Ein 33-jähriger Angeklagter ist davon überzeugt, dass ihm 2018 beim Kokainentzug elektronische Bauteile eingesetzt worden seien, über die er nun gesteuert wird. Eine psychiatrische Sachverständige hält ihn dennoch für zurechnungsfähig.

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Wien – "Ich bin ein normaler, vernünftiger Mensch und zurechnungsfähig", stellt Dejan I. im Laufe seines Prozesses vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Christian Noe bei einer Gelegenheit fest. Wenige Minuten nachdem er dem Senat erklärt hat: "Ich bin ein Produkt der Klinik Vorobiev, ich bin ein Prototyp" – und dass Verschwörer seine Hirnströme fernsteuern würden.

Interessanterweise kam auch die psychiatrische Sachverständige Gabriele Wörgötter in ihrem Gutachten zum Schluss, dass der 33-Jährige Selbstständige "an einer gewissen Krankheit leide". die zu einer "Lockerung der Impulskontrolle" führe, er aber zurechnungsfähig und nicht gefährlich genug für eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher sei.

Vier Vorwürfe von Sachbeschädigung bis Körperverletzung

Aber der Reihe nach: Insgesamt macht die Staatsanwältin dem seit 30 Jahren in Österreich lebenden Serben vier Vorwürfe. Ab Juli soll er trotz Waffenverbots zwei Gaspistolen besessen haben. Mitte Juli soll er auf der Triester Straße im Zuge eines Streits im Verkehr den Außenspiegel eines Autos demoliert haben. Am 30. August prellte er ein Lokal um eine Zeche in Höhe von 22,10 Euro. Und schließlich der schwerwiegendste Punkt: Nachdem eine Räumungsklage gegen seinen Firmensitz erfolgreich exekutiert wurde und er nicht mehr in seine Werkstatt konnte, fuhr er zur Hausverwaltung und attackierte dort Mitarbeiter, einen davon verletzte er schwer.

Sein Verteidiger Nikolaus Rast kündigt eine ungewöhnliche Verantwortung seines Mandanten an: "Er wird sich sozusagen körperlich schuldig bekennen. Er hat die Handlungen gemacht", aber sie seien quasi nicht seine Idee gewesen. I., der eine einschlägige Vorstrafe aus dem Jahr 2017 hat, bekennt sich teilweise schuldig, was folgt, sind bizarre Erklärungen.

Seit 2009 Opfer einer Verschwörung

Der Angeklagte besteht darauf, seine Geschichte im Jahr 2009 zu beginnen. Seit damals versuche "man" ihn hereinzulegen und ihn als paranoid darzustellen. Die Hintermänner und -frauen seien seiner Überzeugung nach bei einem Suchthilfeverein und eben der Klinik Vorobiev, der Belgrader Dependance eines russischen Gesundheitsunternehmens, zu suchen. Es gehe um Drogendeals und Steuerhinterziehung, ist I. überzeugt. Das Ausmaß sei mit dem Wirken der Cosa Nostra in New York City in den 80er- und 90er-Jahren vergleichbar.

2018 sei er wegen Kokainsucht zwei Wochen in der Belgrader Einrichtung gewesen, dort seien ihm diverse elektronische Bauteile eingesetzt worden, mit denen sein Verhalten nun gesteuert werde. "Wie?", fragt Vorsitzender Noe. "5G. SIM-Karte in mir drin? Halloooho? Über Satelliten. Es geht ja hier nicht um Außerirdische, sondern um normale Technologie, die uns umgibt. Ich weiß nicht, warum ich als verrückt abgestempelt werde!", beschwert sich der Angeklagte.

"Diese Herrschaften verwalten meine Realität"

Als er Ende September entdeckte, dass das Türschloss seiner Firma ausgetauscht worden war, ging I. zunächst zur Polizei. Die fand rasch heraus, dass der Gerichtsvollzieher ihn delogiert hatte, da er monatelang seine Miete nicht gezahlt hatte. I. rief die Hausverwaltung an, die aus seiner Sicht ebenso Teil der Verschwörung ist. Warum? "Weil dort dieselben Herren sind. Die Firma heißt ja Realitätenverwaltung. Diese Herrschaften verwalten meine Realität seit mindestens 2016!"

Er telefonierte zunächst mit dem Buchhalter, der ihn an das zuständige Gericht verwies. Der Angeklagte wollte davon nichts wissen, sondern erschien in der Kanzlei der Hausverwaltung. Eine Mitarbeiterin bedrohte er mit seiner Gaspistole, um zum Buchhalter vorgelassen zu werden. Eine andere, die sich I. in den Weg stellen wollte, stieß er weg. Im Büro des Gesuchten schoss er dreimal auf diesen, prügelte mit dem Pistolenknauf auf ihn ein und trat ihn, als das Opfer am Boden lag. Der 38-jährige Angestellte erlitt mehrere Knochenbrüche im Schädel- und Gesichtsbereich sowie an zwei Fingern, ehe er flüchten konnte.

"Hey? Bin ich Superman?"

Vor Gericht sagt der Angeklagte, er habe die Pistole nur mitgenommen, da der Buchhalter das so wollte. Der ganze Vorfall sei eine Intrige, um ihn vor Gericht "oder in die Klapse" zu bringen. Seiner Wahrnehmung nach habe er beispielsweise eine Angestellte nicht weggestoßen, sondern nur die Hand ausgestreckt, ohne sie zu berühren, worauf sie durch den Raum geflogen sei. "Ich habe mir gedacht: 'Hey? Bin ich Superman?'" Auch die Schläge gegen den Buchhalter hat er anders in Erinnerung – für I. ein Beleg, dass sein Bewusstsein von Fremden lahmgelegt worden sein muss.

Überraschenderweise wird das psychiatrische Gutachten nur kursorisch erwähnt, die Sachverständige selbst ist nicht geladen. Weder Vorsitzender noch Staatsanwältin scheinen dafür einen Grund zu sehen, obwohl der Angeklagte beispielsweise auch fordert, Beweise vorlegen zu dürfen – denn in seinem Hals sei ein Mikrofon, und wahrscheinlich würden auch die durch seine Augen wahrgenommenen Eindrücke auf einem Speichergerät in seinem Körper gesichert, wiewohl er die genaue Speicherkapazität nicht kenne. Der Angeklagte sei zwar krank, aber habe seine Taten nicht unter dem Einfluss der Krankheit begangen, sondern aus Wut über die Delogierung, meint Noe.

Dreieinhalb Jahre unbedingt

Der Senat verurteilt I. wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung zu dreieinhalb Jahren unbedingter Haft, dem von Andreas Reichenbach vertretenen Buchhalter muss er 3.000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Als ihn der Vorsitzende fragt, ob er das Urteil verstanden habe, verneint I. zunächst. Als Verteidiger Rast es erläutern will, zeigt I. sich empört: "Zuerst gehören die Dinger aus mir rausgenommen!", fordert er lautstark. Und beschwert sich: "Ihr macht eh alle, was ihr wollt!" Nach einer kurzen Besprechung vor dem Verhandlungssaal akzeptiert er die Entscheidung doch. Da die Staatsanwältin aber keine Erklärung abgibt, ist das Urteil nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 27.1.2021)