In England wird der Impfstoff von Astrazeneca längst verabreicht. Hier Spritzen und das Vakzin in einer Impfstraße in Brighton. In der EU hat man mit dem Pharmamulti großen Ärger.

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Als ob die Verzögerungen bei der Zulassung und die Lieferschwierigkeiten nicht genügt hätten, kam am Montagabend die nächste Hiobsbotschaft zum Impfstoff AZD1222, der von der Universität Oxford gemeinsam mit der britisch-schwedischen Firma Astrazeneca entwickelt wurde. Laut einem Bericht des deutschen "Handelsblatts" soll der Impfstoff, der mittlerweile in sechs Ländern für Erwachsene aller Altersgruppen zugelassen ist, eine Wirksamkeit von nur acht Prozent bei älteren Menschen haben.

Ins gleiche Horn stieß die "Bild"-Zeitung: Die deutsche Regierung rechne mit einer Wirksamkeit des Impfstoffs bei Menschen über 65 Jahren von unter zehn Prozent. Das würde bedeuten, dass Seniorinnen und Senioren mit diesem Vakzin nicht geimpft werden dürften.

Vermutliche Falschmeldungen

Doch all das dürften vorschnelle Falschmeldungen gewesen sein. Dementis folgten jedenfalls wenig später auf so ziemlich allen Ebenen: Das deutsche Gesundheitsministerium betonte, dass die Darstellungen der beiden Medien nicht bestätigt werden können. "Auf den ersten Blick scheint es so, dass in den Berichten zwei Dinge verwechselt wurden", hieß es aus dem Ministerium.

"Rund acht Prozent der Probanden der Astrazeneca-Wirksamkeitsstudie waren zwischen 56 und 69 Jahren, nur drei bis vier Prozent über 70 Jahre." Daraus lasse sich aber nicht eine Wirksamkeit von nur acht Prozent bei Älteren ableiten.

Berichte "komplett falsch"

Der Pharmamulti selbst hat die deutschen Berichte ebenfalls umgehend zurückgewiesen. Diese seien "komplett falsch", wie eine Konzernsprecherin Dienstagfrüh mitteilte. Sie verwies auf Daten, die im November vom angesehenen Fachmagazin The Lancet veröffentlicht worden waren, wonach Ältere eine starke Reaktion des Immunsystems auf das Mittel gezeigt hätten.

Bei 100 Prozent der "älteren Erwachsenen" seien demzufolge nach der zweiten Impfdosis spezifisch gegen das Coronavirus gerichtete Antikörper erzeugt worden. Astrazeneca verwies schließlich auch noch darauf, dass die Notfallzulassung der britischen Aufsichtsbehörde für Arzneimittel (MHRA) ältere Menschen einschließe.

Auch die Universität Oxford, die an der Entwicklung des Vakzins beteiligt war, dementiert die deutschen Berichte entschieden: "Die Ergebnisse der klinischen Studien wurden bereits in fünf wissenschaftlichen Publikationen mit Peer-Review transparent veröffentlicht und zeigen ähnliche Immunantworten bei jüngeren und älteren Erwachsenen sowie ein gutes Sicherheitsprofil und eine hohe Wirksamkeit bei jüngeren Erwachsenen."

Unabhängige Expertenmeinungen

Auch unabhängige Experten können die deutsche. Medienberichte nicht nachvollziehen – mit ganz ähnlichen Argumenten. Stephan Becker, Leiter des Instituts für Virologie an Philipps-Universität Marburg verwies etwa darauf, dass in der klinischen Phase-2-Studie des Impfstoffs "auch Menschen älter als 70 Jahre getestet wurden, allerdings nur wenige Personen über 80 Jahre. In dieser Untersuchung zeigt der Impfstoff, eine tendenziell etwas schwächere Immunantwort in den älteren Personen, die aber durchaus vergleichbar war mit den jüngeren Probanden."

Carlos A. Guzman, Leiter der Abteilung Vakzinologie und Angewandte Mikrobiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig gibt freilich zu bedeken, dass die Analyse der Studien von AstraZeneca nicht so einfach sei, wie bei den beiden Impfstoffen, die schon eine bedingte Marktzulassung in Europa erhalten haben. "Die Anzahl der teilnehmenden Probanden war geringer, und die Analyse wird durch Unterschiede im Studiendesign erschwert."

Nur wenige ältere Probanden

Das ist in der Tat das eigentliche Problem, das nicht nur zu den Falschmeldungen führte, sondern zuvor schon Befürchtungen nährte, dass AZD1222 von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) nur für Personen bis zum Alter von 55 Jahren zugelassen werden könnte. Und dass ältere Menschen erst relativ spät für die britische Phase-3-Studie rekrutiert wurden.

Vor allem zur wirksameren Strategie, bei der Erstimpfung nur eine halbe Dosis zu verabreichen, fehlen bisher Daten von älteren Testpersonen. Womöglich aber konnte Astrazeneca diese fehlenden Informationen in der Zwischenzeit bei der EMA nachreichen. Deren Entscheidung wird für Freitag erwartet.

Auch EMA-Chefin Emer Cooke wollte am Dienstag bei einer Anhörung im Europaparlament der Entscheidung nicht vorgreifen. Sie betonte aber, dass eine begrenzte Zulassung nur für bestimmte Altersgruppen grundsätzlich möglich sei. Das werde genau geprüft. Cooke bestätigte, dass für den AstraZeneca-Impfstoff nur wenige Testdaten für ältere Menschen vorlägen

Geringere Liefermengen

Spätestens 24 Stunden nach der Entscheidung wird diese von der EU-Kommission bestätigt, die aber aus anderem Grund über Astrazeneca verärgert ist. Der Pharmamulti hatte nämlich am Freitag mitgeteilt, nach der für diese Woche erwarteten Zulassung zunächst weniger Impfstoff als geplant an die EU liefern zu wollen. Statt 80 Millionen Impfstoffdosen sollen bis Ende März nur 31 Millionen eingeplant sein. Das würde bedeuten, dass alle EU-Länder ihre Impfpläne adaptieren müssten.

Astrazeneca begründete den Lieferengpass mit Produktionsproblemen bei einem Zulieferer in Belgien. Das hält die Kommission für nicht stichhaltig. EU-Budgetkommissar Johannes Hahn bekräftigte das am Dienstag: Die Antworten von Astrazeneca seien nicht zufriedenstellend. Nachsatz: "Der Fokus muss jetzt sein, dass geliefert wird." (Klaus Taschwer, 26.1.2021)