Beine wie Baumstämme, jeder einzelne Muskel an Waden, Oberschenkeln und Armen tritt mächtig hervor, der Blick wild entschlossen. Die alten Fotos von Jarmila Kratochvilova, Leichtathletik-Heldin der alten Tschechoslowakei, dem "letzten Panzer" ("FAZ"), dem "androgynen Kraftwürfel", wirken heute wie aus der Zeit gefallen. "Unsere Generation war eben bereit, unglaublich hart zu arbeiten", sagt Kratochvilova, die am Dienstag 70 Jahre alt wurde.

Jarmila Kratochvilova 1985 in Rom.
Foto: imago images/PCN Photography

Kratochvilova rannte bei den Frauen allen davon. Am 26. Juli 1983 sprintete sie in München die 800 m in einer Minute, 53 Sekunden und 28 Hundertsteln – selbst die überragende Caster Semenya war bei ihrem schnellsten Lauf knapp eine Sekunde langsamer (1:54,25).

"Ich dachte kurz vor dem Ziel: Die Uhr muss kaputt sein", sagt Kratochvilova über ihren Lauf aus den Hochzeiten des Anabolika-Dopings.

Zeit wie in Granit gemeißelt

Seit fast 40 Jahren ist ihre Zeit wie in Granit gemeißelt, es ist der älteste Weltrekord der Leichtathletik-Geschichte – und dadurch eher Mahnmal denn Maßstab für die heutige Generation.

"15 Jahre harte Arbeit und nur ein Jahr Erfolg. Aber das war es wert", sagt Kratochvilova, die heute als Trainerin arbeitet, über ihren Sommer 1983.

PJ Vazel

Damals holte sie bei den ersten Weltmeisterschaften in Helsinki Doppel-Gold über 400 und 800 m, die 400 m gewann Kratochvilova mit dem damaligen Weltrekord von 47,99 Sekunden. Bis heute ist sie damit die Nummer zwei der Geschichte hinter DDR-Sprinterin Marita Koch (47,60).

Keine Teilnahme in Los Angeles 1984

Nachdem Kratochvilova 1980 bei den Olympischen Spielen in Moskau über 400 m Silber gewonnen hatte, blieb ihr ein möglicher Olympiasieg 1984 in Los Angeles durch den Boykott der Ostblockstaaten verwehrt. "Der Weltrekord ist kein Ersatz. Aber er gibt zumindest ein angenehmes Gefühl", sagt sie.

Jarmila Kratochvilova 2020 in Tschechien.
Foto: imago images/CTK Photo

Kratochvilova wurde nie positiv getestet, aber jeder weiß natürlich, dass das nichts zu bedeuten hat. "Das beste Doping ist Training. Und der beste Beweis sind die Stapel von Trainingsbüchern. Sie zeigen, wie wir die Leistung aufgebaut haben", sagte sie einmal der "FAZ". Geschunden und gequält hat sie sich unter Trainer Miroslav Kvac. Der ehemalige Offizier der Armee war nicht zimperlich.

"Sie hat nur Mittel genommen, die erlaubt waren"

"Jarmila lief mit einer Gasmaske und Zehn-Kilo-Bleiweste durch ein Becken mit knöcheltiefem Wasser", sagte Kvac einmal. In jedem Training habe sie 16 Tonnen Gewichte gestemmt, jeden Vormittag rannte sie 18-mal 300 Meter. "Sie hat nur Mittel genommen, die erlaubt waren. Doch bei ihr wirkten sie wie Doping", sagte Kvac. Einmal wöchentlich habe sie Spritzen bekommen, sagt Kratochvilova selbst: "Sie enthielten Vitamin B12. Wenn jemand gesagt hat, dass es hilft, hat man das geglaubt."

Heute ist von den Muskelbergen nichts mehr übrig. Zierlich, fast unscheinbar wirkt Kratochvilova. Doch sie hinkt ein wenig, weil der Rücken schmerzt. (sid, 26.1.2021)