Das Leben, die Welt, unsere Existenz – manche Menschen sind fest überzeugt, dass alles um uns nur Fake ist.

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Denken Sie mal an Ihren letzten Traum zurück. Egal, ob Sie geflogen sind, von fantastischen Wesen verfolgt wurden oder Sie nach dem Druck auf die Snooze-Taste (wunsch-)geträumt haben, dass Sie schon in der Arbeit sind – dass Sie nichts von alldem wirklich erlebt haben, wussten Sie höchstwahrscheinlich erst nach dem Aufwachen. Im Traum hingegen erschien alles echt.

So ähnlich könnte es auch mit der Realität sein, argumentieren Verfechter der sogenannten Simulationshypothese. Die glauben nämlich, dass das Leben, die Welt und sowieso alles eine riesengroße Lüge ist. In Wirklichkeit befinden wir uns nämlich in einer Simulation, errechnet auf Computern, die von einer überlegenen Spezies oder gar von einer künstlichen Superintelligenz programmiert wurde. Kein Scherz.

Wer bei Impfgegnern, die Angst vor implantierten Mikrochips haben, verachtend die Augenbrauen hebt, wird ob der an den Film Matrix erinnernden Fantasien der Simulationsjünger nur den Kopf schütteln. Aber was klingt wie die ultimative Verschwörungstheorie, ist tatsächlich Gegenstand ernsthafter Diskussionen –sogar unter Wissenschaftern.

Trendsetter in Toga

Dem antiken Philosophen Platon hätte der Kultfilm von Lana und Lilly Wachowski wohl gefallen. Er sah sich schon vor über 2000 Jahren in einer Scheinwelt gefangen, formuliert in seinem berühmten Höhlengleichnis. Seitdem ist die Frage nach der echten Realität ein Evergreen der Philosophie – und auch der Popkultur.

Ist da oben wer, der uns steuert? Für Elon Musk ist die Antwort klar.
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In Zeiten, in denen künstliche Intelligenz schon ein atemberaubendes Niveau erreicht hat, stellt sich die Frage aber ganz neu. Wenn wir innerhalb von wenigen Jahrzehnten den Weg vom minimalistischen Videospiel Pong zu fotorealistischen 3D-Simulationen gefunden haben, werden wir in wenigen Jahren an einem Punkt angelangt sein, wo sich die Realität nicht mehr von Simulationen unterscheiden lässt, ist etwa Elon Musk überzeugt. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir in der echten Realität leben, beziffert er lediglich mit eins zu mehreren Milliarden.

Digitalismus statt Weltreligionen

Musk ist wohl der prominenteste Anhänger der Idee der absoluten Simulation, aber auch in Foren und geneigten Wissenschafterkreisen wird die Idee wieder zunehmend diskutiert. Während es weltweit immer weniger Bekenner zu klassischen Religionen gibt, finden die Ideen des "Digitalismus" immer mehr Zulauf. Suchte man früher ein Leben lang nach Gott, ist es jetzt der Ausweg aus der simulierten Realität. So wie ihn etwa der Computerexperte George Hotz sucht. Als Siebzehnjähriger knackte er den Softwareschutz des iPhones, jetzt nimmt er sich die Matrix vor. Wie er den Ausbruch aus der Simulation schaffen will, ist nicht bekannt, aber er will zu diesem Zweck eine eigene Kirche gründen.

Jede Religion braucht ihre Bibel – für die Simulationstheoretiker ist es wohl die Abhandlung "Are You Living in a Simulation?" von Nick Bostrom aus dem Jahr 2003. Der Philosoph leitet inzwischen das Future of Humanity Institute an der Universität Oxford. Er glaubt, dass es mit exponentiell steigender Rechenleistung irgendwann möglich sein muss, die gesamte Geschichte der Menschheit in einem Computer zu simulieren.

Kein Grund, wahnsinnig zu werden

Bostrom spielt drei Optionen durch, von denen laut ihm eine eintreten muss. Einerseits könnte es sein, dass es keine posthumanen Zivilisationen gibt, weil sie sich – etwa durch Atomkriege – selbst auslöschen, bevor sie ein höheres technologisches Niveau erreichen. Eine andere Möglichkeit wäre, dass eine Zivilisation die Technologie zwar besitzt, aber aus ethischen Gründen nicht einsetzt.

Und dann wäre da noch die Option Nummer drei: nämlich dass die Möglichkeit zur Simulation besteht – und auch genutzt wird. Während die "echte" Realität nur einmal existiert, würde es dann bald Milliarden an Simulationen geben. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir in der Wirklichkeit leben, würde also gegen null gehen.

Der Philosoph Nick Bostrom schrieb eine vielzitierte Abhandlung zur Simulationshypothese.
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Raucht Ihnen schon der Kopf, käst Ihr Gehirn? Es geht noch weiter! Für Bostroms Gedankenspiel muss man nämlich mit der Substratunabhängigkeit einverstanden sein. Dabei handelt es sich um die Annahme, dass Bewusstsein nicht nur in Hirnzellen, sondern auch auf Siliziumchips existieren kann. Womit wir bei der alten Frage sind, ob Maschinen denken können.

Der Simulationshypthese wohnt ohne Zweifel etwas Nihilismus inne: Wenn wir ohnehin nur als Datenhaufen existieren, macht das Leben überhaupt Sinn? Sollten wir, anstatt die Corona-Pandemie und die Klimakrise zu bekämpfen, nicht besser eine Riesenparty schmeißen? Nick Bostrom gab sich schon 2003 agnostisch: Wir werden wohl nie wissen, ob wir echt sind – und es macht letztlich auch keinen Unterschied für unser Leben. Sollten wir wirklich in der Simulation leben, ist sie wie ein Traum, aus dem wir nie wieder aufwachen (zumindest bis iPhone-Hacker Hotz einen Ausweg gefunden hat).

Und wer will schon, dass er zum Albtraum wird? (Philip Pramer, 26.1.2021)