Der Appell des Bürgermeisters klang am späten Montagabend verzweifelt: "Meiden Sie die Innenstadt und bleiben Sie zu Hause", ließ Jack Mikkers via Twitter den 140.000 Bewohnern von Den Bosch ausrichten. Unversehens war seine sonst so beschauliche Stadt in der Provinz Nordbrabant kurz zuvor zum Epizentrum der heftigsten Straßenkrawalle geworden, die die Niederlande seit Jahrzehnten erlebt hatten – und das gerade einmal drei Tage nach der Verhängung strenger Corona-Ausgangssperren durch die rechtsliberale Regierung von Premierminister Mark Rutte.

Als "avondklokrellen", Sperrstundenkrawalle also, bezeichnen niederländische Medien die Unruhen, die einige Städte des Königreichs nun schon seit drei Tagen plagen. Am schwersten betroffen waren am Montag Den Bosch und die Hafenstadt Rotterdam. Der oberste Polizeichef des Landes, Henk van Essen, sagte am Dienstag, dass die Ausschreitungen "schon längst nichts mehr mit dem Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit zu tun" hätten. Premier Rutte nannte die Krawalle "kriminelle Gewalttaten".

Zerstörte Schaufenster in den Innenstadt von Den Bosch.
Foto: EPA/Piroschka van de Wouw

In sozialen Medien war vorab zu den Krawallen aufgerufen worden. Vor allem Jugendliche folgten dem Appell – auch in Den Bosch. Gegen halb neun, kurz vor Beginn der landesweiten Ausgangssperre, hatten Berichten zufolge hunderte Jugendliche an einer Tankstelle außerhalb des historischen Zentrums Feuerwerkskörper gezündet und die Polizei mit Steinen beworfen.

Ungehindert von den zu Beginn überforderten Sicherheitskräften zogen sie dann in die Innenstadt weiter, wo sie Verwüstung anrichteten. Geschäfte rund um den Bahnhof der Stadt wurden geplündert, darunter jene von Sport- und Bekleidungsketten. Autos wurden umgeworfen, mindestens eines auch in Brand gesteckt. Der öffentliche Verkehr wurde eingestellt, Züge hielten nicht mehr an dem Verkehrsknotenpunkt, Straßen, die ins Zentrum führen, wurden von Polizeiwagen gesperrt.

Bei den Demonstrationen in den Niederlanden kommt es immer wieder zu Krawallen und heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.
DER STANDARD

Strenge Ausgangssperren

Neben Polizeibeamten und Journalisten gerieten auch Krankenhäuser in das Visier der Randalierer. Das größte Spital von Den Bosch etwa wurde von Randalierern belagert, mehrere von ihnen hätten versucht, in das Gebäude einzudringen, Rettungswägen, die Patienten abliefern wollten, mussten laut Polizeiangaben umgeleitet werden.

"Das war beängstigend für die Mitarbeiter", sagte der Direktor der Jeroen-Bosch-Klinik dem niederländischen Radio. Erst der Einsatz von Spezialkräften vermochte das Chaos einzudämmen. Warum es so lange gedauert hat, bis die Sonderpolizisten anrückten, wird nun untersucht.

Weiterer Hotspot Rotterdam

Auch in anderen niederländischen Städten kam es am Montagabend zu Krawallen. Mehr als 180 Personen wurden nach Angaben der Polizei festgenommen, davon alleine 50 in Rotterdam, wo es vor allem im Süden der Stadt zu Gewaltausbrüchen und Plünderungen kam.

Mindestens 50 Randalierer wurden in Rotterdam festgenommen.
Foto: Marco de Swart / ANP / AFP

Die Polizei setzte Wasserwerfer und Schlagstöcke gegen die Randalierer ein, als eine Polizeistation im vor allem von Migranten bewohnten Stadtteil Feyenoord mit Steinen und Feuerwerkskörpern angegriffen wurde, gab ein Polizist einen Warnschuss ab. Mindestens ein Dutzend Beamte wurden verletzt, meldete die Rotterdamer Polizei in der Früh.

"Schamlose Diebe" nannte Rotterdams sozialdemokratischer Bürgermeister Ahmed Aboutaleb die Plünderer in einer ersten Reaktion – man habe noch keine Berechnung der entstandenen Schäden vornehmen können, doch sei die Bilanz "auf jeden Fall traurig". Noch am Montagabend verhängte er über seine Stadt den Notstand.

"Jugendliche zu Hause lassen"

Die Amsterdamer Bürgermeisterin Femke Halsema von den Grünen rief Eltern in ihrer Stadt dazu auf, jugendliche Kinder wenn möglich zu Hause zu behalten. Justizminister Ferdinand Grapperhaus, ein Christdemokrat, forderte Eilverfahren, um die Randalierer schnell aburteilen zu können.

Rijnmond

Fotograf angegriffen

Auch in Haarlem, Amsterdam und anderen Städten bot sich am Dienstag ein Bild der Zerstörung. In Zwolle wurde ein Polizeiauto von Randalierern zerstört, in Haarlem setzte die Polizei Tränengas ein, um die Menge zu zerstreuen. In Amsterdam erlitt ein Pressefotograf Kopfverletzungen, weil er von einem Stein getroffen worden war. Erst gegen Mitternacht hatte die Polizei die Lage weitgehend unter Kontrolle, wie Polizeichef Willem Woelders im Sender NOS sagte. "Wir stellen fest, dass es im größten Teil der Niederlande wieder ruhig ist."

Die Regierung Rutte verhängte strenge Ausgangssperren, um der Pandemie Herr zu werden.
Foto: via www.imago-images.de

Fußballfans distanzieren sich

Am Samstagabend war in den Niederlanden erstmals seit Beginn der Pandemie landesweit eine Ausgangssperre in Kraft getreten. Die Bürger müssen von 21 bis 4.30 Uhr in ihren Wohnungen bleiben. Verstöße werden mit Geldstrafen von 95 Euro geahndet.

In Den Bosch, das von den Krawallen am Montag besonders schwer getroffen wurde, meldete sich am späten Abend schließlich der für seine Hooliganszene bekannte Fanklub des FC Den Bosch zu Wort. "Unser Herz blutet", hieß es in einer Mitteilung – doch sei man nicht für die Zerstörungen verantwortlich. Man wolle nicht als Sündenbock herhalten, darum mische man sich jetzt nicht ein. Den Randalierern gaben die Fußballfans noch eine handfeste Warnung mit auf den Weg: Sollten sie es noch einmal wagen, die Stadt mit Chaos zu überziehen, bekämen sie es mit ihnen zu tun. (Florian Niederndorfer, 26.1.2021)