Bildungsminister Heinz Faßmann und Bundesschulsprecherin Alexandra Bosek.

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Wien – Als wäre das mittlerweile zweite Schuljahr, das durch das Coronavirus einigermaßen ramponiert wird, nicht schon genug Zumutung, nun also auch die ersten Rufe nach kollektivem Sitzenbleiben wegen pandemiebedingter Lerndefizite.

Die Schülerinnen und Schüler halten davon, wenig überraschend, nichts. "Wir sind ganz und gar nicht der zweite verlorene Corona-Jahrgang", betonte Bundesschulsprecherin Alexandra Bosek (Schülerunion) am Montag bei der Präsentation des Corona-Förderpakets für Schülerinnen und Schüler durch Bildungsminister Heinz Faßmann. Sie verwies auf die "Selbstdisziplin und Verantwortung", die die Schülerinnen und Schüler in diesem Jahr gezeigt hätten. Die oberste Schülervertreterin, die daran erinnerte, was die Schülerinnen und Schüler "in diesem schwierigen Schuljahr durchmachen", verwahrte sich denn auch gegen Punzierungen ganzer Schülerkohorten – und mögen sie noch so gut gemeint sein: "Niemand wird verloren gehen."

So schnell wie möglich wieder Präsenzunterricht

Ein Großteil der Schülerinnen und Schüler könne ohnehin "problemlos mit dem Online-Unterricht umgehen", aber die anderen seien "überfordert und die Lernlücken seit dem ersten Lockdown haben sich seit dem Herbst ausgeweitet", sagte Bosek, die den "Präsenzunterricht so schnell wie möglich wieder aufnehmen" möchte und für "pragmatische Lösungsansätze" plädiert. Zusätzlicher Förderunterricht sei da "ein Schritt in die richtige Richtung", gerade auch für Maturantinnen und Maturanten.

Auch die anwesende Direktorin des Gymnasiums Purkersdorf, Irene Ille, hielt ein nachgerade flammendes Plädoyer für die junge Generation, die sich jetzt durch die Schulen kämpft, unter schwierigsten Bedingungen. Sie sollen in diesem Jahr nichts gelernt haben? "Verlierergeneration? Na sicher nicht! Verlorenes Jahr? Sicher nicht", betonte Ille, die sich auf den "Optimismus des Vertrauens" beruft: "Gerade vor Ort merkt man, viele haben gelernt, besser mit der Situation umzugehen. Sind wir müde? Ja." Aber Verlierer? Nein. "Diese jungen Leute sind toll, die sind gut!" Vor allem aber gelte: "Wir wollen alle wieder ganz dringend den Präsenzunterricht. Bitte Schule! Bitte Schule! Das wollen alle, ganz klar!"

"Geben wir nicht auf!"

Dennoch seien die geplanten Förderprogramme natürlich "alle unterstützenswert und notwendig", sagte Ille, weil es große Bildungslücken und eine Bildungsschere gebe. Förderung sei "am effizientesten, wenn wir wieder in die Schulen kommen. Dort müssen wir zielorientiert fördern." Zielorientiert heißt auch, zu schauen, "wo es notwendig ist und wo nicht", denn nicht alle Kinder hätten durch den digitalen Unterricht Lerndefizite angehäuft. "Geben wir nicht auf!", appellierte die Direktorin: "Wir schaffen die letzten mühsamen Kilometer dieses Marathons auch noch!"

Die ehemalige Ombudsfrau im Bildungsministerium und nun Volksschullehrerin in Wien-Favoriten, Susanne Wiesinger, sprach sich hingegen im neuen "profil" für eine breitflächige Wiederholung des Schuljahres an sogenannten "Brennpunktschulen", aber auch an manchen städtischen AHS-Unterstufen aus. Wiesinger zielt mit ihrer Forderung vor allem auf jene Schulen ab, an denen die Kinder schon vor der Pandemie defizitäre Leistungsbilanzen angehäuft hätten: "Nun ist ein so großer Leistungsabfall zu bemerken, dass ich nur eine Lösung sehe: Das Schuljahr müsste wiederholt werden – von einer Vielzahl der Kinder", sagt die durch das Buch "Kulturkampf im Klassenzimmer" bekannt gewordene Lehrerin.

Minister lehnt Sitzenbleiben für alle ab

Der Bildungsminister sieht keine Notwendigkeit für großflächige Klassenwiederholungen: Das sei "nicht notwendig", sagte Faßmann und sieht in derartigen Forderungen eine "offensichtlich geringe Wertschätzung der Lehrer und Schüler, dass alles, was die Schülerinnen und Schüler bisher in diesem Jahr gelernt haben, nichts wert ist". Er sehe, "wie viel Energie und Enthusiasmus" auch jetzt in die Schule, in das Lernen investiert werde, darum lehne er diese Forderung ab – "unabhängig von den organisatorischen Konsequenzen, wenn man einen Jahrgang parallel einziehen würde", meinte der Minister unter Verweis etwa auf Ressourcenfragen.

