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Die Ängste von kleinen Kindern sollten in jedem Fall von den Bezugspersonen ernst genommen werden

Foto: Getty Images/alvarez

Frage:

"Mein Sohn ist drei Jahre alt und geht in den Kindergarten. Auch jetzt im Lockdown, denn für uns ist es beruflich nicht anders möglich. Er geht sehr gerne hin, doch neulich hat er beim Hinbringen plötzlich total verweigert und geweint. Ich habe nachgefragt, er konnte aber nicht artikulieren, was das Problem ist. Dann ist das noch mal passiert und noch mal. Weil es so untypisch ist und plötzlich kam, haben wir uns in Ruhe zu Hause zusammen hingesetzt, und ich habe versucht, etwas aus ihm herauszukitzeln. Er meinte dann auf einmal: "Ich möchte nicht in den Kindergarten, weil die Menschen haben doch Corona." Ich war ehrlich gesagt baff. Mit dieser Aussage habe ich einfach nicht gerechnet. Ich dachte immer, dass Corona an so kleinen Kindern ziemlich spurlos vorübergeht, vor allem in unserer Familie, denn es gibt durch die Pandemie für uns keine große Lebensveränderung. Ich kann mir diese plötzliche Angst nur so erklären, dass mein Mann und ich natürlich auch oft über Corona sprechen. Ein Kind in seinem Alter stellt im Alltag natürlich auch Fragen: Warum haben alle Geschäfte zu? Warum können wir nicht in den Zoo gehen? Mama, warum hast du eine Maske auf? Er hat dann immer eine ehrliche Antwort von uns bekommen: "Wegen Corona, das ist eine Krankheit, und wir müssen schauen, dass nicht noch mehr Menschen krank werden."

Ich weiß, dass im Kindergarten vor allem die älteren Kinder auch hin- und wieder über Corona sprechen oder sie sich gegenseitig untersuchen und das spielerisch verarbeiten. Nun stehe ich mit meinem Mann vor der Frage, wie wir mit seiner Angst am besten umgehen. Einem Dreijährigen ein Virus oder eine Pandemie zu erklären ist einfach zu komplex. Sollten wir das Ganze noch einmal richtig thematisieren? Und wenn ja, wie? Wenn ich ihm sage, dass die Menschen Masken tragen, weil sich durch das Husten und Niesen anstecken können, wie logisch ist es dann, dass ich ihn täglich in einen Kindergarten gebe, wo keiner Masken trägt? Irgendwie ist seine Angst ja begründet.

Wie finde ich da die richtigen Worte? Oder aber sollten wir das alles einfach gar nicht mehr thematisieren? Ist das alles einfach schon eine Überforderung, weil es so unser Leben dominiert? Dann würden mein Mann und ich einfach darauf achten, dass wir zumindest zu Hause nicht mehr über Corona sprechen. Und es in seiner Welt dadurch ein wenig ausblenden."


Antwort von Hans-Otto Thomashoff

Ich plädiere dafür, Kindern gegenüber ehrlich zu sein. Denn schließlich sollen sie lernen, im Leben zurechtzukommen, und dafür ist ein adäquater Realitätsbezug eine entscheidende Voraussetzung. Auf das Coronavirus bezogen bedeutet das, dass es richtig ist, Kindern zu erklären, dass es aktuell eine Krankheit gibt, mit der man sich anstecken kann, weshalb es gut ist aufzupassen. So weit versteht das auch ein Dreijähriger.

Zu einer solchen Aufklärung gehört auch, Kindern die Angst zu nehmen. Denn Kinder werden entgegen der weitverbreiteten Panikmache, die keinem wirklich nützt, nur ganz selten schwer krank an Corona. Die meisten schwer an Covid-19 Erkrankten sind in fortgeschrittenem Alter und haben Vorerkrankungen vor allem der Gefäße. Bei der Gruppe der unter 24-Jährigen gab es bislang zum Glück keinen einzigen registrierten Todesfall in Österreich. Vor diesem Hintergrund ist es nicht nur legitim, sondern geboten, Kindern die übermäßige Angst vor Corona zu nehmen: "Wir müssen aufpassen und die Oma und den Opa schützen, aber dir kann nichts Schlimmes passieren."

Ehrlichkeit über die Regeln, nach denen die Welt läuft, beinhaltet auch die Tatsache, dass es nicht immer für alles eine verlässlich richtige Antwort gibt. "Wir wissen nicht, wann es vorbei sein wird. Doch wir wissen, wie wir uns am besten verhalten, nämlich Abstand halten und aufpassen."

Das eigentliche Problem im Umgang mit der Pandemie besteht darin, dass wir Eltern als Vorbilder unserer Kinder selbst viele der von der Politik getroffenen Maßnahmen nicht nachvollziehen können. Warum ist das ganze Land im Hausarrest für die Unverantwortlichkeit mancher Unverbesserlicher? Warum sind Opern geschlossen, aber Kirchen offen? Und warum sind Schulen und Kindergärten maskenfreie Räume? Das hat der Kleine ganz richtig beobachtet, und Sie als Eltern pflichten ihm bei. Auch da hilft es, ehrlich zu sein. "Das ist so entschieden geworden. Wir kennen uns auch nicht aus, aber wir werden schon alles tun, dass uns nichts passiert." Was Ihren Sohn betrifft, stimmt das, und das können Sie ihm gegenüber ehrlich zum Ausdruck bringen. Was Sie selbst betrifft, gleicht das eher einem Glücksspiel mit der Hoffnung, dass er nicht das Virus ins Haus schleppen wird. Aber das behalten Sie ausnahmsweise besser für sich.

