Philipp Oswald: "Manche Spieler haben gar kein Fenster."

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Philipp Oswald ist geduldig. Der 35-jährige Tennisprofi wartet auf die Australian Open. Er drischt deshalb keine Tennisbälle gegen die Hotelzimmerwand.

STANDARD: Sie haben bereits 14 Tage ununterbrochen in einem Hotelzimmer in Melbourne verbracht. Wie lässt sich ein Lagerkoller verhindern?

Oswald: Es gab schon Schockmomente. Manche Spieler sind durchgedreht. Ich habe gute Routinen entwickelt, mir meine Tage strikt eingeteilt, viel meditiert. Essen war ein Highlight des Tages. Ich habe zumindest ein Fenster, das ich fünf Zentimeter kippen kann, spüre Frischluft. Manche Spieler haben gar kein Fenster. Aber ein Ende ist ja Gott sei Dank in Sicht.

STANDARD: Als ein "Gefängnis mit WLAN" bezeichnet der spanische Weltranglisten-13. Roberto Bautista Agut die Quarantäne. Stimmen Sie Ihrem Kollegen zu?

Oswald: Prinzipiell ja. Man braucht hier nichts zu beschönigen. Die Sicherheitsbeamten im Hotel sind sehr streng, stehen in jedem Stockwerk. Wir werden jeden Tag einmal getestet. Wegen der dünnen Wände weiß ich oft nicht, ob sie bei mir oder beim Zimmernachbarn klopfen. Wenn du dann rausschaust bei der Tür, und die Beamten sehen dich, bekommst du gleich einen Anschiss. Als ich den Müll vor die Tür stellen wollte, wurde ich zur Rede gestellt, weil der Sack nicht vakuumverpackt war. Normale Müllentsorgung ist verboten.

STANDARD: Sie sind einer von 70 Spielern, die in harte Quarantäne geschickt wurden, trotz eines negativen Tests bei der Ankunft. Ein einkalkuliertes Risiko?

Oswald: Ich dachte nicht, dass alle Passagiere in Quarantäne müssen, wenn zwei Stewardessen positiv sind. Das wurde uns so nicht mitgeteilt, ich habe mir die Sicherheitsregeln angeschaut. Sie haben alle in einen Topf geworfen und gesagt, dass jeder eine potenzielle Gefahr für Australien darstellt. Der Gesundheitsminister hat noch vor dem Ende unserer Quarantäne entschieden, dass wir noch einen Tag länger im Hotelzimmer bleiben müssen, weil wir direkten Kontakt hatten, also 15 statt 14 Tage.

STANDARD: Wie sieht Ihr Tagesablauf aus?

Oswald: Am Vormittag mobilisiere ich Muskulatur und Gelenke, um 11 Uhr steht NHL-Schauen auf dem Programm. Nach dem Mittagessen gibt es einen Zoom-Call mit dem australischen Tennisverband, Turnierdirektor Craig Tiley und allen Spielern, die sich in harter Quarantäne befinden. Danach steht Kondition und Kraft auf dem Programm, Seilspringen, Gewichteschupfen. Am vierten Tag habe ich Hanteln bekommen, am fünften ein Ergobike. Das ist mir aber leider zu klein. Nachdem mein Rücken auf dem Rad zum Zwicken begonnen hat, habe ich es sein lassen. An Tag elf bekam ich eine Kaffeemaschine. Die hätte ich nicht gebraucht.

STANDARD: Kann man Tennisbälle gegen die Hotelzimmerwand spielen?

Oswald: Ich mache es nicht, meine Zimmernachbarn schon. Die nerven mich schon gewaltig. Manche haben sich zumindest die Matratze an die Wand gestellt, um die Bälle da dagegenzuspielen. Ich spiele Schattentennis, übe Schwünge ohne Bälle. Von meinem Fenster aus sehe ich Spieler auf dem Tennisplatz trainieren. Das ist mental herausfordernd.

STANDARD: Fühlen Sie sich vom australischen Tennisverband in dieser schwierigen Situation unterstützt?

Oswald: Wir werden gut informiert. Der australische Tennisverband hilft uns, wo er kann, hat aber einen sehr schweren Job, weil der Druck vonseiten der Regierung groß ist. Den Gesundheitsbehörden ist es wurscht, ob wir Tennisprofis sind und wie wir untergebracht werden. Die wollen nur ihren Job machen und nichts riskieren.

STANDARD: Das 25,7 Millionen Einwohner zählende Australien hat die Corona-Pandemie aktuell gut im Griff, Ende Jänner wurden nur 115 positive Fälle gemeldet. Der Rückhalt in der Bevölkerung für den anstehenden ATP-Cup und die Australien Open ist nicht sehr groß. Viele Menschen fürchten sich davor, dass Spieler, Coaches und Betreuer das Virus wieder einschleppen. Verstehen Sie diese Angst?

Oswald: Für mich ist die Reaktion der Menschen verständlich. Eine Handvoll Spieler wurde erst am fünften oder sechsten Tag nach Ankunft positiv getestet. Da hätte ein Freitesten zu Beginn keinen Sinn gemacht. Man stelle sich nur vor, wenn diese Leute dann das ganze Teilnehmerfeld bei den kommenden Turnieren anstecken würden. Die harte Quarantäne ist trotzdem mühsam.

STANDARD: Ob angesichts der Corona-Krise Zuschauer bei den Australien Open zugelassen werden, ist noch immer nicht entschieden.

Oswald: Das Turnier wird nicht umsonst als "Happy Slam" bezeichnet, ist bei den Spielern und Fans sehr beliebt. Darum würden leere Ränge hier noch mehr wehtun. Die Stimmung im Vorfeld ist diesmal anders. Es gab Shitstorms in sozialen Medien für Spieler, die laut Kritik an den Maßnahmen äußerten. Der australische Tennisverband bat uns, negative Äußerungen zu unterlassen, weil einige Fans ihre Karten bereits zurückgeben haben. Es soll nicht noch mehr Öl ins Feuer gegossen werden.

STANDARD: Ist so eine sinnvolle Vorbereitung auf ein Grand Slam-Turnier überhaupt möglich?

Oswald: Ich bleibe positiv. Nach Ende meiner Quarantäne am Freitag sind es noch neun Tage für Marcus Daniell (Oswalds Doppelpartner, Anm.) und mich bis zu den Australien Open. Das geht sich aus. Für den ATP-Cup ab Dienstag wird es dagegen eng. Ich würde verstehen, wenn mich Wolfgang Thiem noch nicht aufstellt, weil ich so lange eingesperrt war.

STANDARD: Was nehmen Sie aus dieser Grenzerfahrung in Isolation für sich persönlich mit?

Oswald: Ich werde mich über kleine Dinge wieder mehr freuen. Im Freien spazieren gehen, ein reales Gespräch ohne Facetime, den Himmel über dem Kopf sehen. (Florian Vetter, 29.1.2021)