Über 300.000 Euro soll die Chefin der Personalverrechnung eines großen Unternehmens betrügerisch auf ihr eigenes Konto überwiesen haben.

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Wien – 18 Jahre lang arbeitete Frau K. bei einem international tätigen österreichischen Unternehmen, zuletzt als Leiterin der Personalverrechnung. Beschwerden gab es offenbar nie, ihr Gehalt betrug 8.000 Euro brutto, bis zum Geschäftsjahr 2015/16 gab es jährlich ein 15. Monatsgehalt als Prämie. Zu einem Zeitpunkt also, als die unbescholtene 54-Jährige laut Staatsanwältin bereits begonnen hatte, Firmengelder auf ihr eigenes Konto umzuleiten. Fast 313.000 Euro sollen so zwischen Mai 2013 und Jänner 2018 geflossen sein.

Die Buchungen selbst leugnet die Angeklagte vor einem Schöffensenat unter Vorsitz von Petra Schindler-Pecoraro nicht. Zum angeklagten gewerbsmäßigen schweren Betrug bekennt sie sich nicht schuldig. Denn das Geld sei quasi ein "Zusatzgehalt" und "Prämien" gewesen, argumentiert sie gemeinsam mit ihrem Verteidiger Norbert Haslhofer.

Prüfung deckte Missstände auf

Begonnen hatte die Praktik laut K. im Jahr 2012, nachdem ein Prüfer der Gebietskrankenkasse festgestellt hatte, dass ein Tochterunternehmen der Holding seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern keine Urlaubsersatzleistung auszahlte. Die Folge waren eine Nachzahlung, Zuschläge und die Androhung einer Strafe, falls das neuerlich passieren würde, erzählt die Angeklagte.

Das sei nicht alles gewesen, sekundiert der Verteidiger: Arbeitszeitaufzeichnungen seien manipuliert worden und illegale Kettenverträge abgeschlossen worden, seine Mandantin habe im Laufe ihrer Karriere bei der Firma eine Vielzahl von Arbeitsrechtsverletzungen erlebt – und auch gedeckt.

Denn auch nach der Prüfung habe die Belegschaft nie eine Urlaubsersatzleistung bekommen. Damit in den entsprechenden Zeilen der Prüfunterlagen aber nicht einfach "null" steht, habe ihre Vorgesetzte sie beauftragt, fiktive Werte einzutragen. Dafür sollte sie eine Gehaltserhöhung bekommen und sich das Geld selbst überweisen, verteidigt K. sich.

Deutlich höhere Arbeitsbelastung

Denn zusätzlich sei um diese Zeit durch ein Neugeschäft auch ihre Arbeitsbelastung gestiegen: Während die Kolleginnen und Kollegen zwischen 200 und 500 Mitarbeiter abrechneten, sei sie für 1.400 Menschen verantwortlich gewesen.

Ein weiteres neues Betätigungsfeld laut K.s Angaben, das dazukam: "Ich musste schauen, was an arbeitsrechtlichen Fällen angefallen ist. Wenn ein Mitarbeiter sagte, wir schulden ihm 2.000 Euro an Überstunden, habe ich mir das angeschaut. Wenn ihm dann 1.000 Euro zugestanden sind, haben wir das bezahlt, und ich durfte 20 Prozent der Differenz behalten, weil es nicht vor Gericht gegangen ist."

Ihre Vorgesetzte habe das gewusst: In vier Ordnern in K.s Büro seien diese Akten abgelegt gewesen. "Dann gab es noch einen roten Ordner, in dem ich aufgelistet habe, warum ich wie viel Geld bekomme", behauptet die Angeklagte. Als sie im Jänner 2018 beim Hantieren mit diesen Unterlagen einen Arbeitsunfall erlitt, seien die Ordner noch vorhanden gewesen. Wo sie jetzt sind, weiß sie nicht. Sie wurde jedenfalls einige Monate darauf entlassen, ein Prozess vor dem Arbeits- und Sozialgericht endete mit einem Vergleich.

Zwei Vorgesetzte unterschrieben

K. betont auch, dass die ganzen Abrechnungen von zwei Vorgesetzten unterschrieben worden seien, ehe das Geld floss. Und: "Wenn ich mich bereichern hätte wollen, hätte ich die Einträge im Buchhaltungssystem einfach gelöscht." Es ging nur darum, bei einer etwaigen Prüfung gut dazustehen.