In jedem Fall sollten Sie bemüht sein, das Thema Corona zu begrenzen. Das Problem ist da draußen und nicht zu Hause. Wenn es gelingt in den eigenen vier Wänden eine sichere Welt zu schaffen, die frei ist von dem Corona-Chaos, ist das gut. "Draußen ist nicht immer alles nachvollziehbar, aber so ist die Welt halt. Doch bei uns zu Hause ist es sicher. Darauf kannst du dich verlassen und von dieser sicheren Basis aus lernen, in der Welt und in deinem Leben zurechtzukommen." (Hans-Otto Thomashoff, 28.1.2020)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Alexandra Diemand

Antwort von Linda Syllaba

Seit bald einem Jahr leben wir alle mit dem Thema Corona. Für einen Dreijährigen ist das ein Drittel seines Lebens und hundert Prozent seiner Kindheit. Für Ihren Sohn bedeutet Corona, dass er eingeschränkt wird in seiner Entwicklung: Er darf nicht mehr angreifen, was er angreifen muss, um zu lernen, wie sich etwas anfühlt oder wie man damit umgeht, das heißt, er darf sich zum Beispiel im Kindergarten nicht selbst zu trinken oder zu essen nehmen, was ihn in der Entwicklung seiner motorischen Fähigkeiten, seiner Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit hemmt. Er wird angehalten, andere Kinder, Möbelstücke und Spielsachen möglichst wenig oder nicht zu berühren, was ihn in seiner Beziehungsfähigkeit, seinem Sozialverhalten prägt.

Er wird momentan darin geschult, dass potenziell alles und jeder eine Gefahr darstellt, von der man sich möglichst fernhalten sollte. Ein Dreijähriger hat noch nicht viel Erfahrung mit dem Leben, mit Konventionen und Menschen, und er weiß wenig über Viren und Krankheiten. Es fehlt ihm einiges an körperlicher, geistiger und psychischer Entwicklung, doch er ist nicht dumm. Er bekommt ja mit, was los ist, die Masken, die Einschränkungen und die Erklärungen der Erwachsenen. Die Fähigkeit zum logischen Denken ist uns Menschen angeboren und kann schon bei ganz kleinen Kindern beobachtet werden. Und ja, der Schluss, den Ihr Sohn zieht, ist logisch korrekt. Wenn Menschen sich über Husten und Niesen anstecken und er doch auch ein Mensch ist, wieso geht er dann in den Kindergarten, und wieso muss er dort keine Maske tragen? Das ist ein nachvollziehbar besorgniserregender Gedanke.

Ich will Sie ermutigen, ihm Ihre Argumentation dafür offenzulegen, weshalb er da hingeht, denn Sie haben sich bestimmt etwas dazu überlegt. Mir geht es nicht darum zu bewerten, sondern darum, aufrichtig sich selbst gegenüber und mit dem Kind zu sein. Das bezieht Ihre eigenen Sorgen und Ängste mit ein, ob bezogen auf die Gesundheit, die Arbeit, die Entwicklung des Kindes, was auch immer. Wir müssen ja immer abwägen, was gerade überwiegt, auch ohne Corona. Wenn Sie zum Beispiel Ängste hätten, dass ihr Kind sich in fremder Obhut verletzen könnte, steht dem immer ein Argument gegenüber, das es Ihnen möglich macht, es dennoch gehen zu lassen – oder eben nicht.

Er bezieht seine Sicherheit zum größten Teil aus Ihren Überzeugungen. Was für SIE gut und richtig ist, ist es auch für ihn, denn Sie bilden sein "Universum", seine Werte, seine Basis an Gefühlen in der Welt. Er wird noch Jahre brauchen, bis er anfängt das in einer Art zu hinterfragen, die zu seiner persönlichen Abgrenzung und Abnabelung gehört (Stichwort Teenager). Bis dahin sind Sie zuständig dafür, ihm Trittsicherheit mitzugeben – durch ihre Vorbildwirkung und ihre Antworten auf seine kindlichen Fragen.

Machen Sie ihm nichts vor. Politische Korrektheit ist einem Dreijährigen schnurzegal. Er braucht Sie ganz authentisch und persönlich. Wenn Sie denken, dass seine (soziale, psychische und sonstige) Entwicklung Ihnen wichtiger ist, als Vorschriften einzuhalten, dann sagen sie ihm das. Natürlich in kindgerechter Sprache. ("Du hast recht, wo andere Menschen sind, kann man sich anstecken. Muss man aber nicht. Mir ist es wichtiger, dass du dort spielen kannst und andere Kinder triffst, als dass wir uns nur noch zu Hause einsperren.") Wenn Sie daheim am Rad drehen und nicht zum Arbeiten kommen, solange er da ist, und er ja auch etwas mehr Abwechslung im Kindergarten erfährt, dann sagen Sie ihm das. ("Es tut uns beiden gut, wenn jeder seiner "Arbeit" nachgehen kann.) Was immer es ist, überlegen Sie in Ruhe und seien Sie aufrichtig zu ihm!

Es gibt gute Gründe für Sie, dass er in den Kindergarten geht. Und diese Gründe stehen auch Ihrer eigenen Angst gegenüber. Wenn es Ihnen hilft, diese klar zu sehen und in Worte zu fassen, kann es ihm auch helfen. Ich würde die Ängste eines Kindes niemals ignorieren. Schweigen ist also keine Option. Kinder spüren, wenn es ihren Eltern nicht gut geht oder man ihnen etwas vormacht, das Schweigen vernebelt die Situation bloß, und am Ende kennt sich keiner mehr aus. (Linda Syllaba, 28.1.2021)

Linda Syllaba ist diplomierte psychologische Beraterin, Familiencoach nach Jesper Juul und Mutter. Auch individuelles Online-Coaching ist möglich. Aktuelles Buch: "Die Schimpf-Diät" (2019).
Foto: Bianca Kübler Photography