Er lehne, sagte Faßmann, "Übertreibungen, die von einem verlorenen Jahr, einer verlorenen Generation sprechen, definitiv ab." Das sei kein verlorenes Jahr: "Wir kämpfen und setzen jetzt Maßnahmen, um Bildungsdefizite auszugleichen", versprach der Minister, der eingestand, dass sich "bei bestimmten Gruppen die Bildungsdefizite vergrößert haben". Ihnen soll das 200 Millionen Euro schwere Förderpaket mit Geldern aus dem Bildungsministerium sowie aus EU-Töpfen helfen – zwei Drittel im Sommersemester, ein Drittel im Wintersemester, und zwar im Gegenwert von rund 4500 Lehrerplanstellen, mit denen zwei zusätzliche Förderstunden pro Woche und Schule (alle Schultypen) realisiert werden sollen: "Etwas mehr für Schulen mit Sonderbedarf, etwas weniger für die, die weniger Bedarf haben", sagte Faßmann.

Autonom und flexibel in den Schulen fördern

Wie die Stunden konkret verteilt werden, sollen die Schulen autonom und flexibel entscheiden können. Etwa indem sie einen Schwerpunkt auf die Abschlussklassen und die ersten Klassen in der Volksschule legen oder ob sie sich eine kleine Reserve aufheben für akute Fördernotwendigkeiten. Faßmann will "Flexibilität und Zielorientierung".

Unterrichten werden die Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer über bezahlte Überstunden sowie neue Lehrkräfte, etwa Lehramtsstudierende, die sich bei der Bildungsdirektion bewerben können und über Sonderverträge angestellt werden.

Gefördert wird, und zwar verpflichtend, für den oder die die Lehrerinnen und Lehrer diese Förderung als notwendig erachten. Es ist also ein verpflichtender Förderunterricht.

Lernbetreuung und Sommerschule

Weiters wird es in den Semester- und Osterferien an den Volksschulen, AHS-Unterstufen, Mittel- und Sonderschulen Lernbetreuung in Deutsch, Mathematik und Fremdsprachen für jene Kinder geben, "wo ein dringender Nachholbedarf besteht oder wo die Betreuungssituation zu Hause schwierig ist", sagte Faßmann. Er geht jedoch davon aus, dass das Betreuungsangebot nicht grundlos in Anspruch genommen oder überstrapaziert werden wird, quasi Pandemie-kontraproduktiv genutzt, "sondern die Eltern haben verstanden, wofür diese Maßnahme gedacht ist".

Die Teilnahme an diesem Förderangebot ist freiwillig – Schülerinnen und Schüler mit Nachholbedarf sollen von den Schulen aber aktiv dafür angesprochen werden. Interessierte für die Semesterferien müssen sich sputen: In Wien und NÖ endet die Anmeldefrist am Mittwoch (27. Jänner), in den anderen Bundesländern am Freitag (29. Jänner).

Die im vergangenen Sommer erstmals etablierte Sommerschule wird verlängert, ja, Faßmann meint, sie sei so ein großer Erfolg gewesen, dass "wenn eine Innovation aus der Pandemie überbleibt, dann wird es die Sommerschule sein". Der Mehrwert sei multipel: Die Kinder hätten eine "Aufwärmphase für die Schule", Eltern eine "sinnvolle Betreuung für ihre Kinder" und Lehramtsstudierende könnten "endlich unterrichten" und Praxis sammeln. Ziel seien an die 50.000 Plätze in der Sommerschule. Angeboten werden sollen Deutsch, Mathematik und in Volksschulen auch Sachunterricht.

Ein Buddy zum Lernen

Eine weitere Förderschiene, die derzeit noch "viel Platz in den Kontingenten" biete, ist laut Faßmann die kostenlose Nachhilfe, die "Buddy-Nachhilfe" über die Plattform weiterlernen.at. Da gebe es "sehr individuelle Lernhilfe, Nachhilfe mit Kleingruppenunterricht. Bitte anmelden!", riet der Bildungsminister – und appellierte an das Durchhaltevermögen aller: "Nicht entmutigen lassen! Wir werden diese Zeit gemeinsam überstehen, bleibt sowieso nichts anderes übrig, und die bildungspolitischen Kollateralschäden so klein wie möglich halten."

Und wann geht's wieder zurück in die Schulen, wie von so vielen erhofft? "Zielperspektive ist der 8. Februar", sagte der Bildungsminister – nicht ohne hinzuzufügen: "Abhängig vom Infektionsstatus in der Gesellschaft." (Lisa Nimmervoll, 25.1.2021)