Das traditionelle Hahnenkammrennen in Kitzbühel hat dieses Jahr mehrere schwer verletzte Sportler gefordert. Dass das so kam, geht auf grobe Fahrlässigkeiten zurück – es ist Zeit, einen Schutz der Sportlerinnen und Sportler auf gesetzlicher Ebene anzudenken.

Was ist passiert? Die Streif ist eine der spektakulärsten Skirennstrecken der Welt. Doch Steilhang und Mausefalle reichen nicht aus, der Sprung kurz vor dem Ziel wird zur weiteren Schlüsselstelle ausgebaut. Bereits 2008 und 2009 forderte der Zielsprung mit dem US-Amerikaner Scott Macartney und dem Schweizer Daniel Albrecht zwei Opfer. Beide Sportler erlitten ein Schädel-Hirn-Trauma, Albrecht lag mit Lungenquetschungen drei Wochen im Koma.

2021 fand das Hahnenkammrennen ohne Publikum vor Ort statt, es wurde zum reinen Fernsehereignis. Man kann streiten, ob die Durchführung von Sportereignissen während des Lockdowns sinnvoll ist, es gibt gute Argumente dafür und dagegen. Bereits im Training zur Abfahrt warnten die weltbesten Abfahrer nach dem Abschwingen vor den Gefahren des Zielsprungs. Der Franzose Johan Clarey stürzte im Training bei einer Geschwindigkeit von rund 140 km/h als Erster am Zielsprung, blieb aber unverletzt. Spitzenathlet Dominik Paris meinte nach dem Training: "Kurz vor dem Absprung ist eine ganz leichte Welle. Wenn man da vorspringt, bekommt man Luft von unten, und es wird ziemlich hoch. Da wird man ein bisschen abtragen müssen. Wenn man im Rennen mit Vollgas hinfährt, dann wird das zu weit." Der Österreicher Max Franz schloss sich ihm an: "Mir war gestern der Zielsprung schon zu weit. Sie haben aber gesagt, sie haben was dran gemacht. … Bei diesem Sprung wird es gefährlich. …Weit springen können wir, aber solche Sachen dürfen nicht passieren."

Das Rennen selbst am Freitag musste nach Stürzen mehrmals unterbrochen werden. Nach dreieinhalb Stunden sind erst 28 Läufer im Ziel, und der Bewerb wird abgebrochen. Der US-Amerikaner Ryan Cochran-Siegle und der Schweizer Urs Kryenbühl wurden nach schweren Stürzen mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen, Kryenbühl war am Zielsprung verunglückt.

Florian Schieder auf der Streif, die in diesem Jahr wieder einige Verletzte forderte.
Foto: AFP/JOE KLAMAR

Schutz der Spitzensportler

Medien schrieben: "Wieder einmal war die Streif ihrem Ruf als weltweit gefährlichste Strecke gerecht geworden."

Zurück bleibt ein schaler Nachgeschmack. Sportereignisse ohne Publikum vor Ort haben ohnedies etwas Gespenstisches. In diesem Rahmen, inmitten des Lockdowns, wirkt das Aufbereiten der Strecken für ein Spektakel mit immer höheren Geschwindigkeiten und weiteren Sprüngen und damit für mehr Risiko und mehr Gefahren für die Sportler noch absurder. Die Sportler hatten im Vorfeld deutlicher als sonst vor den Gefahren gewarnt, die Topleute hatten das Risiko übereinstimmend als zu hoch eingeschätzt und lagen richtig. Die Gier der Verantwortlichen nach spektakulären Fernsehbildern und damit höheren Quoten und noch besseren Vermarktungsmöglichkeiten in Zukunft war offenbar stärker – es wäre ja kein großes Problem gewesen, den Zielsprung abzugraben oder durch die Kurssetzung davor die Geschwindigkeit deutlich herabzusetzen.

Man kann nicht alles gesetzlich regeln und beschränken. Schon gar nicht im Sport, wo sich Menschen bewusst einem Risiko aussetzen. Aber im Spitzensport wird häufig zu leichtfertig mit Leben und Gesundheit der sportlichen Akteurinnen und Akteure umgegangen. Ganz offenkundig ist der Druck auf die Sportlerinnen und Sportler so hoch, dass sie ihre Experteneinschätzungen gegen die wirtschaftlichen Interessen nicht durchsetzen können. Deshalb sollte der Gesetzgeber auch hier eingreifen. Es geht darum, Leben und Gesundheit der Sportler zu schützen, aber auch für die Öffentlichkeit und gerade die Jugend ein Signal zu setzen, dass den Risiken für Leben und Gesundheit grundsätzlich, auch in diesem öffentlichen Rahmen der Großveranstaltung, Grenzen gesetzt sind. Die rechtliche Ausgestaltung muss man sich gemeinsam überlegen, denkbar ist vieles. Von einem gesetzlichen Mitsprache- und Entscheidungsrecht der Sportlerinnen und Sportler bis hin zur Fixierung von Höchstgeschwindigkeiten – es gibt kein Recht der Veranstalter, Sponsoren und Zuseherschaft auf Geschwindigkeiten über 100 km/h. Auch in der Formel 1 ist es schon vor vielen Jahren gelungen, durch das strikte Reglement mehr Sicherheit zu schaffen und die Zahl der schweren Unfälle zu verringern.

Da es in den Skiverbänden dieses Verantwortungsgefühl offenkundig nicht gibt, ist nun der Gesetzgeber am Zug. (Oliver Scheiber, 28.1.2021)