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Haben Sie schon einmal probiert, Ihre T-Shirts "fair" einzukaufen? Also darauf zu achten, ob in der Herstellung Sozial- und Umweltstandards eingehalten wurden? Das ist für einen einzelnen Menschen de facto unmöglich. Darum fordern Aktivistinnen und Aktivisten klare rechtliche Regelungen. Nur noch das, was gewisse Standards einhält, soll in den Läden landen dürfen. Dafür sprechen sich auch immer mehr Ökonomen, Juristinnen und Politiker aus. Die EU-Kommission denkt so ein Gesetz an, auch in Österreich werden Stimmen laut. Aber wie soll das funktionieren?

Textilarbeiterinnen in Dhaka, Bangladesch, blockieren eine Straße. Sie demonstrieren für höhere Mindestlöhne.
Foto: Imago / Asad

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Um zu verstehen, warum der politische Druck für sogenannte Lieferkettengesetze steigt, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Dabei geht es um viel mehr als den Textilsektor, er ist aber exemplarisch dafür. In den vergangenen dreißig Jahren ist die Globalisierung quasi explodiert. Die Herstellung von T-Shirts wird beispielsweise in viele Stufen aufgeteilt: Baumwollanbau, Faserherstellung, Weben, Färben, Drucken, Design und Marketing verteilen sich auf zig Länder, China, Bangladesch, Indien usw.; das hat viele Vorteile gebracht, niedrigere Kosten und mehr Chancen für Menschen in ärmeren Ländern.

Es sind aber vor allem die Schattenseiten, die es in westliche Medien schaffen, und davon gibt es mehr als genug. Fabrikeinstürze, Brände, Näherinnen, die protestieren und dafür Tränengas abbekommen, unterdrückte Gewerkschaften. Immer mehr Unternehmen kommen auch vonseiten der Konsumenten unter Druck, zunehmend auch vonseiten der Investorinnen und Investoren. Das hat schon dazu geführt, dass etwa H&M all seine Zulieferer offengelegt hat. Aktivisten und viele Expertinnen sagen aber, das greife zu kurz.

Sie fordern ein Lieferkettengesetz, wie es in Frankreich seit 2017 existiert. Unternehmen ab 5.000 Mitarbeitern müssen dort Pläne vorlegen, wie sie Menschenrechte in ihrer Lieferkette achten. Sie haften nicht mehr nur für die eigene Produktion, sondern zum Teil auch für ihre Zulieferer. So müssen sie im Fall der Fälle vor Gericht beweisen, dass sie alles in ihrer Macht Stehende unternommen haben, um Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden.

Der erste Konzern, der unter dem neuen Gesetz in Frankreich geklagt wurde: Total.
Foto: APA / AFP / Chiba

Noch sei es zu früh, um zu sagen, ob es funktioniere, sagt die französische Aktivistin Juliette Renaud von der NGO Les Amis de la Terre. Der erste Fall liegt bei Gericht: Der Ölkonzern Total soll in Uganda und Tansania zu wenig dagegen getan haben, dass bei einem Projekt keine Menschen vertrieben werden. Derzeit wird gestritten, vor welchem Gericht verhandelt wird. Wenn das Unternehmen nicht ausreichende Vorkehrungen getroffen hat, droht Schadenersatz.

Susanne Kalss, Vorständin des Instituts für Unternehmensrecht an der WU Wien, hält ein solches Gesetz für sinnvoll. "Bisher kennen wir das nur aus der Produkthaftung. Wenn ein Fahrrad aus Indien über Portugal in die EU importiert und in Österreich verkauft wird, haftet der Importeur, falls sich eine Radfahrerin in Österreich am schadhaften Rad verletzt. Das ist jetzt der Gedanke, der auf Lieferketten übertragen werden soll. Ein Mindeststandard ist sinnvoll."

Hinken die Gesetze der Globalisierung hinterher?
Foto: AFP / Faith

Unternehmen argumentieren oft damit, dass sie sich an lokale Gesetze halten. Das ist auch ein Kritikpunkt: Warum mischen sich Frankreich, Österreich oder die EU ein, an welche Gesetze sich Unternehmen in Bangladesch, Uganda oder Indien zu halten haben? Manchmal wird dabei auch der Vorwurf des Neokolonialismus erhoben. Für Manfred Nowak, Professor für Menschenrechte, sind Lieferkettengesetze das Gegenteil davon: "Wenn westliche Konzerne Menschen im globalen Süden ausbeuten, ist das neokolonial. Wenn sie die Menschenrechte achten müssen, wirkt man der neokolonialen Wirtschaft entgegen."