"Man könnte auch auf den Gedanken kommen, dass Sie bei der Prüfung erst auf die Idee gekommen sind, dass es niemandem auffällt", wirft Vorsitzende Schindler-Pecoraro ein. Noch etwas erscheint ihr seltsam: "Was hätte die Firma davon? Die Arbeitnehmer haben das Geld ja nicht bekommen und hätten es immer noch verlangen können." – "Unsere Klientel waren Studenten, Arbeitslose und Selbstständige, da kamen solche Forderungen nicht."

Auch eine andere Frage hat Schindler-Pecoraro noch: "Sind die 300.000 Euro noch da?" – "Nein." – "Sind Ihre Schulden getilgt?" – "Nein." Die Angestellte besitzt eine Eigentumswohnung und ein Einfamilienhaus, auf dem noch ein Kredit von 200.000 Euro lastet. Dazu kommen 24.000 Euro an Konsumkredit.

"Nur Nudelsuppe oder Rinderbraten"

"Wofür haben Sie das Geld dann gebraucht?" – "Na ja, man schaut dann beim Einkaufen nicht nur, ob es Sonderangebote gibt. Ich habe nicht darauf achten müssen, ob ich mir nur eine Nudelsuppe oder einen Rinderbraten leisten kann", erklärt die Angeklagte. Eine Lebenseinstellung, die an das nordirische Fußballidol George Best erinnert: "Ich habe viel Geld für Alkohol, Frauen und schnelle Autos ausgegeben, den Rest habe ich einfach verprasst", fasste der einmal sein Finanzgebaren zusammen.

Die Zeugenaussage der ehemaligen Vorgesetzten gerät eher einsilbig. Nein, sie sei überhaupt nicht die direkte Vorgesetzte gewesen. Nein, es habe keine Sondervereinbarung mit K. gegeben. Nein, von einem roten Ordner habe sie nichts gewusst. Nein, sie habe vor der Unterzeichnung von Überweisungen nicht die Detaillisten durchgeschaut. Und ja, es gab eine eigene Rechtsabteilung in der Firma, die auch für arbeitsrechtliche Belange zuständig gewesen sei.

Herumeiernde Vorgesetzte

Der Verteidiger wird der Zeugin gegenüber dann direkter: "Wurde die Urlaubsersatzleistung ausbezahlt?" – "Das weiß ich nicht." – "Wer weiß es in Ihrem Unternehmen dann?" – "Frau K. war dafür verantwortlich." – "Das heißt, sie wäre bei jeder Klage vor dem Arbeitsgericht schuld gewesen?" – "Nein, ich sage nicht, dass sie schuld war, aber sie war verantwortlich", eiert die Zeugin herum.

Sie gibt auch zu, dass K. im Zuge des von der Angeklagten angesprochenen Neugeschäfts auf einmal 500 zusätzliche Stellen abzurechnen hatte. "Und 500 zusätzliche Arbeitnehmer zur Abrechnung sind kein Thema für eine Lohnerhöhung? Wenn andere in der Abteilung maximal 500 abrechnen?", bohrt der Verteidiger nach. "Nein, das war kein Thema", lautet kühl die Antwort.

Unternehmen profitierte laut Verteidiger mehr

Für die Staatsanwältin ist nach den Aussagen von K. und der Zeugin die Sachlage klar: "Vielleicht waren Sie der Meinung, dass Ihnen das Geld zusteht. Aber Sie hatten kein Recht dazu, die Überweisungen vorzunehmen", hält sie der Angeklagten vor. Verteidiger Haslhofer merkt in seinen Schlussworten dagegen an, dass das Unternehmen noch viel mehr als die Angeklagte profitiert habe: Es musste die Urlaubsersatzleistung an die Arbeitnehmerschaft nicht zahlen und auch keine Angst vor einer Strafe haben.

Der Senat sieht das nach knapp halbstündiger Beratung anders und verurteilt K. zu drei Jahren Gefängnis, eines davon unbedingt. Dem Unternehmen muss sie dessen Privatbeteiligtenanschluss von 312.724,86 Euro zahlen. "Wir haben Ihre Verantwortung erwogen, aber als unglaubwürdig verworfen", begründet Schindler-Pecoraro. "Gerade Sie als Zahlenmensch wussten, dass Sie das nicht durften. Man könnte auch sagen, Sie habe sich einfach selbst bedient." Da sowohl Angeklagte als auch Anklägerin keine Erklärung abgeben, ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 25.1.2021)