Seit Montag gelten in Österreich strengere Regeln: FFP2-Masken sind im Handel und in Öffis Pflicht.

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Es ist die eine Frage, die das Land beschäftigt: Wie können wir verhindern, auf unabsehbare Zeit im Lockdown zu verharren? Wobei die Gegenfrage lautet: Wie sollen wir den Lockdown beenden, wenn die Infektionszahlen nicht deutlich sinken? Aktueller Stichtag ist der 7. Februar – danach könnten Öffnungsschritte erfolgen. Festlegen will sich die Regierung noch nicht.

Montagabend trafen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sowie sein Vizekanzler Werner Kogler und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (beide Grüne) Experten, die Landeshauptleute und die Opposition zur Lagebesprechung.

Die Entscheidung über eine mögliche Verlängerung des Lockdowns oder allfällige Lockerungen wird erst kommende Woche fallen. Das verkündete die Opposition nach den Gesprächen. Für kommende Woche wurde ein weiteres Treffen vereinbart.

Virologin: "Kein Schwarz-Weiß"

Wie es ab dem 8. Februar weitergeht, sei noch nicht konkret erörtert worden, erklärte die Virologin Dorothee von Laer. In der "ZiB 2" wollte sie sich nicht festlegen, ob aus ihrer Sicht eine Fortsetzung des Lockdowns über diesen Termin hinaus nötig sei. Das hänge von der Zahlenentwicklung ab. Sie erwartet, dass es kein "Schwarz-Weiß" gibt, sondern die Regierung einen gut abgewogenen Stufenplan entwickelt.

Auch Virologe Andreas Bergthaler war Montag als Experte bei der Besprechung mit der Bundesregierung dabei.
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Eine Verschärfung des Lockdowns mit weiteren Ausgangsbeschränkungen befürwortet von Laer nicht: "Ein Spaziergang schadet nicht." Jedoch plädiert die Virologin für eine "freundliche Kontrolle und Erinnern im Alltag". Zudem sollte man beim Skifahren zumindest eine Reduktion erreichen. Was die Wirksamkeit der Maßnahmen angeht, hätten sich die Schließung der Schulen und das Verbot von Großveranstaltungen als besonders effektiv erwiesen, daheim Einschließen im Lockdown bringe weniger.

Opposition erwartet sich mehr Konkretes

Laut FPÖ-Chef Norbert Hofer will die Regierung am kommenden Montag entscheiden, ob es zu einer Verlängerung des Lockdowns kommt oder nicht. "Es war – auch aufgrund der Experten, die an der Konferenz teilgenommen haben – eine hochtheoretische Debatte. Konkrete Antworten gab es wenige", so Hofer. Er habe das Gefühl, dass die Regierung nicht mehr so richtig wisse, wie man die Menschen auf diesem Weg gegen das Coronavirus mitnehmen könne.

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger bemängelte das Fehlen einer "echten Einbindung des Parlaments". Es habe sich mehr um eine "Information der Bundesregierung" gehandelt, sagte sie.

Keine Änderung bei Impfstrategie

Breiten Raum nahm bei der Konferenz mit den Landeshauptleuten wie erwartet die Problematik der angekündigten Lieferkürzungen durch die Impfstoffhersteller Pfizer-Biontech und Astrazeneca ein. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) forderte die Offenlegung der Verträge, um Klarheit zu gewinnen, ob und wie viel bereits bezahlt worden ist und ob Pönalzahlungen bei Nichteinhaltung der Verträge vereinbart worden sind.

Regierung und Landeshauptleute einigten sich darauf, dass es bei der Impfstrategie keine Änderungen geben soll. Die Priorisierungen bleiben also weiterhin auf Basis des Alters, Um- und Vorreihungen bestimmter Berufsgruppen sind nicht geplant.

Vor den Beratungen mit den Landeshauptleuten kam die Regierung zu Gesprächen mit den beratenden Experten im Kanzleramt zusammen. Herwig Ostermann von der Gesundheit Österreich GmbH sagte im Anschluss, es sei jedenfalls festzustellen, dass die britische Variante in Österreich angekommen ist – das wisse man ja bereits. Zur Häufigkeit der neuen Virusmutation B.1.1.7 in Österreich könne aber noch keine abschließende Aussage getroffen werden. Ostermann geht davon aus, dass sich diesbezüglich innerhalb der nächsten Wochen ein "sehr klares Bild" ergeben wird.

