Vorlage für das Schockvideo des Außenministeriums: der Atomkrieg-Filmklassiker "The Day After" von 1983.

Foto: Außenministerium/Youtube

Vorlage für das Schockvideo des Außenministeriums: der Atomkrieg-Filmklassiker "The Day After" von 1983.

Foto: Außenministerium/Youtube

Ein Atomkrieg ist eigentlich so ziemlich das Letzte, in das man sich hineinreklamieren wollte. Normalerweise sollte Österreich doch froh sein, dem europäischen Erdteil so inmitten zu liegen, dass sich dadurch eine feine immerwährende Neutralität ausging, und wenn es schon um Atomwaffen ging, dann um deren Abrüstung, die auf Konferenzen in Wien beschlossen wurde.

Der eineinhalb Minuten lange Clip, mit dem das Außenministerium am Wochenende Österreich als bedeutende Signatarmacht beim Treaty on the prohibition of nuclear weapons (TPNW) hervorheben und Alexander Schallenberg wie einen Friedensfürsten aussehen lassen wollte, ist peinlich nicht nur als eine ins Apokalyptische entglittene Größenfantasie.

Er wirft auch Plagiatsfragen auf und lässt ein Bildverständnis erkennen, das mit der ganzen Instagram-Besoffenheit eines Message-Kontrollraums nicht nur über die Filmgeschichte, sondern über eine reiche intellektuelle Tradition der atomaren Betroffenheit hinwegfegt. Dass die CGI-Hobby-Abteilung im Außenministerium gerade einmal so halbwegs einen Atompilz über der Wienerstadt hinbekam, sich dann für die anschließenden Katastrophenbilder aber an so naheliegenden Orten wie dem Klassiker The Day After (1983) bediente, wo die Bäume auch ordentlich wackelten, lässt sich wahrscheinlich zitatrechtlich geradebiegen und sollte auch keinen Upload-Filter nervös machen.

Nuklearer Schund

Gravierender ist schon, dass Schallenbergs Leute ungefähr die Reflexionsstufe von Analphabeten erkennen lassen, die ihr erstes GIF zu sehen bekommen und das für einen Film halten. Man muss angesichts eines derartigen Auftrags natürlich nicht erwarten, dass sich da lauter versierte Kulturhistoriker ans Werk machen. Aber so naiv, dass das Opus, wiewohl eindeutig Trash, nicht einmal ein Bewusstsein für seinen Schundcharakter erkennen lässt, kann Außenpolitik nur in einem Land sein, das sich sonst gern auf seinen Operettencharakter zurückzieht, wenn es ernst wird.

Dass der nukleare Holocaust, wie er häufig genannt wird, eine ausgeprägte Trashkomponente hat, war in der populären Kultur vor allem deswegen immer klar, weil die kriegerische Nutzung der Kernenergie eben immer schon an dessen Gegenteil rührte – an dem Erhabenen, für das der menschliche Verstand und seine Sinnesorgane nicht gewappnet sind. Natürlich gibt es aus Hiroshima und Nagasaki Bilder, aber es gilt doch der Satz aus Hiroshima mon amour, dem Roman von Marguerite Duras und der Verfilmung von Alain Resnais: "Du hast nichts gesehen." Parallelen zu Bilderverboten und zu der Undarstellbarkeit der Shoah sind offensichtlich.

Zugleich wurde in den Jahren, in denen das Wettrüsten zwischen den Supermächten immer wieder auch zu konkreten Atombombenversuchen führte, der Atompilz am fernen Horizont, hinter dem Bikini-Atoll, zu einer Art Ikone für ein Schicksal, das die Menschheit möglichst auf majestätische Distanz zu halten versuchte. Der große Found-Footage-Künstler Bruce Conner arbeitete dann mit seinem A Movie die Verbindung dieses visuell Erhabenen zum Grotesken heraus, während vor allem in Japan verstrahlte Monster wie Godzilla so zu tun versuchten, als wäre die epochale Gefahr angesichts der massiven Erstschlagskapazitäten weglachbar.

Die Achtzigerjahre waren dann das Jahrzehnt, in dem mit nuklearen Mittelstreckenraketen das Undenkbare der menschheitlichen Katastrophe strategisch realistischer wurde. Wohl nicht zufällig gehört in diese Periode auch das Monster, das in der Welt der Watchmen zu einer Verbindung von Atomkatastrophe und biologischer Gestaltwerdung führte: Konkret ist die "11/2 Psychic Shockwave" ein Einschlag an der Grenze zwischen Alieninvasion und Massenillusion. Gemeint war aber natürlich das Ereignis, vor dem es genau schützen sollte: eine Bombe auf New York.

Godzilla als satirische Antwort

Auch in diese Tradition der paradoxen Intervention hat sich das Außenministerium nun mit den letzten Sekunden im Leben des Stephansdoms gemogelt. Dass die Gefahr bis Hütteldorf reicht, wo "Fenster bersten" würden, und dass noch Graz von der Aschewolke betroffen wäre, verblasst aber sogar ein wenig angesichts der unsichtbaren realen Gefahr, die damals von Tschernobyl ausging.

Selbstverständlich gibt es auch bereits einschlägige Reaktionen. Parodien lassen all das Bewusstsein für das Genre des Katastrophenfilms erkennen, das dem Clip mit dem irreführend sachlichen Titel Folgen eines Atombombenabwurfs auf Wien fehlt: Da lässt dann halt Godzilla selbst den Totenzählometer in die Fantastillionen entgleisen, und in Hütteldorf zeigt sich Cthulhu persönlich, das Scheusal aus der Fantasie von H. P. Lovecraft.

Am zweiten, dritten und vierten Tag danach zeigt sich schon sehr deutlich: Das Außenministerium steht mit seinem frommen Wunsch der Wegwünschung "dieser heimtückischen Waffen" durch Alexander Schallenberg naiver da, als es die Diplomatie erlaubt. (Bert Rebhandl, 26.1.2021)