Nowak lässt auch das Argument nicht gelten, dass es ja lokale Gesetze gebe, an die sich Firmen halten müssten. "Wenn es in einem Land hohe Standards gibt, besteht die Gefahr, dass Konzerne in Länder ausweichen, wo es nur einen schwachen Rechtsstaat gibt." Das sorge dafür, dass Konzerne zum Teil quasi außerhalb der internationalen Rechtsordnung stünden.

Niedrigere Löhne

Wichtig ist aber eine Unterscheidung, die viele Ökonominnen und Ökonomen treffen. Dass eine Firma in ein ärmeres Land geht, weil dort die Löhne niedriger sind, ist kein Problem, sondern betriebswirtschaftlich nachvollziehbar. Dafür werden die Jobs in reicheren Ländern komplexer und besser bezahlt. Je höher die Arbeitsproduktivität in einem Land, desto höher sind auch die Löhne. Dass Firmen ihre Produktion auslagern, hat stark dazu beigetragen, dass die extreme Armut massiv gesunken ist und Löhne vielerorts gestiegen sind.

Zum Problem wird es dann, weil es zum Teil für Konzerne auch deshalb billig ist, in ärmeren Ländern zu produzieren, weil dort unbezahlt Überstunden gemacht werden, Zwangsarbeit herrscht oder Gewerkschaften nicht zugelassen werden. In Bangladesch ist die Regierung zum Beispiel eng mit der im Land dominanten Textilindustrie verwoben.

In Deutschland befürchten NGOs eine Verwässerung des Gesetzes.
Foto: EPA / Singer

Dass die internationale Rechtsordnung der Globalisierung nachhinkt, lässt immer mehr Regierungen Gesetze einführen. In Großbritannien und den Niederlanden müssen Firmen Zwangsarbeit in ihrer Lieferkette vermeiden. In Deutschland steht ein Lieferkettengesetz im Regierungsprogramm, noch wird aber diskutiert, wie streng es werden soll. In der Schweiz hat die "Konzernverantwortungsinitiative" mit 50,7 Prozent eine knappe Mehrheit erhalten, wurde danach aber von den Kantonen blockiert.

Auch EU-Justizkommissar Didier Reynders, ein Liberaler, will noch vor dem Sommer eine gesetzliche Regelung zum Thema vorlegen. Die müsse dann noch durch den Rat, also eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten, und das EU-Parlament, was im Schnitt noch einmal zwei Jahre dauere, sagt ein Sprecher von Reynders. "Die Idee ist, dass Menschenrechte und Umweltfragen Teil des Geschäftsmodells von Unternehmen werden. Statt auf kurzfristige Ziele soll auf nachhaltige Lösungen gesetzt werden." Die Richtlinie oder Verordnung ist Teil des Green Deal der EU-Kommission.

Wirtschaft warnt

Susanne Kalls von der Wiener Wirtschaftsuniversität sagt, ein solches Gesetz müsse leistbar und handhabbar bleiben. "Unternehmen müssen ihre Verträge mit Lieferanten so gestalten, dass das eingehalten wird. Das ist ein völlig neues Denken im Recht. Eine Beobachtungspflicht für das Verhalten anderer." Wichtig sei aber, dass es klare Pflichten gebe. Wenn ein Konzern diese Pflichten einhalte, dürfe er nicht mehr dafür haften, wenn es bei einem Subunternehmer zu Menschenrechtsverletzungen komme.

Die Industriellenvereinigung (IV) warnt auf Nachfrage vor zu viel Bürokratie: "Nachteile im Wettbewerb müssen vermieden werden, das gilt gerade jetzt bei der Bewältigung der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten." Die IV spricht sich aber nicht gegen ein solches Gesetz aus. Die Wirtschaftskammer teilt mit, es dürfe zu keinen unkalkulierbaren Haftungsrisiken für Unternehmen kommen. Sie unterstützt aber die Initiative.

Wirtschaftliche Folgen

In der Tat ist es schwer, jemanden zu finden, der sich grundsätzlich gegen ein derartiges Gesetz ausspricht. In Österreich sind die Grünen, SPÖ und Neos dafür, die ÖVP teilt mit, sie warte den Vorschlag der Kommission ab, die FPÖ reagierte auf Anfrage nicht. Die SPÖ hat im Spiel der freien Kräfte nach Ibiza versucht, ein Sozialverantwortungsgesetz durchzubringen, hat aber keine Mehrheit gefunden. Es wollte Zwangsarbeit im Textilsektor regeln.

