Spinosaurus war vermutlich der größte Raubdinosaurier der Geschichte. Doch gelebt haben dürfte er wie ein Storch. (Die Farben sind übrigens nur geraten.)
Illustration: Robert Nicholls

Nicht nur die Evolution folgt strengen Gesetzen, sondern auch Hollywood. Gemäß dem Gebot der Sequel-Eskalation muss jeder Teil einer Filmreihe noch mehr und noch größere Attraktionen bieten als der vorangegangene. So wurde für das 2001 angelaufene "Jurassic Park III" ein fleischfressender Dinosaurier gebraucht, der noch mächtiger sein sollte als der alte Platzhirsch Tyrannosaurus rex. Und zum Glück der Filmemacher hatte die Evolution nicht nur einen beigesteuert – dieser lange Zeit weitgehend in Vergessenheit geratene Dino wurde auch gerade rechtzeitig wiederentdeckt.

Der kreidezeitliche Spinosaurus aegyptiacus erreichte vielleicht nicht die Masse des T. rex, dafür übertraf er ihn mit einer Gesamtlänge von 15 Metern um ein Fünftel. Er sah allerdings etwas anders aus als die meisten auf zwei Beinen laufenden Fleischfresser unter den Dinosauriern: Seine Hinterbeine waren vergleichsweise kurz, der Hals dafür lang, und der langgestreckte Schädel erinnerte fast schon an ein Krokodil. Sein auffälligstes Merkmal aber waren über 1,6 Meter lange Dornfortsätze, die aus den Rückenwirbeln entsprangen. Diese könnten einen Höcker gestützt oder – was als wahrscheinlicher gilt – ein Rückensegel aufgespannt haben. Ob dieses eher der Wärmeregulierung oder dem Imponiergehabe gedient hat, ist unklar.

Später Ruhm

Obwohl schon vor über 100 Jahren entdeckt, blieb dem vermutlich größten fleischfressenden Dinosaurier aller Zeiten lange der Ruhm von T. rex und Konsorten verwehrt, zumindest außerhalb der Fachwelt. Der Grund: Das 1912 in Ägypten ausgegrabene Fossil wurde nach München gebracht und ging dort während der Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg verloren. Für Jahrzehnte blieben Paläontologen nur die Aufzeichnungen seines Entdeckers Ernst Stromer von Reichenbach, und dessen Interpretation des Körperbaus von Spinosaurus ist nicht unumstritten.

Das änderte sich in den 1990er-Jahren, als eine bis heute anhaltende Entdeckungswelle einsetzte. Unter anderem in den marokkanischen Kem Kem Beds, einer geologischen Formation, die die Fossilien ungewöhnlich vieler verschiedener Fleischfresser preisgab – darunter auch Spinosaurus. Vor über 90 Millionen Jahren scheinen sich dort riesenhafte Jäger gleichsam auf die Füße getreten zu sein und um dieselbe Beute konkurriert zu haben. Ist das Duell mit T. rex in "Jurassic Park III", das den Sieger Spinosaurus zum Star gemacht hat, also ein realistisches Szenario?

Eher nicht. 2016 kam eine Studie britischer und italienischer Forscher zum Ergebnis, dass sich in den Kem Kem Beds die Fossilien von Tieren ansammelten, die zu Lebzeiten tausende oder gar Millionen Jahre getrennt hatten. Zwei Jahre später legten französische Kollegen mit der Erkenntnis nach, dass die Räuber auch unterschiedliche ökologische Nischen besetzt haben dürften. Zahnanalysen zeigten, dass Spinosaurus Fische fraß und anderen Spitzenprädatoren damit nicht in die Quere kam. In Ausstellungen wird er inzwischen nicht mehr in vertikaler, sondern in horizontaler Haltung gezeigt – der ungewöhnliche Fall eines schwimmenden Dinosauriers.

Eine halbe Volte zurück

Doch auch das ist offenbar noch nicht das letzte Wort gewesen. Im Fachjournal "Palaeontologia Electronica" legten Forscher der Londoner Queen Mary University und der University of Maryland nun ihre anatomischen Analysen vor. Die Schwanzknochen zeigen ihren Berechnungen nach, dass die daran ansetzenden Muskeln zu schwach waren, um Spinosaurus eine schwimmende Verfolgungsjagd zu ermöglichen – erst recht angesichts des enormen Wasserwiderstands, den sein nicht gerade stromlinienförmiger Körperbau verursacht haben muss.

Die Schlussfolgerung des Teams um Erstautor David Hone: Spinosaurus ist seiner Beute weder hinterhergelaufen noch -geschwommen, sondern im Uferbereich umhergestelzt, um dann blitzschnell mit der Schnauze nach unten vorzustoßen. Wie ein 15 Meter langer Storch also, der statt Fröschen etwas größere Brocken aufklaubte. Hone räumt ein, dass die Vorstellung vom watenden Spinosaurus "ein bisschen weniger aufregend" sei als die Hollywoodversion – aber dafür werde sie von den verfügbaren Daten gestützt. (jdo, 21. 1. 2021)