren.

STANDARD: Und der zweite Teil?

Kaser: Die Frage ist, wie die Zukunft des Skitourismus wirtschaftlich ausschaut – und das bringt ganz andere Variablen ins Spiel. In vielen Bereichen ist der Wasserkonflikt schon sichtbar: Wenn ich so viel technischen Schnee mache, muss ich die Wasserverfügbarkeit in anderen Bereichen reduzieren. Aber das ist nicht neu und weitestgehend gehandhabt. Doch dann kommt der Aspekt der ökonomischen und ökologischen Grenzen. Pauschal gesagt: Wenn ich davon ausgehe, dass ich als globale Gesellschaft sehr, sehr schnell CO2-neutral werden und die Ressourcen in eine Kreislaufwirtschaft bringen muss, dann bedingt das vor allem in der Ersten Welt, dass ich sehr schnell einen gesellschaftlichen Wandel einleiten und durchziehen muss. Sonst werden der Klimawandel und seine Folgen unkontrollierbar werden. Ich frage mich, wie Skigebiete diese Zukunft bewerkstelligen wollen.

STANDARD: Warum?

Kaser: Es wird in dieser gesellschaftlichen Umstellung sicher nicht mehr so viel Leute mit so viel Geld geben. Die Skigebiete werden zu teuer sein. Und mittelfristig: Wenn ich diese Klima- und Umweltziele in den nächsten fünf bis 20 Jahren mit sozialer Gerechtigkeit schaffen will, frage ich mich, wie Skitourismus in dieser hochenergetischen Art funktionieren soll. Ich glaube, dass das einfach keinen Platz mehr hat – was nicht heißt, dass man es nicht anders machen kann. Da würde ich Chancen für Skigebiete sehen.

STANDARD: Was müssen sie tun?

Kaser: Den Energieaufwand zurückfahren. Nur erneuerbare Energie geht nicht, so viel werden wir nicht produzieren, ohne andere Schäden im Ökosystem zu verursachen. Ein großes Problem beim Skitourismus ist der gigantische Individualverkehr. Da müssten sich Skigebiete etwas einfallen lassen. Es geht nicht, dass Leute hunderte und tausende Kilometer mit einem Privatauto fahren, um zwei Tage oder eine Woche Ski fahren zu können.

STANDARD: Was sind die größten Klimawandeltreiber beim Skifahren?

Kaser: Zum einen der Individualverkehr, das Zweite ist die Art der Lebensmittelversorgung, die in Verkehr und Herstellung über sehr viel CO2-Emissionen läuft. Und der Betrieb der Infrastruktur und Seilbahnanlagen, wobei die Skigebiete zum Teil schon Strom erzeugen können und umstellen. Es ist nicht so, dass sie sich gar keine Gedanken machen. Das Verkehrsaufkommen müssen sie sehr schnell auf null bringen. Und das geht nicht mit Elektroautos, die kosten in der Herstellung so viel CO2-Emissionen wie 100.000 bis 120.000 Kilometer mit dem alten Auto. Ich will ja nicht die Mobilität auf null setzen, aber man muss sie neu denken. Der Individualverkehr muss einfach aufhören, der öffentliche Verkehr muss elektrisch werden.

STANDARD: Der Punkt Lebensmittelversorgung irritiert mich. Im Wissen, dass ein Schweinsschnitzel klimatisch Wahnsinn ist – macht es einen Unterschied, ob ich es auf der Skihütte oder zu Hause esse?

Kaser: An und für sich nicht, aber ich glaube, am Esstisch zu Hause werde ich eher schauen können, wie das produziert worden ist, und vielleicht nicht dreimal am Tag so etwas essen. In einem Skiurlaub ist die Konsumbereitschaft sicher größer, und ich kann mir nicht vorstellen, dass bei diesen Mengen einigermaßen ökologische Gesichtspunkte verfolgt werden – wobei es schon sein kann, dass es der eine oder andere Betrieb macht.

STANDARD: Selbst im besten Fall werden Skigebiete verschwinden, oder?

Kaser: Das will ich nicht sagen. Ob wir den Klimawandel durch unser Tun in den Griff bekommen oder nicht – es wird sowieso eine ganz massive gesellschaftliche Transformation stattfinden, by design oder by disaster. Wenn ich das einsehe und versuche, es by design zu machen, dann kann jeder Wirtschaftstreibende versuchen, mitzuhelfen und seinen Bereich anzupassen. Man kann Skigebiete durchaus anders strukturieren. Man braucht nur 30, 40 Jahre zurückdenken, da waren die Skigebiete nicht so ökologisch fragwürdig. Man muss auch die Hotellerie auf ein erträgliches Maß zurückbringen. Ein Tourist muss seinen Skiurlaub am Bahnhof in Frankfurt beginnen, die Ausrüstung muss vor Ort sein. Und dann hat der 14 Tage zu bleiben und nicht zwei Tage später mit einem riesigen Privatauto zu zweit zurückzufahren!

STANDARD: Skitouristiker müssten ja eigentlich schon aus Egoismus die leidenschaftlichsten Klimaschützer sein.

Kaser: Es gibt auch kleine Ansätze, aber im Wesentlichen verteidigen sie ihre – ohne Zweifel großen – Errungenschaften. Die haben ja Tolles geleistet. Ich möchte nicht wissen, wie die Alpen ausschauen würden, wenn es den Tourismus nicht gegeben hätte. Aber es ist überzogen worden. Jetzt sind die Rahmenbedingungen andere. Wenn sie diese Kreativität, mit der sie alles aufgebaut haben, jetzt noch einmal auspacken würden – das wäre doch eine reizvolle Herausforderung!

STANDARD: Die österreichischste aller Fragen: Was müssen wir im Alltag tun, um den Klimawandel in einem erträglichen Maß einzufangen und den Skisport zu retten?

Kaser: Das hängt vom Einzelnen ab. Wenn ich drei Mal am Tag Fleisch esse, ist höchste Zeit, damit aufzuhören. Wenn ich nur einmal in der Woche Fleisch esse, dann esse ich das Schnitzel am Wochenende halt weiter, wenn es so gut ist. Wenn ich jeden Tag im Auto sitze, obwohl es andere Möglichkeiten gäbe, muss ich das morgen Früh lassen. Man muss radikal ändern, sowohl persönlich, als auch auf regionaler, kommunaler, staatlicher und betrieblicher Ebene. Da muss ganz viel und sehr schnell etwas passieren.

STANDARD: Wann waren Sie zum letzten Mal Ski fahren?

Kaser: Das war Ende Februar 2020 im Skigebiet vor meiner Haustür. Dann musste ich verreisen, und nach meiner Rückkehr war alles zu. Vor drei Wochen war ich zur Wartung von Messgeräten mit Skiern unterwegs. (Martin Schauhuber, 25.1.2021)