Wie streng eine solche Regelung auf EU-Ebene ausfällt, steht noch in den Sternen. Wird es aber nur halb so streng, wie Aktivisten fordern, müsste sich das Geschäftsmodell von vielen internationalen Unternehmen ändern. Denn für manche hyperglobalisierten Konzerne ist es de facto unmöglich, zu durchschauen, was bei den hunderten Zulieferern wirklich passiert. Der Ökonom Holger Görg fordert daher, dass genau definiert werden müsse, wo die Lieferkette anfange und ende. Ist der Zulieferer von Düngemitteln für eine Baumwollplantage noch mit dem Textilhändler verbunden?

Was auf keinen Fall passieren soll: dass sich Unternehmen aus ärmeren Ländern gänzlich zurückziehen. Darum fordert der Unternehmensberater Markus Löning für Deutschland, dass die Regierung Beratungsstellen für Firmen aufbaut. Wichtig sei, dass Firmen die Zeit hätten, Standards zu verbessern, bevor sie Verträge kündigen oder sich aus Ländern zurückziehen.

In einer Stellungnahme zum Thema vom Kiel Centre for Globalization heißt es, kurzfristig führe ein solches Gesetz zu höheren Kosten, weil Firmen Informationen über Zulieferer einholen und diese unterstützen müssten. Mittel- bis langfristig könnte die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen aber sogar steigen. Eine Studie des Instituts zeigt das etwa am Beispiel afrikanischer Zulieferer. Diese konnten ihre Innovationskraft und Produktivität steigern, wenn sie von Konzernen mit Schulungen und Weiterbildungen unterstützt wurden.

Noch ist vieles unklar

Aktivisten hoffen, dass Deutschland vorlegt, die EU-Kommission mit einer Regelung folgt und dann die Vereinigten Nationen eine Konvention verabschieden. Tatsächlich wird seit Jahren im UN-Menschenrechtsrat auf Initiative von Südafrika und Ecuador diskutiert, ob man Konzerne nicht für Lieferketten haftbar machen könnte. Derzeit warte man dort auf den Vorschlag der EU-Kommission, heißt es aus Verhandlerkreisen. Eine Konvention hätte zur Folge, dass Staaten ihre Gesetze anpassen müssten. Insider bezweifeln aber, ob – wenn überhaupt – mehr als ein absoluter Mindeststandard herauskommen würde.

Ohne Regelung sind Firmen manchmal im Nachteil gegenüber Konkurrenten, wenn sie darauf achten, dass Zulieferer gute Löhne bezahlen und Arbeitsrechte hochhalten. Darum fordern einzelne, wie etwa Kik, Daimler und Tchibo, ebenfalls ein Gesetz. Wie ist das in Österreich? Die OMV teilt mit: "Aus aktueller Sicht gäbe es keine negativen Auswirkungen durch ein mögliches Lieferkettengesetz." Lieferanten müssten schon jetzt einen Code of Conduct erfüllen. Auch der Anlagenbauer Andritz sagt auf Anfrage, dass es seit 2015 einen Lieferantenkodex gebe und es deshalb kein Problem sei, wenn das rechtlich geregelt werde.

Konzerne, IV, WKO: Niemand ist gegen neue Gesetze? Wie kann das sein? Einerseits liegt es wohl daran, dass den meisten klar ist, dass sie Nachhaltigkeit nicht mehr ganz ignorieren können. Andererseits liegt der Teufel im Detail: Wie streng geht man vor? In Frankreich sind die Kriterien so hoch, dass nur 260 Unternehmen betroffen sind, schätzen Aktivisten. Wie weit reicht die Verantwortung in der Lieferkette? Wie sieht es mit der Haftung aus? Bei schweren Menschenrechtsverstößen ist für die Juristin Susanne Kalls vorstellbar, dass Verantwortliche auch strafrechtlich haften. Das würde für heftigere Diskussionen sorgen.

Allianz in Österreich

In Österreich setzt sich eine Allianz aus Gewerkschaft, Arbeiterkammer und NGOs für ein strenges Gesetz ein. Seit kurzem gibt es auch eine eigene Initiative dazu. Mitinitiatorin Veronika Bohrn Mena fordert: "Konzerne sollen veröffentlichen, wer ihre Zulieferer sind und wo ihre Rohstoffe herkommen. Wenn Menschenrechte verletzt werden, soll der Konzern Strafe zahlen und der Geschäftsführer haften. Der Wirt nebenan, der Sozialdumping betreibt, haftet persönlich und zahlt Strafe. Warum gilt das für Amazon-Chef Jeff Bezos nicht?"

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