Rock Island, eine Stadt im US-Bundesstaat Illinois, und Davenport in Iowa trennt voneinander nur der Mississippi River. In wenigen Minuten gelangen Autofahrer von einem Ort in den anderen. Doch im Frühjahr 2020 hatte die Überfahrt etwas von einer Reise in eine andere Welt an sich. In Illinois und damit auch in Rock Island galt ab dem 20. März ein Lockdown. Geschäfte, Restaurants, Kinos mussten geschlossen bleiben. In Davenport dagegen gab es keinen solchen "Shelter in Place"-Befehl, wie Amerikaner sagen. Lokale und Shops blieben offen.

Wie hat sich der unterschiedliche Umgang mit der Pandemie wirtschaftlich ausgewirkt? Ist es so, dass Städte, die im Lockdown waren, schwerer getroffen wurden? Oder hängt der Schaden vielmehr davon ab, wie stark das Virus in der Bevölkerung wütete?

Dieser Frage widmet sich eine soeben veröffentlichte Studie von Austan Goolsbee und Chad Syverson, zwei Ökonomen an der University of Chicago Booth School of Business. Die beiden haben die Entwicklung in tausenden Gemeinden und Städten in den USA untersucht. Dabei fanden sie ein natürliches Experiment vor, weil in manchen Orten Lockdowns schnell verhängt worden waren, in anderen später und in manchen gar nicht. Ergebnis der Studie: Ob Modell Davenport oder Rock Island, ob Lockdown oder nicht – behördliche Maßnahmen hatten nur einen überschaubaren Effekt.

Untersucht wurde, wie sich das Verhalten von Kunden zwischen Anfang März und Mitte Mai änderte. Die Ökonomen werteten Daten der Mobilfunkbetreiber zu der Besucherfrequenz in 2,2 Millionen Geschäften quer über die USA verteilt aus. Analysiert wurden die Kundenbesuche in allen erdenklichen Shops, in Restaurants, Kinos, Kaffees und in Supermärkten. Im Schnitt sank im Beobachtungszeitraum die Kundenfrequenz um 60 Prozent. Dabei gingen ähnlich wenige Menschen einkaufen – egal ob ein Lockdown galt oder nicht. In Orten mit Einschränkungen war der Einbruch nur um ein Zehntel stärker als in Orten ohne Lockdown.

Was der Lockdown (nicht) ändert

Umgekehrt war es relativ gleichgültig, ob Lockdowns wieder aufgehoben wurden. Auch mit dem Ende der Einschränkungen im Frühjahr belebte sich das Geschäft kaum. Wie lautet die Erklärung? Goolsbee und Syverson argumentieren, dass die Angst, sich mit dem Virus anzustecken, das Verhalten erklärt. Wenn Menschen sich davor fürchten rauszugehen, weil es gerade in der Region viele Todesfälle gibt, bleiben sie zu Hause.

Demnach ist es das Virus, nicht der Lockdown, der die Krise verschärft. Fazit der Autoren: "Die Aufhebung von Sperren ist möglicherweise kein besonders wirksames Mittel, um das Wachstum wieder anzukurbeln. Wenn Menschen über eine mögliche Ansteckung beunruhigt sind, hat das Ende gesetzlicher Beschränkungen auf ihre Aktivitäten nur begrenzte Wirkung."

Sind die Lockdowns schuld an der tiefen Wirtschaftskrise, oder gibt es andere Erklärungen dafür? Ökonomen diskutieren über diese Frage.
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Seit Beginn der Pandemie läuft eine Debatte darüber, was den wirtschaftlichen Schaden auslöst. In den USA gibt es bereits einige Studien, die die erwähnten Ergebnisse untermauern. Der Ökonom Raj Chetty von der Stanford University hat mit Kollegen im November eine spannende Studie publiziert.

Die Krise lief demnach so ab: Als die Pandemie begann, verloren gutbezahlte Angestellte ihre Jobs oder wurden ins Homeoffice geschickt. Sie konsumierten weniger. Darunter litten die Geschäfte, sie bauten Mitarbeiter ab. Schlechtbezahlte Jobs gingen verloren. Rasch erholte sich die Beschäftigung bei gutbezahlten Angestellten, für sie war die Krise im Mai vorbei. Sie blieben aus Angst vor Corona im Homeoffice. Ihr Konsumverhalten blieb verändert. Darunter leiden Geschäfte wie Restaurants in Geschäftsvierteln. Die Jobkrise für schlechtbezahlte Arbeiter bleibt. Auch hier sind nicht Lockdowns entscheidend.

Anderes Bild in Europa?

Gegen die These, wonach das Virus entscheidend ist, gibt es aber auch Einwände. Zunächst beziehen sich die erwähnten Studien nur auf die erste Phase der Pandemie. Ob die Ergebnisse übertragbar sind, ist fraglich. Im ersten Lockdown, als das Virus unbekannt war, dürfte der Schrecken bei vielen Menschen größer gewesen sein. Darauf deuten Daten hin, wonach der aktuelle Lockdown in Österreich nicht mehr zu so einer starken Reduktion der Bewegungen führt wie der erste.

In Europa gibt es zudem einige Länder mit ganz anderer Tendenz: In Schweden und der Schweiz etwa gab es viele Infizierte, der Wirtschaftseinbruch war aber nur moderat.

Experten des wirtschaftsliberalen Thinktanks Agenda Austria haben analysiert, woran es lag, dass im ersten Halbjahr 2020 europäische Länder unterschiedlich durch die Krise kamen. Laut der Ökonomin Heike Lehner lassen sich 60 Prozent der Unterschiede mit drei Faktoren erklären: dem Anteil des Tourismus an der Wirtschaftsleistung – je höher er ist, umso stärker der Einbruch. Zweitens die Härte von staatlichen Einschränkungen. Je mehr es gab, desto tiefer ging es bergab. Schließlich wie hoch das Vertrauen der Bevölkerung in die Verwaltung ist. Wenn Bürger mehr vertrauen, war das Minus weniger.

Eine mögliche Interpretation ist, dass in Ländern mit großem Vertrauen Appelle, etwa zum Social Distancing, eher befolgt worden, harte Einschränkungen für das Wirtschaftsleben waren also seltener nötig. Die Agenda Austria spricht in ihrer Analyse davon, dass Länder mit positiv wahrgenommener Verwaltung eher "an einem Strang ziehen", dass dort auch Staatshilfen wohl effizienter organisiert waren. (András Szigetvari, 26.1.2021)