Mit Schmäh und Hut: Arik Brauer im Dezember 2018.

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Wien – Noch Anfang November vergangenen Jahres wurde Arik Brauer zu dem terroristischen Anschlag in der Wiener Innenstadt befragt. Die dadurch verursachte Panik und Angst der Menschen erinnerte den 1929 als Erich Brauer in eine russisch-jüdische Handwerkerfamilie Geborenen an das Bombardement der Alliierten, bei dem die Synagoge im zweiten Bezirk getroffen worden war. Er sehe auch 2020 die "Werte der freien Gesellschaft" in Gefahr, sagte er in einem Interview mit der "Zeit" – für diese habe er mit seiner Kunst sein ganzes Leben lang gekämpft.

Und diese Werte hatte der Universalkünstler in allen möglichen Metiers verwirklicht: Malerei, Architektur, Musik, Tanz, Bildhauerei und Poesie. Der Vertreter des Phantastischen Realismus und Dialektsänger galt als einer der großen österreichischen Künstler der Nachkriegszeit und als Wiener Original. Am Sonntagabend ist Brauer mit 92 Jahren im Kreis seiner Familie gestorben. Als echtes "Weana Kind", wie es in seinem erst kürzlich erschienenen Buch "Wienerisch für Fortgeschrittene" heißt, wuchs Brauer in Ottakring auf. Seine unbeschwerte Kindheit endete abrupt durch den Nationalsozialismus, sein Vater kam in einem Konzentrationslager ums Leben, Brauer selbst überlebte in einem Versteck.

Direkt nach Ende des Weltkriegs begann Brauer als 16-Jähriger an der Akademie der bildenden Künste in Wien unter anderem bei Albert Paris Gütersloh zu studieren. Er schloss sich der Künstlervereinigung Art-Club an, die sich im Bereich der Malerei vor allem der Abstraktion zuwandte.

Mystisch-surreale Wimmelgemälde

Mit seinen Studienkollegen Ernst Fuchs, Rudolf Hausner, Anton Lehmden und Wolfgang Hutter gründete er die Wiener Schule des Phantastischen Realismus, die zu einer der bedeutendsten Stilformen der österreichischen Kunst des 20. Jahrhunderts werden sollte – und eine österreichische Antwort auf den Surrealismus gab.

In Brauers Kunstwerken fanden sich fantastisch anmutende Figuren, die sich in mystischen Traumwelten bewegten. In ihrer detailreichen Ausschmückung erinnerten sie an mittelalterliche und orientalische Miniaturmalerei sowie an alttestamentarische Szenen. Ähnlich den dichten Wimmelgemälden eines Hieronymus Bosch bewegten sich auch bei Brauer farbexplosive Fabelwesen in weiten Landstrichen. Neben der Natur waren es auch Themen wie Tod und Schmerz, die Brauers Bilderwelten dominierten und von den Gräueln des Krieges erzählten.

Nachdem Brauer auch Gesang an der Musikschule der Stadt Wien erlernt hatte, reiste er mit dem Fahrrad durch Afrika und Europa, lebte als Sänger und Tänzer in Israel. Von 1957 bis 1963 wohnte er mit seiner israelischen Frau Naomi in Paris. Dort trat Brauer mit ihr als Gesangsduo auf, wurde Vater dreier Töchter und zeigte seine erste erfolgreiche Einzelausstellung als Maler. Weil Naomi seinen Namen Erich nicht gut aussprechen konnte, nannte sich Brauer fortan Arik. Als er wieder zurück in seine Heimat zog, hatte die Wiener Schule des Phantastischen Realismus bereits weltweite Popularität erreicht.

Brauers "Sein Köpferl in Sand" als "beinhartes Protestlied".
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Kein Austropopper

Ab Mitte der 1960er-Jahre nahm Brauers Gesangskarriere an Fahrt auf: Seine Dialektlieder titelten "Sie ham a Haus baut" oder "Sein Köpferl im Sand" und galten als Pionierleistungen des Austropop. Dennoch sträubte sich Brauer, als "Austropopper" bezeichnet zu werden, seine Liedtexte solle man als kritische Werke verstehen. "Diese Liedtexte sind teilweise zu unserem großen Leidwesen aktuell geblieben. Einige davon wurden richtige Volkslieder, die man beim Heurigen oder auf einer Schutzhütte singen hört. Darauf bin ich stolz", hatte Brauer einmal gesagt. Insgesamt veröffentlichte er neun Musikalben.

Brauer, der zwölf Jahre als Professor an der Akademie der bildenden Künste lehrte, beantwortete die Frage, wie er denn zur Kunst gekommen war, mit: "Ich war immer schon ein Maler." Dennoch widmete er sich im Laufe seines Lebens neben Malerei und Musik nicht nur der Kostüm- und Bühnenbildgestaltung für die Oper, sondern auch der Architektur.

Ganz im Stil der Phantastischen Realisten – ähnlich auch jenem seines Zeitgenossen Friedensreich Hundertwasser – wurde Anfang der 1990er-Jahre das "Arik-Brauer-Haus" in der Gumpendorfer Straße im sechsten Bezirk errichtet.

Ehrung eines Wiener Chronisten

Jahrelang lebte Brauer mit seiner Frau in einer Jugendstilvilla, die er selbst unermüdlich weitergestaltete. "1971 habe ich gesungen: ,Sie ham a Haus baut.‘ Und plötzlich war ich selbst Häuslbauer", witzelte er 2013 in einem Wohngespräch mit dem STANDARD.

Brauer wurde mit zahlreichen Preisen und Auszeichnungen geehrt, darunter der Preis der Stadt Wien für Malerei sowie die Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold. 2015 erhielt er den Amadeus Award für sein Lebenswerk. In den letzten Jahren zeigten das Leopold- Museum sowie das Jüdische Museum Wien umfassende Werkschauen. Anlässlich seines 90. Geburtstags widmete seine Tochter Ruth Brauer 2019 ihrem Vater eine Hommage mit Wiener Schmäh im Wiener Rabenhof und feierte ihn als Künstler und Wiener Chronisten.

Seiner poetischen Feinfühligkeit und seinem Witz stand die kritische Analyse gesellschaftspolitischer Themen gegenüber. Neben Arik Brauers künstlerischer Karriere setzte er sich zeitlebens für den Umweltschutz ein, äußerte sich stets politisch und schreckte dabei nie vor öffentlicher Kritik zurück. So wie 2019 bei einem flammenden Plädoyer für Demokratie und Menschlichkeit: Es brauche eine "Weltdemokratie", appellierte er da – erst dann könnten die Menschen zufrieden beisammenleben. (Katharina Rustler, 25.1.2021)