Laut Kanzleramt ist die Infektionslage nach wie vor "stabil" und die Sieben-Tage-Inzidenz "leicht sinkend". Es bestehe aber weiter eine sehr heikle Lage – speziell in Hinblick auf Mutationen.

Rendi-Wagner: "Virus kennt keinen Terminkalender"

Auf höchster politischer Ebene divergieren die Meinungen, wie es weitergehen soll. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hält ein "Lockdown-Enddatum" Wochen im Voraus für unseriös: "Das Virus kennt keinen Terminkalender", sagt sie. Erst wenn der Zielwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern erreicht werde, könne gelockert werden. Das ist – etwas gröber formuliert – auch das Ziel der Regierung. Derzeit steht Österreich allerdings bei 121 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern – und damit deutlich darüber. Viele Experten halten baldige Öffnungsschritte deshalb für unrealistisch.

Öffnen im Osten?

Etwas anders argumentieren die Wiener: Der rote Gesundheitsstadtrat Peter Hacker drängt schon länger darauf, dass der Bund über regionale Öffnungsszenarien nachdenken soll – manche Bezirke, so auch Wien, stehen deutlich besser da als der Rest Österreichs. Ein totaler Lockdown verliere von Woche zu Woche seine Berechtigung, wird in der Hauptstadt kritisiert. Auch rechtlich stehen Grundrechtseingriffe wie Ausgangsbeschränkungen in Bezirken mit besseren Zahlen auf immer wackligeren Beinen.

Bundesweit ist derzeit eines der größten Probleme, dass sich die Menschen zu viel bewegen: "An den Mobilitätsdaten sehen wir, dass die Luft draußen ist. Die Lockdowns wirken nicht mehr", sagt der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom IHS, der dem Corona-Fachrat des STANDARD angehört. Während im ersten Lockdown in den Bewegungsdaten noch ein Rückgang um 70 Prozent verzeichnet wurde, nähert man sich laut einem Bericht des Ö1-"Morgenjournals" aktuell den 20 Prozent. Den kleinsten Radius ziehen dabei die Wiener. Am wenigsten schränkt man sich in Vorarlberg, Tirol und Salzburg ein. Das liege auch daran, dass in der Stadt die Sozialkontakte besser herunterfahrbar sind, erklärt Czypionka. Viel spiele sich dort in den aktuell geschlossenen Lokalen ab.

Experte wünscht sich klare Richtmarke

Um die Fallzahlen zu drücken, schlägt der Gesundheitsökonom vor, die Kommunikation zu ändern. Es sei wenig motivierend, dass ständig Daten für eine Öffnung in den Raum gestellt würden, die dann wieder verschoben werden. Besser sei es, eine klare Inzidenz zu nennen. An dem aktuell genannten Stichtag zweifelt Czypionka: "Wir haben zwar noch zwei Wochen, aber wenn die Zahlen so hoch bleiben, wird es schwierig." Erste Öffnungen kann sich auch der Experte ab einer Inzidenz von 50 vorstellen. Aktuell sei das Contact-Tracing der Neuinfektionen nicht zu bewältigen.

Eine Corona-Arbeitsgruppe rund um den Informatiker Robert Elsässer an der Universität Salzburg kommt sogar zu dem Schluss: Selbst bei optimistischen Annahmen kann ein "weicher" Lockdown die Ausbreitung von Covid-19 nicht brechen. Wie soll es also weitergehen?

Anschober will die Gründe für die deutlich weniger als im Frühjahr zurückgegangene Mobilität evaluieren. Man sehe "Schwächen" in der Umsetzung des Lockdowns, räumte er ein. Ob etwa die geöffneten Skigebiete ein Grund für regional unterschiedliche Bewegungsaktivitäten sein könnten, werde man sich ansehen. Das Entscheidende bei den Skigebieten werde die Frage sein, ob es dort zu Ansteckungen in einem höheren Ausmaß als im restlichen Landesbereich kommt, sagte Anschober.

Oder der totale Shutdown?

Härtere Maßnahmen – bis hin zu einem totalen Shutdown – will die Initiative Zero Covid. In einer Petition, die unter anderem von Wissenschaftern und Gesundheitspersonal unterstützt wird, fordert man "nicht 200, 50 oder 20 Neuinfektionen pro Tag, sondern null". Das Konzept: Mit härtesten Einschränkungen sollen binnen weniger Wochen die Infektionszahlen komplett in den Keller gedrückt werden. (Oona Kroisleitner, Katharina Mittelstaedt, red, APA, 25.1.2021)